200.000 € Ordnungsgeld: Wenn bei einer produktbezogenen Unterlassung kein ordnungsgemäßer Rückruf erfolgt

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Soweit wettbewerbsrechtlich oder markenrechtlich Unterlassungsansprüche geltend gemacht werden, geht es auf dem ersten Blick ausschließlich darum, etwas zukünftig zu unterlassen. Dies kann zum Beispiel eine Unterlassung dahingehend sein, mit bestimmten Aussagen zu werben.


Häufig übersehen wird jedoch, dass es mit einem reinen Unterlassen, d.h. nicht mehr tun, nicht getan ist. Seit einer Weile nimmt die Rechtsprechung, insbesondere der Bundesgerichtshof (z.B. Aktenzeichen I ZR 109/14 und I ZB 34/15) an, dass eine Unterlassung auch Beseitigung sein kann. Über die Rechtslage informiere ich hier.


In der Praxis sieht die Beseitigung, zu der der Unterlassungsschuldner verpflichtet ist, so aus, dass er seine Abnehmer von der Unterlassung informieren muss. Sobald die Unterlassung im Wege einer einstweiligen Verfügung festgestellt wurde, besteht die Verpflichtung, dass die Abnehmer (Wiederverkäufer) aufgefordert werden müssen, die entsprechenden Produkte vorläufig nicht mehr zu verkaufen. Bei einer Hauptsacheentscheidung, insbesondere wenn diese rechtskräftig ist, besteht die Verpflichtung, die Produkte aus dem Handel tatsächlich zurückzurufen.


Häufig übersehen wird ebenfalls, dass der Rückruf in der Lieferkette erfolgen muss: soweit nur die Abnehmer informiert werden, reicht dies in der Regel nicht, insbesondere wenn die Abnehmer das Produkt zum Wiederverkauf noch an Dritte weiter verkauft haben.


LG Hagen: Verstoß gegen Rückrufverpflichtung hat Ordnungsgeld von 200.000 € zur Folge. 


Das Landgericht Hagen (LG Hagen, Beschluss vom 27.9.2023 Aktenzeichen 21 O 123/18) hatte gegen einen Schuldner in einem Unterlassungsverfahren ein Ordnungsgeld von 200.000 € festgesetzt.


In der Sache selbst ging es um die Bewerbung eines Arzneimittels mit bestimmten Aussagen.


Mit diesen Aussagen wurde auf verschiedenen Internetseiten beworben. Zudem ergaben Testkäufe (in diesem Fall, weil Arzneimittel in Apotheken), dass das Produkt noch mit der entsprechenden Werbeaussage auf der Verpackung verkauft wurde.


Des Weiteren wurde das Produkt auf den Internetseiten verschiedener Versandapotheken mit der unzulässigen Aussage beworben.


Die erzielten Umsätze mit dem Produkt waren außerordentlich hoch, was auch die Höhe des Ordnungsgeldes erklärt. Das Gericht ging in den Sommermonaten von einem monatlichen Direktumsatz von 500.000 € aus.


Die Schuldnerin räumte selber ein, dass die Unterrichtung der Abnehmer möglicherweise zu spät erfolgt sei. Hinsichtlich des Angebotes des Produktes in den Apotheken wurde behauptet, sie seien nur zum Rückruf innerhalb der Lieferkette verpflichtet.


Was ist hinsichtlich eines Produktrückrufes zu veranlassen?


Die aktuelle Rechtsprechung fasst das Landgericht gut zusammen:


„Denn das Verbot, für ein Arzneimittel zu werben, erschöpft sich nicht nur im Nichtstun, sondern auch in der Vornahme von Handlungen zur Beseitigung eines zuvor geschaffenen Störungszustands. So hat ein Schuldner, dem gerichtlich untersagt worden ist, ein Produkt mit einer bestimmten Aufmachung zu vertreiben oder für ein Produkt mit bestimmten Angaben zu werben, grundsätzlich durch einen Rückruf des Produktes dafür zu sorgen, dass bereits ausgelieferte Produkte von seinen Abnehmern nicht weiter vertrieben werden“.


Einwirken auf Dritte


Des Weiteren besteht die Verpflichtung, auf Dritte einzuwirken. Hierzu gehört der Rückruf. Gegenüber seinen Abnehmern muss der Schuldner mit Nachdruck und Ernsthaftigkeit sowie unter Hinweis auf den rechtsverletzenden Charakter der Erzeugnisse, deren Rückerlangung versuchen. Eine Information der Dritten über die Unterlassung reicht nicht aus. Vielmehr muss die Einhaltung der Anordnung auch überwacht werden. Hierzu konnte die Schuldnerin nicht substantiiert vortragen.


Des Weiteren besteht die Verpflichtung, Werbeadressaten über das Verbot zu informieren, wenn davon auszugehen ist, dass die irreführenden Angaben (oder wettbewerbswidrigen Angaben) im Gedächtnis Dritter fortleben. Auch hierzu konnte die Schuldnerin nichts konkretes Vortragen.


Auch auf der eigenen Domain hatte die Schuldnerin weiterhin so geworben und behauptet, die Seite sein nur vom Ausland aus aufrufbar gewesen.


Letztlich wurde der Schuldnerin vorgeworfen, grob fahrlässig gehandelt zu haben, weil sie den Rückruf unzureichend eingeleitet und überwacht hatte, Dritte unzureichend über geänderte Werbeinhalte informierte und die Eigenwerbung nicht abgeändert hatte.


Ein Ordnungsgeld von 200.000 € ist ungewöhnlich hoch. Im vorliegenden Fall ist die Höhe dieser Summe jedoch der Tatsache geschuldet, dass mit der Weiterführung der Werbung sehr viel Umsatz und damit auch Gewinn erzielt wurde.


Rückruf aber richtig


Gerade dann, wenn eine Unterlassung sich auf das Aussehen von Produkten, Werbeaussagen oder sonstigen Angaben auf Produkten oder das Produkt selbst bezieht (wie z.B. bei einer Markenrechtsverletzung) ist immer größte Vorsicht geboten, wenn das Produkt noch an Wiederverkäufer abgegeben wurde. Der Produktrückruf muss deutlich machen, dass das Produkt keinesfalls weiter vertrieben werden darf und das Werbung unverzüglich einzustellen ist.


Häufig, so mein Eindruck, wird übersehen, dass gewerbliche Abnehmer die Produkte häufig zum Wiederverkauf einkaufen. Das auch die weiteren Abnehmer in der Lieferkette informiert werden müssen, muss Bestandteil der Rückrufinformation sein. Eine Rückrufinformation muss klar und deutlich sein, darf kein Blatt vor den Mund nehmen.


Im oben besprochenen Fall wurde ein Ordnungsgeld verhängt. Wäre eine Unterlassungserklärung abgegeben worden, wäre eine erhebliche Vertragsstrafe zugunsten des Abmahners angefallen. Auch dies ist ein Aspekt, der bei einer produktbezogenen Abmahnung Beachtung finden sollte: ein Rückruf dauert und braucht Zeit. Eine Unterlassungserklärung wird häufig kurzfristig gefordert.


Bei einer derartigen Abmahnung ist daher größte Vorsicht geboten. In der Regel bietet es sich nicht an, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben.


Zu mir und meiner Tätigkeit:

Ich berate als Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz in meiner Kanzlei Internetrecht-Rostock.de tagtäglich Abgemahnte wie Sie und verfüge daher über Erfahrung aus einer Vielzahl von Abmahnverfahren.

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Johannes Richard
 Rechtsanwalt
 Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz


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