Akteneinsicht eines Prüflings – Verwaltungsgericht Hannover entscheidet über das Verfahrensrecht

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Schlömer und Sperl Rechtsanwälte konnten einen beachtlichen Erfolg vor dem Verwaltungsgericht Hannover in einem Eilverfahren erzielen (VG Hannover, Beschl. v. 18.10.2016 – 6 B 5266/16).

Inhaltlich ging es um die Frage der Akteneinsicht im Rahmen einer Prüfungsanfechtung, wobei es im vorliegenden Fall um die Abiturprüfung ging. Unserem Mandanten wurde es außergerichtlich nicht gestattet, Fotokopien der Aufgabenstellungen und den Erwartungshorizonten zu den gefertigten Abiturprüfungsarbeiten anfertigen zu lassen. Schlömer und Sperl Rechtsanwälte hatten zuvor Widerspruch gegen das Ergebnis der Abiturprüfung eingelegt und Akteneinsicht in die Prüfungsakten gefordert.

Obwohl mehrfach auf das Verfahrensrecht der Akteneinsicht hingewiesen worden ist, verwies sowohl die Gegenseite, als auch die niedersächsische Landesschulbehörde auf § 25 der Verordnung über die Abschlüsse in der gymnasialen Oberstufe, im Beruflichen Gymnasium, im Abendgymnasium und im Kolleg (AVO-GOBAK). Schlömer und Sperl Rechtsanwälte konnten diese Handhabung der Schule und Schulbehörde nicht nachvollziehen, da dadurch effektiver Rechtsschutz in prüfungsrechtlichen Angelegenheiten vereitelt wird. Es wurde u.a. vorgetragen, dass Art. 12 Abs. 1 GG es gebietet, dass ein Vorverfahren in der Form eines eigenständigen verwaltungsinternen Kontrollverfahrens bzw. Überdenkungsverfahrens durchgeführt wird. Denn die gerichtliche Kontrolle trägt dem Grundrechtsschutz des Prüflings nicht hinreichend Rechnung, weil den Prüfern bei prüfungsspezifischen Wertungen ein „gerichtsfreier“ Bewertungsspielraum verbleibt.

Das Überdenkungsverfahren stellt deshalb im Prüfungsrecht einen nach den Art. 12 Abs. 1 und 19 Abs. 4 GG unerlässlichen Ausgleich für die beschränkten Kontrollbefugnisse der Gerichte dar (Niehues/Jeremias/Fischer, Prüfungsrecht, 6. Aufl., Rn. 759 ff. m.w.N., insbes. aus der Rspr. des BVerfG). Damit kommt dem Vorverfahren gegenüber einem sich später evtl. anschließenden gerichtlichen Verfahren für den Grundrechtsschutz eine mindestens ebenso große Bedeutung zu. Das Verfahrensrecht kann deshalb in diesem Stadium nicht weniger Rechte gewähren als im Stadium des gerichtlichen Verfahrens, in dem ihm die vom Antragsteller reklamierten Verfahrensrechte ohne Weiteres zustünden.

Ein Überdenkungsverfahren findet aber (mit Aussicht auf Erfolg) nur insoweit statt, als der Prüfling konkrete und substantiierte Einwendungen erhoben hat. Solche Einwendungen gegen die Bewertung von Prüfungsleistungen kann der Prüfling regelmäßig nur vortragen, wenn er die ggf. mit Korrekturen vermerkten und Bewertungsbegründungen der Prüfer versehenen Prüfungsarbeiten und sonstigen -leistungen einer zeitlich und sachlich ausreichenden Überprüfung unterziehen kann. Das gilt insbesondere, wenn es darum geht, die fachliche Richtigkeit oder Vertretbarkeit eigener Ausführungen durch Gegenüberstellung mit anderen ernsthaft vertretenen Meinungen zu belegen (BVerwG, Urt. v. 24.02.1993, NVwZ 1993, 681; OVG NW, Urt. v. 23.01.1995, NVwZ 1995, 800). Kann sich der Prüfling bei der Einsicht in seine Prüfungsakten allenfalls Notizen machen – was hier der Fall ist – und wird ihm die Anfertigung von Kopien verwehrt, so wird ihm die Durchführung eines verwaltungsinternen Kontrollverfahrens und damit die Gewährung effektiven Rechtsschutzes unverhältnismäßig erschwert.

Dieser Rechtsauffassung folgte das Verwaltungsgericht Hannover – es verpflichtete die Schule dazu, unserer Mandantschaft zu gestatten, aus den geführten Akten über die Abiturprüfung Fotokopien zu fertigen. Obwohl das Verwaltungsgericht Hannover anregte, dem Begehren des Antragstellers nachzukommen, um das Verfahren dann unstreitig zu beenden, verlangte die Niedersächsische Landesschulbehörde eine gerichtliche Entscheidung. Auch zuvor haben Schlömer und Sperl mehrfach sowohl die Schule, als auch die Landesschulbehörde angeschrieben und darum gebeten, Fotokopien der Prüfungsakten anfertigen zu lassen. Offenkundig wollte die Gegenseite aber unbedingt eine gerichtliche Entscheidung.

Kommentar

Die Entscheidung zeigt, wie wichtig und essenziell das Recht auf Akteneinsicht für den Prüfling ist und wie oft den Prüflingen dennoch Steine in den Weg geworfen werden. Es ist nicht nachvollziehbar, warum immer wieder im Vorverfahren versucht wird, ein derart starkes Verfahrensrecht einzuschränken. Dies gilt nicht nur für Schulen, sondern auch für Universitäten. Auch dort kann es mitunter vorkommen, dass dem Prüfling sogar vollständig Akteneinsicht verwehrt oder nur mit erheblichen Einschränkungen gewährt wird. Der betroffene Prüfling sollte sich in diesen Fällen anwaltlichen Rat einholen, denn im Prüfungsrecht herrscht in der Regel eine Eilbedürftigkeit. Der Prüfling kann in Fällen von Prüfungsanfechtungen nur dann konkrete Einwendungen vorbringen, wenn ihm auch vollständig Akteneinsicht gewährt wird.


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