Auch ein Kutscher ist ab einer BAK von 1,1 ‰ absolut fahruntüchtig, so das OLG Oldenburg

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Auch ein Kutscher ist ab einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,1 ‰ absolut fahruntüchtig. Das hat das OLG Oldenburg entschieden.

Zum Sachverhalt:

Das Landgericht hatte zunächst festgestellt, dass der Angeklagte gegen 22:30 Uhr mit einer von zwei Pferden gezogenen Kutsche eine öffentliche Straße befahren habe. Dabei ist er von zwei Polizeibeamten kontrolliert worden. Die daraufhin angeordnete Blutprobe hat für den Entnahmezeitpunkt um 0:10 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von 1,98 ‰ ergeben.

Das Landgericht ging sodann davon aus, dass die allgemein geltenden BAK-Grenzen nicht auf die Fahrt mit einer Kutsche zu übertragen sein.

Dieser Rechtsauffassung wollte sich das Oberlandesgericht Oldenburg nicht anschließen.

Das OLG Oldenburg begründet dies wie folgt:

Das OLG wies zunächst darauf hin, dass der BGH bereits 1966 (BGH, Urteil vom 9.12.1966 – Az.: 4 StR 119/66) hervorgehoben habe, dass ein Kraftfahrer (unter Berücksichtigung eines im Hinblick auf etwaige Ungenauigkeiten bei der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes gebotenen Sicherheitszuschlages von 0,2 ‰) bei einer Alkoholkonzentration von 1,3 ‰ nicht mehr in der Lage sei, den Anforderungen schwieriger Verkehrslagen, wie sie jederzeit eintreten könnten, zu genügen. Die Teilnahme eines solchen Kraftfahrers am Straßenverkehr sei nicht mehr zu verantworten, er sei deswegen fahruntüchtig.

Nachdem der BGH diesen Grenzwert mit seiner Entscheidung im Jahr 1981 (BGH, Urteil vom 29.10.19814 – StR 262/81) zunächst auf Mofafahrer übertragen hatte, setzte er im Jahr 1986 (BGH, Urteil vom 17.07.1986 – 4 StR 543/85) den Grenzwert für Radfahrer auf 1,7 ‰ BAK fest. Bei der Festlegung des Grenzwertes für Radfahrer sei – so der BGH damals – von erheblicher Bedeutung, dass alkoholisierte Radfahrer wegen ihrer Gleichgewichtsbeeinträchtigung durch plötzliche, unkontrollierte Lenkbewegungen andere erheblich schneller fahrende Verkehrsteilnehmer zu Ausweichmanövern veranlassen könnten, die nicht nur für die ausweichenden, sondern vor allem auch für die entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer in hohem Maße gefährlich seien. Im Jahr 1990 (BGH, Beschluss vom 28.06.1990 – 4 StR 297/90) hatte der BGH sodann den Grenzwert mit einem Sicherheitszuschlag von 0,1 ‰ – auf 1,1 ‰ BAK herabgesetzt. Hinsichtlich des für Radfahrer geltenden Wertes wird heute mit Blick auf die Genauigkeit verbesserter Messverfahren nur noch ein Sicherheitszuschlag von 0,1 ‰ vorgenommen, weshalb der Grenzwert sich mit 1,6 ‰ BAK errechnet (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 316, Rn. 26 f.).

Dieser Grenzwert wurde in der Rechtsprechung teilweise bereits auf Benutzer von elektrisch angetriebenen Rollstühlen übertragen (Fischer, aaO., Rn. 27). Beim Führen von Schienenfahrzeugen sind keine absoluten Grenzwerte festgelegt; die h.M. will jedoch den für Radfahrer maßgeblichen Wert anwenden (vgl. Fischer, aaO., Rn. 28 m.w.N.).

Es sei – so das OLG – daher darauf abzustellen, ab wann eine zur absoluten Fahruntüchtigkeit führende Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugführers gegeben ist. Dies habe sich nach dem in Rede stehenden Fahrzeug selbst und den im Straßenverkehr an die Nutzung dieses Fahrzeugtyps gestellten Anforderungen zu bemessen. Je höher diese Anforderungen sind, desto niedriger falle der Grenzwert aus.

Das OLG beurteilte daher zunächst, welche Anforderungen an einen Kutscher zu stellen seien: 

Ein Gespannwagenfahrer habe im Vergleich zu einem Radfahrer ungleich höhere und schwierigere Anforderungen zu erfüllen. Fahrfehler des Kutschers – wie Verlust des Gleichgewichts, zu locker geführte Leinen oder Fehleinschätzungen einer Verkehrssituation – könnten sich gefährlich auswirken, weil das Pferd – mit Ausnahme des immer dieselbe Strecke zurücklegenden Tieres – zu keiner angemessenen Eigenreaktion fähig sei, sondern sich auf seine Führung durch den Fahrer verlasse. Im Hinblick auf den Umstand, dass ein Pferd ein Fluchttier sei und jederzeit etwas Unverhofftes passieren könne, komme der Reaktionsfähigkeit des Kutschers daher sogar eine besondere Bedeutung zu. Sollte ein Tier ausbrechen, könne die Kutsche im vollen Galopp eine Geschwindigkeit von mehr als 40 km/h erreichen. Es sei in einer solchen Situation aufgrund des Fluchtinstinktes schwierig, die Pferde und die Kutsche zum Stehen zu bekommen; im Regelfall ließen sich die Tiere erst durch Hindernisse aufhalten. Der Gespannführer müsse somit – anders als ein Radfahrer – jederzeit in der Lage sein, innerhalb kürzester Zeit reagieren und seine für die Führung der Pferde wichtige Stimme sowie die Leinen einsetzen zu können.

Diese Aufgaben hält das OLG für deutlich schwieriger zu erfüllen als die Anforderungen z.B. an einen Radfahrer. Das OLG wollte daher nicht annehmen, dass die typischen alkoholbedingten Einbußen in der Leistungsfähigkeit bei einem Kutscher für die Beeinträchtigung der Fähigkeit zum sicheren Führen des Gespanns in geringerem Ausmaß zum Tragen kämen, als bei anderen Fahrzeugführern. Vor diesem Hintergrund seien die an einen Kutscher im Straßenverkehr für ein sicheres Führen seines Fahrzeugs zu stellenden Anforderungen nach Überzeugung des OLG jedenfalls nicht geringer zu bewerten, als diejenigen, die ein Kraftfahrer zu erfüllen hat.

Zur Überzeugung des OLG komme dem Pferdegespann daher ein dem PKW vergleichbares unmittelbares Potential zur Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zu. (Das OLG äußert sich jedoch nicht dazu, aus welchen Gründen der Gesetzgeber gerade keine Fahrerlaubnis für eine Kutsche vorsieht. Hierin könnte man wohl auch eine anderslautende Wertung des Gesetzgebers erkennen).

Aus dieser Überzeugung heraus hält das OLG insgesamt den Grenzwert von 1,1 ‰ BAK für die alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit von Kraftfahrern auf den Führer einer Pferdekutsche für übertragbar.

(OLG Oldenburg, Urteil vom 24.01.2014 – 1 Ss 204/13)



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