Der EuGH und der „Widerrufsjoker“ – aktuelle Entwicklungen zum Widerruf von Verträgen

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Lebens- und Rentenversicherungen

Auf dem Gebiet der Lebens- und Rentenversicherungen ist ein „ewiges Widerrufsrecht“ in bestimmten Fallkonstellationen schon länger bekannt.

Nach mehreren Entscheidungen des BGH aus dem Jahr 2015 ist unter bestimmten Voraussetzungen auch heute noch ein Widerruf von Altverträgen aus den Jahren 1994 bis 2007 möglich. Bei fehlerhaften Widerrufsbelehrungen konnte zum Teil ein „ewiges Widerrufsrecht“ bestehen, da die Widerrufsfrist nicht zu laufen begann. Der Widerruf führte bei seiner Ausübung zu einer Rückabwicklung des Versicherungsvertrags. Im Einzelfall erwies sich dies als wirtschaftlich überaus vorteilhaft, im Vergleich zu anderen Handlungsmöglichkeiten wie Kündigung oder Verkauf der Versicherung.

Dieser Rückabwicklung könnte nun mit der im Dezember 2019 ergangenen EuGH-Rechtsprechung (EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18 –) in naher Zukunft ein Riegel vorgeschoben werden.

Der EuGH hatte über Widerrufsbelehrungen österreichischer Lebensversicherungen zu entscheiden. Es wurde entschieden, dass nicht jede fehlerhafte Widerrufsbelehrung zur Unwirksamkeit der ganzen Belehrung führt. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, inwiefern das Recht des Versicherungsnehmers zum Widerruf tatsächlich eingeschränkt war. Wenn der Versicherungsnehmer im Wesentlichen sein Widerrufsrecht ausüben konnte, beginnt die Widerrufsfrist – trotz fehlerhafter Widerrufsbelehrung – zu laufen.

Diese Entscheidung wird auch Auswirkungen auf die deutsche Rechtsprechung haben. Es ist zu erwarten, dass die Versicherungen sich in Zukunft unter Hinweis auf diese Entscheidung gegen eine Rückabwicklung sperren.


Verbraucherdarlehensverträge

Eine weitere EuGH-Entscheidung aus dem März 2020 (EuGH, Urteil vom 26. März 2020 – C-66/19 –) sorgt für Wirbel in der Versicherungsbranche.

Der EuGH hatte über die Wirksamkeit einer Widerrufsinformation eines Verbraucherdarlehensvertrags der Kreissparkasse Saarlouis zu entscheiden. Der Wortlaut dieser Widerrufsbelehrung wird nahezu in allen deutschen Verbraucherdarlehensverträgen verwendet, sodass die Entscheidung eine bundesweite Relevanz hat.

Es wurde entschieden, dass diese Widerrufsbelehrung nicht den europarechtlichen Anforderungen genügt. Der EuGH fordert, dass Verbraucherdarlehensverträge die Information zur Berechnung der Widerrufsfrist in klarer und prägnanter Form angeben. Der bisher in deutschen Verträgen übliche Kaskadenhinweis, also ein Verweis auf eine Rechtsvorschrift, die selbst auf weitere Rechtsvorschriften verweist, genügt dem nicht. Dies sei für Verbraucher intransparent und damit seien diese in ihren Rechten eingeschränkt.

Aufgrund dieser unwirksamen Widerrufsinformation könnte zahlreichen Verbrauchern bundesweit ein Widerrufsrecht ihrer Darlehensverträge zustehen.

Welche Auswirkungen das Urteil auf die deutsche Rechtsprechung im Einzelfall haben wird, bleibt abzuwarten. Der BGH hatte 2016 die jetzt vom EuGH beanstandete Formulierung noch für rechtmäßig erklärt.


Anschlusszinsvereinbarungen

In einer weiteren Entscheidung aus dem Juni 2020 (EuGH, Urteil vom 18.06.2020 - C-639/18-) hat der EuGH entschieden, dass das Widerrufsrecht Grenzen hat.

Eine Sparkassenkundin wollte ihre 2008 und 2010 telefonisch vereinbarten Anschlusszinsvereinbarungen für mehrere bereits seit den 90er Jahren bestehenden Darlehensverträge widerrufen. Sie berief sich darauf, dass sie beim Abschluss der Anschlusszinsvereinbarungen nicht über ihr Widerrufsrecht informiert worden sei.

Der EuGH sah dies anders. Eine solche Änderungsvereinbarung sei kein neuer Vertrag im Sinne der einschlägigen EU-Richtlinie, wenn sich Laufzeit und Umfang des Darlehens oder andere Vertragsklauseln nicht änderten und die ursprünglichen Bestimmungen des Vertrags den Abschluss einer solchen Änderungsvereinbarung oder die Anwendung eines variablen Zinssatzes vorsahen Die Kundin habe im Rahmen der Anschlusszinsvereinbarungen nicht gesondert informiert werden müssen, weswegen der Kundin daher auch kein „ewiges“ Widerrufsrecht zustehe.


Fazit

Der Widerruf bleibt ein relevantes Instrument zur Auflösung von Verträgen. Sollten Sie vorhaben, Ihren Darlehens- oder Versicherungsvertrag aufzulösen, behalten Sie den Widerruf als Option im Blick und lassen Sie sich gegebenenfalls für Ihren Einzelfall beraten. Wir stehen gerne für ein Beratungsgespräch zur Verfügung.



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