Änderung des NetzDG– Bis zu 150.000 Strafverfahren wegen Äußerungen auf Facebook, Instagram u.a.

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Digitaler Hass - Strafverfolgung durch Änderung des NetzDG

Nutzer sozialer Netzwerke müssen sich regelmäßig mit „digitalem Hass“ auseinandersetzen. Dabei geht es um sämtliche Äußerungen im öffentlichen Bereichen des Internets, durch die Menschen beleidigt und/oder bedroht werden. Nicht zwingend trifft digitale Gewalt immer eine Person direkt, oft werden „allgemeine“ Hassbotschaften verbreitet oder „der Staat“ oder auch andere Institutionen angegriffen. Fast jeder Nutzer der sozialen Netzwerke (Facebook, Instagram, Twitter, TikTok u.a.) war bereits an „digitalem Hass“ beteiligt, sei es als „Opfer“, als „Täter“ oder als „Zeuge“.

Das seit 2017 geltende Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) bewirkte zwar die Löschung einer Vielzahl von Beschwerden wegen strafbarer Inhalte nach einer Überprüfung. Da die Strafverfolgungsbehörden in vielen Fällen aber keine Kenntnis von den durch die Anbieter der sozialen Netzwerke gelöschten Inhalte erlangten, blieb es (in den aller meisten Fällen) bei der bloßen Löschung strafrechtlich relevanter Beiträge. Es wurde auf diese Weise der Eindruck verstärkt, dass sich das Internet – mangels strafrechtlicher Konsequenzen –zu einem rechtsfreien Raum entwickele.

Hierauf reagierte der Gesetzgeber. Um die Bekämpfung von „digitalem Hass“ weiter voranzubringen hat der Gesetzgeber das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) an einigen Stellen geändert. 

Zur (weiteren) Bekämpfung von Hasskriminalität verpflichtet das NetzDG nunmehr (seit dem 01. Februar 2022) die, seinem Anwendungsbereich unterliegenden, Anbieter sogenannter sozialer Netzwerke (insbesondere Meta für Facebook und Instagram, Twitter, TikTok und Google für YouTube), bestimmte strafrechtlich relevante Inhalte unmittelbar an das Bundeskriminalamt (BKA) zu melden. Von dort aus soll dann die Strafverfolgung durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden veranlasst werden.

Die „Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet (ZMI)“ mit rund 200 Beamtinnen und Beamten unter dem Dach des BKA wird daher zum 01. Februar 2022 ihre Arbeit aufnehmen. Ziel dieser Meldestelle ist es, eine konsequente Strafverfolgung der Verfasser solch strafbarer Inhalte durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden in den Ländern zu ermöglichen.


Bis zu 150.000 Strafverfahren wegen (strafbaren) Äußerungen auf sozialen Netzwerken erwartbar

Wegen der neuen Regelungen im Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) gegen Hass in sozialen Netzwerken rechnet das Bundeskriminalamt mit rund 150.000 Strafverfahren pro Jahr.

„Nach derzeitiger Schätzung ist jährlich mit rund 250.000 NetzDG-Meldungen zu rechnen, die etwa 150.000 neue Strafverfahren nach sich ziehen werden“, sagte ein BKA-Sprecher den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND).

Vor kurzem hatte auch der Richterbund diese Zahlen bestätigt und teilte mit, dass im Zusammenhang mit dem NetzDG von 150.000 neuen Strafverfahren jährlich gesprochen werden könnte.

Diese Meldepflicht für Straftaten in sozialen Netzwerken ist umstritten. Das BKA geht derzeit wohl noch davon aus, dass die US-Internetkonzerne Facebook und Google vorerst keine mutmaßlich strafbaren Delikte melden würden. Beide hatten beim Verwaltungsgericht Köln Anträge auf einstweilige Anordnungen gestellt.

Die beiden Konzerne halten es für unverhältnismäßig, dass sie alle Beiträge selbst auf Strafbarkeit prüfen und sie danach im Zweifel an das BKA weiterleiten zu müssen. Facebook (Meta) und Google klagten deshalb im Juli vergangenen Jahres. Das Bundesjustizministerium hatte daraufhin im August entschieden, dass es bis zur Entscheidung im Eilverfahren nicht auf Meldungen beider Konzerne bestehen wird.

Nunmehr ging auch TikTok diesen Weg und klagte vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen § 3a des NetzDG, wie ein Sprecher des Verwaltungsgerichts dem SPIEGEL bestätigte.



Das neue Verfahren zur (besseren) Verfolgung von strafbaren Inhalten auf den Plattformen, die unter das NetzDG fallen, soll dabei grundsätzlich wie folgt ablaufen:

  • Die Anbieter sozialer Netzwerke melden bestimmte strafrechtlich relevante Inhalte der zentralen Meldestelle beim Bundeskriminalamt samt zugehöriger IP-Adresse und Port-Nummer (vgl. § 3a NetzDG n.F.)

„strafrechtlich relevante Inhalte“ liegen jedenfalls dann vor, wenn ein „Anfangsverdacht“, also „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte” für eine „verfolgbare Straftat”, hinsichtlich der folgenden Straftatbestände vorliegt:

  1. § 86 StGB: Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen
  2. § 86a StGB: Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen
  3. § 89a StGB: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat
  4. § 91 StGB: Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat
  5. § 126 StGB: Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten
  6. § 129 StGB: Bildung krimineller Vereinigungen
  7. § 129a StGB: Bildung terroristischer Vereinigungen
  8. § 129b StGB: Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung
  9. § 130 StGB: Volksverhetzung
  10. § 131 StGB: Gewaltdarstellung
  11. § 140 StGB: Belohnung und Billigung von Straftaten
  12. § 184b StGB: Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften
  13. § 184d StGB: Zugänglichmachen pornographischer Inhalte mittels Rundfunk oder Telemedien; Abruf kin-
  14. der- und jugendpornographischer Inhalte mittels Telemedien
  15. § 241 StGB: Bedrohung;


  • Das Bundeskriminalamt schätzt daraufhin ein, ob die vom Betreiber des sozialen Netzwerks übermittelten Inhalte tatsächlich in dem vorstehenden Sinn strafrechtlich relevant sind;
  • Sollte diese Einschätzung positiv ausfallen, fordert das Bundeskriminalamt die bei dem Anbieter des sozialen Netzwerkes gespeicherten Daten an, soweit diese Daten zur Identifizierung des „Verfassers“ erforderlich sind Außerdem kann das Bundeskriminalamt nach § 10 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz - BKAG) von demjenigen, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, Auskunft über die nach den §§ 95 und 111 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) erhobenen Daten verlangen (§ 113 Abs. 1 S. 1 TKG).
  • Schließlich übermittelt das Bundeskriminalamt nach der Identifizierung des Verfassers, die von ihm als strafrechtlich relevant im Sinne des § 3a NetzDG n.F. angesehenen Inhalte sowie die beim Anbieter des sozialen Netzwerkes bzw. beim Anbieter von Telekommunikationsdiensten abgefragten Daten an die jeweils zuständigen Strafverfolgungsbehörden der Länder;
  • Erhebung von Daten durch die Strafverfolgungsbehörden der Länder im Rahmen der Strafverfolgung nach der Strafprozessordnung.

Was können Nutzer tun, wenn sie einen Anhörungsbogen wegen vermeintlich strafbarer Inhalte im Internet erhalten?

Es ist also zu erwarten, dass die Plattformbetreiber in naher Zukunft viele Meldungen an die entsprechende Stelle beim Bundeskriminalamt übermitteln werden. Es wird daher häufiger vorkommen, dass Nutzer von Plattformen wie Facebook, Instagram, Twitter, TikTok oder YouTube eine Strafanzeige erhalten und ein Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet wird.

Wenn Sie wegen einer vermeintlichen Straftat hinsichtlich einer Äußerung auf Plattformen wie Facebook oder Twitter eine Vorladung zur Polizei erhalten haben, so sollten Sie wie folgt vorgehen: 

  1. Den Anhörungsbogen sollten Sie lediglich bezüglich Ihrer Personalien ausfüllen. Beachten Sie, dass die Angaben zu Ihrer Person Pflicht sind.
  2. Schweigen Sie! Sie sollten die Äußerung auf Facebook, Instagram, Twitter, TikTok oder Youtube und damit die (vermeintliche) Tat nicht (zu vorschnell) eingestehen! Kontaktieren Sie zunächst einen Rechtsanwalt und lassen Sie sich von ihm beraten.
  3. Sofern Sie (zunächst) keinen Rechtsanwalt beauftragen, so können Sie wie folgt vorgehen: Schweigen Sie zunächst. Teilen Sie der Polizei mit, dass Sie sich schriftlich dazu erst einmal nicht äußern und dass Sie daher auch einer Vorladung nicht nachkommen werden. Außerdem sollten Sie schriftlich Akteneinsicht beantragen! Nach Erhalt und Durchsicht der Akten können Sie entscheiden, ob es sich lohnt, zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen. Wenn Sie die Tat gestehen, so sollten Sie gut überlegen, was Sie gestehen wollen und wieviel Sie von sich preisgeben möchten. Im Zweifel sollten Sie auch hier einen Rechtsanwalt kontaktieren und sich von diesem beraten lassen.

Sollte gegen Sie wegen einer Veröffentlichung in einem sozialen Netzwerk ermittelt werden, kann Ihnen dringend zur Kontaktaufnahme zu einem Rechtsanwalt geraten werden. Bei den sog. „Meinungsdelikten“ und Straftaten im Zusammenhang mit Äußerungen auf Facebook, Instagram, Twitter, TikTok und YouTube ist die Einholung fachspezifischen Rats sinnvoll, da bereits kleinste Detailfragen ausschlaggebend sein können, ob eine Äußerung am Ende als strafbar eingestuft wird oder nicht. Die Abgrenzung zwischen erlaubter Meinungsäußerung und strafbaren Verlautbarungen ist in den meisten Fällen äußerst schwierig.

Außerdem ist davon auszugehen, dass die Zahl der Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit Äußerungen auf Facebook, Instagram, Twitter, TikTok oder YouTube steigen wird, weil die Ermittler auf diesem Weg Beweismittel sichern wollen. Denkbar wäre hier z.B. auch die Beschlagnahme des Handys oder des Computers.

Was Sie bei einer Hausdurchsuchung tun sollten:

  • Lassen Sie sich den Durchsuchungsbeschluss zeigen. Machen Sie unbedingt eine Kopie oder ein Foto des Durchsuchungsbeschlusses.
  • Schweigen Sie auch hier! Machen Sie unbedingt kein Wort zur Sache! Sie sind lediglich verpflichtet, die Durchsuchung zu dulden. Aktiv mitwirken müssen Sie nicht.  
  • Lassen Sie sich den Namen der Polizeibeamten/ oder deren Dienstnummer geben lassen und diese unbedingt notieren.
  • Ziehen Sie Zeugen hinzu. Fragen Sie z.B. Nachbarn oder Freunde! Diese sollten sich ein Gedächtnisprotokoll anlegen.  
  • Lassen Sie sich von den Polizeibeamten ein Protokoll der Beschlagnahme (Beschlagnahmeprotokoll) geben oder fotografieren Sie dies ab!
  • Wichtig: Unterschreiben Sie nichts!
  • Lassen Sie sich auch nicht in eine Unterhaltung verwickeln, bei denen Sie die Tat einräumen könnten!
  • Auch Sie sollten sich ein Gedächtnisprotokoll nach der Durchsuchung anfertigen!

In vielen Fällen wird sich herausstellen, dass der Nutzer tatsächlich keinen strafbaren Inhalt veröffentlichte.  In diesen Fällen kann erreicht werden, dass das Verfahren gegen den betroffenen Nutzer eingestellt wird. Ferner könnte gegenüber dem Plattformbetreiber ein Anspruch auf Wiederherstellung des „Posts“ durchgesetzt werden. Facebook, Instagram, Twitter, TikTok oder YouTube wäre dann verpflichtet, den jeweiligen Beitrag wieder zu veröffentlichen.

Daneben dürfte ein (durchsetzbarer) Löschungsanspruch gegenüber der Zentralstelle beim Bundeskriminalamt bestehen. Ferner könnte erreicht werden, dass festgestellt wird, ob die Übermittlung der Daten rechtswidrig war. In diesen Fällen könnten von der (rechtswidrigen) Übermittlung an das Bundeskriminalamt betroffenen Nutzern sogar ein Schadenersatzanspruch zustehen.

Sollten Sie eine kostenlose und unverbindliche Ersteinschätzung wünschen, dann können Sie sich gerne bei mir melden.

Schreiben Sie mir oder rufen mich gleich an!

Ihr

Marek van Hattem

Rechtsanwalt bei Himmelreither



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