BAG: Krankheitsbedingte Kündigung eines erneut erkrankten Beschäftigten ist ohne neuerliches bEM unwirksam

  • 4 Minuten Lesezeit

Das Bundesarbeitsgericht hat in einem aktuellen Verfahren (Az.: 2 AZR 138/21) die krankheitsbedingte Kündigung eines Arbeitnehmers für unwirksam erklärt, weil der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung kein erneutes betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) versucht hat, obwohl der Arbeitnehmer im Zeitraum von einem Jahr nach Abschluss des ersten bEM erneut durchgängig länger als 6 Wochen arbeitsunfähig war.

Krankheitsbedingte Kündigung erfordert grundsätzlich ein vorheriges bEM

Vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung muss der Arbeitgeber grundsätzlich ein bEM versuchen. Dessen Ziel wird in § 167 Abs. 2 SGB IX genauer definiert:

" Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement)."

Wird der Schwellenwert von 6 ununterbrochenen Wochen Arbeitsunfähigkeit überschritten, ist der Arbeitgeber also verpflichtet, ein bEM durchzuführen. Das BAG definiert hierfür konkrete Vorgaben:

"Ziel des bEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und herauszufinden, ob Möglichkeiten bestehen, eine bestehende Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu fördern [...]  Um eine Sicherung des Arbeitsverhältnisses durch eine verstärkte Gesundheitsprävention zu erreichen, mit der weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten nach Möglichkeit vorgebeugt werden kann, ist es geboten, dass der Arbeitgeber unverzüglich tätig wird, sobald diese Schwelle überschritten ist."

Keine einseitige Beendigung des bEM durch den Arbeitgeber

In dem zugrunde liegenden Verfahren war der Kläger nach einem bEM erneut für längere Zeit arbeitsunfähig. Im Streit stand u.a., ob das erste bEM bereits abgeschlossen war, wie der Arbeitgeber im Verfahren vortragen ließ. 

Hierfür sah das BAG allerdings keinen Anlass, denn der Arbeitgeber könne das bEM gar nicht einseitig beenden. Maßgeblich sei vielmehr,  dass "auch vom Arbeitnehmer und den übrigen beteiligten Stellen keine ernsthaft weiterzuverfolgenden Ansätze für zielführende Präventionsmaßnahmen aufgezeigt wurden, [...]". Somit muss ein Arbeitgeber, der der Auffassung ist, dass ein bEM nicht mehr sinnvoll durchgeführt werden kann, weil aus seiner Sicht z.B. eine Weiterbeschäftigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz nicht möglich ist, seinen Beschäftigten (und z.B. dem beteiligten Betriebsrat und/oder der Schwerbehindertenvertretung) die Möglichkeit geben, ggfl. noch weitere Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Hierfür hat der Arbeitgeber den Beteiligten eine angemessene Frist zu setzen.

Bei erneuter Arbeitsunfähigkeit ist ein neues bEM erforderlich

Doch selbst wenn ein bEM als abgeschlossen gilt, macht eine darüber hinaus andauernde Arbeitsunfähigkeit ein erneutes bEM erforderlich, urteilte das BAG weiter. Im Ablauf von weiteren 6 Wochen könnten sich nämlich neue Kenntnisse zu den Ursachen der Erkrankung und damit ggfl. auch neue Möglichkeiten zu einer leidensgerechten Weiterbeschäftigung ergeben. 

Zwar kann der Arbeitgeber im Kündigungsschutzverfahren grundsätzlich geltend machen, dass bereits das erste (erfolglose) bEM Rückschlüsse auf eine Nutzlosigkeit eines erneuten bEM erlaubt. Hierfür ist er jedoch voll darlegungs- und beweisbelastet. Dieser sei der Arbeitgeber im hiesigen Rechtsstreit jedoch nicht nachgekommen, entschied das BAG.

Der beklagte Arbeitgeber hatte sich nämlich mit einem bloßen Hinweis begnügt, dass es einfach keinen leidensgerechten Arbeitsplatz im Betrieb gäbe. Dies ließ das BAG jedoch nicht ausreichen. Der Arbeitgeber hätte vielmehr vortragen müssen, welche zumutbaren Maßnahmen und/oder eine Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz er in Betracht gezogen hat. Auch hierfür sei ein bEM zumindest förderlich gewesen. Da der Arbeitgeber dies nicht getan hatte, war die ausgesprochene Kündigung unwirksam.

Praxistipp: bEM-Gespräche nicht leichtfertig ablehnen!

Das o.g. Urteil des BAG stärkt länger erkrankten Arbeitnehmer*innen zunächst den Rücken und setzt relativ hohe Hürden für eine krankheitsbedingte Kündigung. Allerdings nur dann, wenn der/die Betroffene sich auch beteiligt und einer Einladung zum bEM-Gespräch nachkommt. Arbeitnehmer*innen haben gem. § 167 Abs. 2 SGB IX die Möglichkeit eine Vertrauensperson nach eigener Wahl (z.B. ein Betriebsratsmitglied) und ggfl. die Schwerbehindertenvertretung hinzuziehen, sodass niemand befürchten muss, dem Arbeitgeber allein gegenübertreten zu müssen.  

Selbst wenn ein bEM zunächst ergebnislos geblieben ist, muss geprüft werden, ob es noch weitere Ansatzpunkte gibt, die eine weitere Erkrankung und eine krankheitsbedingte Kündigung verhindern könnten. Wenn Sie hierfür Unterstützung benötigen, können Sie sich gerne an mich wenden. In keinem Fall sollten Sie aber einem Abbruch des bEM zustimmen, nur weil Ihnen der Arbeitgeber zu verstehen gibt, es gäbe für Sie z.B. "keine Zukunft" oder "keine Beschäftigungsmöglichkeit" mehr im Betrieb. Für eine krankheitsbedingte Kündigung reichen diese "Klassiker" jedenfalls nicht aus.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Volkan Ulukaya

Beiträge zum Thema