Berufsunfähigkeitsversicherung: Multiple Sklerose – Erkrankung und spontane Anzeigepflicht

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Ein Beitrag von Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte 

Das Landgericht Heidelberg hatte sich mit Urteil vom 08.11.2016 (Az. 2 O 90/16) mit dem Thema der Erkrankung an „Multipler Sklerose“ im Rahmen einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu befassen. Die beklagte Versicherung verweigerte die Leistung und warf dem Kläger arglistige Täuschung vor. 

Der Sachverhalt vor dem LG Heidelberg:

Der Kläger war Orthopädietechniker und ist seit 2002 an multipler Sklerose erkrankt. Im Jahr 2010 schloss er eine Berufsunfähigkeitsversicherung ab und versicherte eine monatliche Rente in Höhe von 1.000 Euro. 

Im Versicherungsantrag vom 25.03.2010 finden sich keine Gesundheitsfragen. Stattdessen enthält der Versicherungsantrag nur eine bereits vorgedruckte Erklärung, deren Richtigkeit der Kläger durch Ankreuzen bestätigte. Diese Erklärung hat den folgenden Wortlaut:

„Ich erkläre, dass bei mir bis zum heutigen Tage weder ein Tumorleiden (Krebs), eine HIV-Infektion (positiver AIDS-Test), noch eine psychische Erkrankung oder ein Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) diagnostiziert oder behandelt wurden. Ich bin nicht pflegebedürftig. Ich bin fähig, in vollem Umfange meiner Berufstätigkeit nachzugehen.

Am 30.08.2012 stellte der Kläger einen Leistungsantrag wegen Berufsunfähigkeit bei seiner Berufsunfähigkeitsversicherung. In diesem Antrag gab er an, seit 2002 an multipler Sklerose erkrankt zu sein und seitdem fortlaufend behandelt worden sei.

Mit Schreiben vom 07.03.2013 erklärte die Beklagte Versicherung die Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung. Dieses begründete der Versicherer damit, dass der Kläger in dem Versicherungsantrag unzutreffende Gesundheitsangaben gemacht habe, da unter Würdigung der Gesamtumstände davon auszugehen sei, dass er bereits bei Antragstellung nicht in der Lage gewesen sei, in vollem Umfang seiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen. 

Darüber hinaus habe der Kläger gefahrerhebliche Umstände vorsätzlich verschwiegen und seine vorvertragliche Anzeigeobliegenheit in erheblichem Maße arglistig verletzt. Außerdem trat die Beklagte vom Vertrag zurück.

Die rechtliche Würdigung des LG Heidelberg:

Das LG Heidelberg entschied, dass eine Berufsunfähigkeitsversicherung nicht zahlen muss, wenn der Versicherungsnehmer eine MS-Erkrankung verschwiegen hat, ohne dass die Versicherung danach gefragt hat. Die Versicherung hatte in dem Versicherungsantrag zwar nicht explizit nach einer MS-Erkrankung gefragt, doch sei es für den Kläger – nach Ansicht des LG Heidelberg – offensichtlich gewesen, dass durch seine Krankheit eine Berufsunfähigkeit eintreten würde. 

Das Gericht ließ dabei sogar offen, ob eine arglistige Täuschung darin liegt, dass der Kläger durch Ankreuzen der vorgedruckten Erklärung zu seinem Gesundheitszustand in dem Versicherungsantrag die Angabe machte, dass er bei Antragstellung fähig gewesen sei, in vollem Umfang seiner Berufstätigkeit nachzugehen. Die erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung sei jedenfalls deswegen begründet, weil der Kläger arglistig gefahrerhebliche Umstände, zu deren Offenbarung er nach Treu und Glauben verpflichtet war, verschwiegen hat.

Indem der Kläger bei Antragstellung nicht angab, dass er an MS leide, die erstmals im Jahr 2002 diagnostiziert und wegen der er seitdem fortlaufend ärztlich behandelt wurde, hat er einen gefahrerheblichen Umstand, der für die Bereitschaft der Beklagten, den Vertrag über eine Berufsunfähigkeitsversicherung zu den von ihr angebotenen Konditionen abzuschließen, von erheblicher Bedeutung war, arglistig verschwiegen.

Das Gericht nahm damit eine Offenbarungspflicht als „spontane Anzeigepflicht“ (vgl. BT/Drs. 16/3945, S. 64 f.) an. Beim Abschluss von Verträgen besteht grundsätzlich eine Offenbarungspflicht über solche Umstände, hinsichtlich derer der Vertragspartner nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise Aufklärung erwarten durfte. 

Auf den Versicherungsvertrag bezogen bedeutet dies, dass jedenfalls diejenigen Umstände offenbart werden müssen, die ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer für gefahrerheblich, d. h. für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, für bedeutsam halten muss. 

Nach diesem Maßstab handelte es sich bei der MS-Erkrankung des Klägers im Zusammenhang mit dem Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung um einen gefahrerheblichen und damit offenbarungspflichtigen Umstand, da es einem an multipler Sklerose erkrankten Versicherungsnehmer bekannt sei, dass die multiple Sklerose eine nicht heilbare Krankheit mit in der Regel fortschreitendem Verlauf ist, mit der ein stark erhöhtes Risiko der Berufsunfähigkeit einhergeht.

Auswirkungen für die Praxis

Das Urteil überzeugt nicht, denn das Gericht nimmt an, dass dem Versicherungsnehmer bereits 2002 bekannt gewesen sei, dass er berufsunfähig sei oder auf jeden Fall werden würde. Das Gericht spricht jedoch selbst von einer Krankheit „mit in der Regel fortschreitendem Verlauf“, nicht von einem definitiv fortschreitenden Verlauf. 

Vorliegend stand auch noch fest, dass der Kläger – zum Zeitpunkt der Beantragung der Berufsunfähigkeitsversicherung – normal gearbeitet hatte. Gerade Versicherer vertreten in BU-Leistungsfällen die Argumentation, es handele sich bei MS um eine Schubkrankheit, sodass nie feststehen könne, ob die Schübe die Arbeitskraft überhaupt in einem bedingungsgemäßen Maße beinträchtigen können. 

Mit dieser Ansicht lehnen Versicherer oft Leistungen ab. Das Gericht nimmt vorliegend eine spontane Anzeigepflicht für einen Umstand an, für welchen dem Versicherungsnehmer nicht einmal Umstände vorlagen, die auf eine reine Berufsunfähigkeit deuteten. Zumindest in diesem vorliegenden Einzelfall, hätte eine andere gerichtliche Wertung mehr überzeugt. Mithin wird dieses Urteil angezweifelt.

Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke

Fachanwalt für Versicherungsrecht

Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz

Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB



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