BAG: Verfall von Urlaub bei Dauererkrankungen des Arbeitnehmers

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BAG, Urteil vom 20. Dezember 2022 – 9 AZR 245/19

Die Rechtsprechung zum Thema Urlaub entwickelt sich stetig weiter. Das BAG hatte sich kürzlich im Rahmen einer Vorabentscheidung an den EuGH gewandt, der hierzu entschieden hatte (Urteil vom 22.9.2022 – C-518/20, C-727/20), dass ein Urlaubsanspruch bei Langzeiterkrankungen nicht automatisch verfällt. Nunmehr hat das BAG das Urteil des EuGH vom 22. September 2022 in seiner aktuellen Entscheidung umgesetzt und die bisherige Rechtsprechung zum Thema Urlaub weiterentwickelt.

Sachverhalt

Der als schwerbehinderter Mensch anerkannte Kläger ist als Frachtfahrer bei der beklagten Flughafengesellschaft beschäftigt. Der Kläger konnte im Zeitraum vom 1. Dezember 2014 bis mindestens August 2019 wegen voller Erwerbsminderung aus gesundheitlichen Gründen seine Arbeitsleistung nicht erbringen. Aus diesem Grund konnte er auch seinen Urlaub in diesem Zeitraum nicht nehmen. Mit seiner Klage begehrt er Resturlaub in Höhe von 24 Tagen aus dem Jahr 2014. Nach Ansicht des Klägers sei dieser nicht verfallen, weil die Beklagte ihren Obliegenheiten, an der Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub mitzuwirken, nicht nachgekommen sei. Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das BAG gab dem Kläger bezüglich des Resturlaubsanspruchs überwiegend recht. Der nicht genommene Urlaub aus dem Jahr 2014 könne nicht allein aus gesundheitlichen Gründen verfallen.

Grundsätzlich gilt zwar, dass Urlaubsansprüche nach Auffassung des BAG nur dann am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums erlöschen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor durch Erfüllung sog. Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Jedoch bestünden Besonderheiten, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub aus gesundheitlichen Gründen nicht nehmen könne.

Nach der Entscheidung des EuGH müsse die bisherige deutsche Rechtsprechung weiter entwickelt werden. Bisher galt, dass bei dauerhafter Arbeitsunfähigkeit die gesetzlichen Urlaubsansprüche ohne weiteres mit Ablauf des 31.03. des Folgejahres untergingen (sog. 15-Monats-Frist).

Nunmehr verfalle der Urlaubsanspruch mit Ablauf der 15-Monats-Frist zwar weiterhin, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert gewesen sei, seinen Urlaub anzutreten. In diesem Fall könne es auch nicht darauf ankommen, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen sei, weil diese nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs hätten beitragen können.

Eine andere Beurteilung bedarf jedoch der Fall, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet habe, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden sei. Dann setze die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG regelmäßig voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in die Lage versetzt haben muss, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen.

Der Resturlaubsanspruch des Klägers war somit nicht verfallen, da er nach Eintritt seiner vollen Erwerbsminderung aus gesundheitlichen Gründen außerstande war, seinen Urlaub anzutreten und die Beklagte ihren Mitwirkungsobliegenheiten bis zum 1. Dezember 2014 nicht nachgekommen ist, obwohl es ihr möglich war.  

Was bedeutet die Entscheidung für die Praxis?

Ab sofort ist die Anwendung der 15-Monats-Frist bei Urlaubsansprüchen von Langzeiterkrankten nicht mehr in jedem Fall geboten. Es muss vielmehr differenziert werden, ob es sich um Urlaub handelt, der vollständig während der Arbeitsunfähigkeit entstanden ist oder um Urlaub, der noch vor der Arbeitsunfähigkeit bestanden hat.

Es gilt: 

1. Urlaub, der erst während der Arbeitsunfähigkeit entsteht, verfällt weiterhin ohne Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers nach Ablauf der 15-Monats-Frist. 

2. Urlaub, der vor Beginn der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit entstanden ist, erlischt nur bei Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten.

Die Entscheidung dürfte somit von Arbeitnehmern begrüßt werden. Arbeitgeber sollten ihrer Mitwirkungsobliegenheit möglichst frühzeitig im Kalenderjahr nachkommen, um bei einem Eintritt einer Dauererwerbsunfähigkeit eine Inanspruchnahme des vollständigen Urlaubsanspruchs ermöglicht zu haben.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 47/22 des Bundesarbeitsgerichts vom 20.12.2022

verfasst von Leonie Jost


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