Betriebsratssitzungen sind nunmehr auch per Video- oder Telefonkonferenz möglich

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Betriebsräte und andere Mitarbeitervertretungen (z. B. Jugend- und Ausbildungsvertretungen) wirken und bestimmen in Betrieben mit. Die diesbezügliche Willensbekundung findet wie bei allen Kollegialorganen durch Beschlüsse statt. In Zeiten pandemiebedingter Abstandsgebote haben Betriebsräte dabei ein bisher nicht gekanntes Problem. Rechtswirksame Beschlüsse müssen nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) in ordnungsgemäß einberufenen und abgehaltenen Sitzungen gefasst werden.

Bisher galt der Grundsatz des Sitzungszwangs

Nach § 33 Abs. 1 S. 1 BetrVG können Beschlüsse nur durch die „anwesenden“ Mitglieder gefasst werden. Ein bisschen versteckt in § 30 S. 4 BetrVG findet sich zudem die Vorgabe, dass Sitzungen des Betriebsrats nicht öffentlich sind. Damit soll eine Einflussnahme Dritter ausgeschlossen und die Unbefangenheit der Abstimmungsberechtigten sichergestellt werden. Möglich ist dies nach nahezu einhelliger Meinung grundsätzlich nur, wenn sich die Gremiumsmitglieder gleichzeitig im selben Raum befinden. Beschlüsse durften deshalb nach bisheriger Rechtslage weder im so genannten Umlaufverfahren noch auf elektronischem Wege oder per Videokonferenz gefasst werden.

Wie kann man nun in einem vielköpfigen Gremium dem pandemiebedingten Abstandsgebot (Physical Distancing) sowie dem Gesundheitsschutz und der Anwesenheitspflicht gleichzeitig gerecht werden? Muss beispielsweise für einen 25-köpfigen Betriebsrat jetzt eine Stadthalle gemietet werden und darf man von Betriebsratsmitgliedern überhaupt verlangen, dass sie an Sitzungen mit mehreren Personen teilnehmen? Schon bisher wurde (aber nur vereinzelt) vertreten, dass ein Betriebsrat in Ausnahmesituationen Beschlüsse per Videokonferenz fassen könne, sofern kein Betriebsratsmitglied dieser Handhabung widerspricht.

Video- und Telefonkonferenzen sichern die Handlungsfähigkeit

Wie löst man nun diesen Konflikt, zumal es derzeit einer gesteigerten Handlungsfähigkeit vieler Betriebsräte bedarf, die ja auch im betrieblichen Wohl liegt? Beispielsweise unterliegt die durch Kurzarbeitergeld geförderte Kurzarbeit in Betrieben der Mitbestimmung des Betriebsrats und darf nur auf Grundlage einer mit dem Betriebsrat geschlossenen Betriebsvereinbarung durchgeführt werden, da die Arbeitsagenturen Kurzarbeit sonst nicht genehmigen. Wie kommt aber der Beschluss des Betriebsrats wirksam zustande, der eine solche Betriebsvereinbarung absegnet?

Bisher gab es nur eine Erklärung von Bundesarbeits- und Sozialminister Hubertus Heil, dass eine Ausnahmesituation vorliege, die eine Beschlussfassung auf elektronischem Wege erlaube. Dass die Arbeitsgerichte dabei mitspielen, ist aber nicht ausgemacht. Deshalb war eine Absicherung durch den Gesetzgeber überfällig. Eine Regelung, die es bisher nach § 41a EBRG nur für Besatzungsmitglieder von Seeschiffen in Europäischen Betriebsräten gab, ist in etwas ausführlicherer Form als neuer § 129 BetrVG rückwirkend auch für andere Arbeitnehmervertretungen zum 1. März 2020 befristet bis zum 31. Dezember 2020 in Kraft getreten. Für viele Betriebsräte und auch für Arbeitgeber ist dies eine enorme Hilfestellung, die gegebenenfalls jahrelange Rechtsstreite vor den Arbeitsgerichten vermeidet.

Praxishinweis:                                                               

Betriebsräte sollten nunmehr am besten durch eine Regelung in ihrer Geschäftsordnung die (begrenzte) Möglichkeit der Beschlussfassung per Telefon- oder (wohl noch besser) Videokonferenz eröffnen. Die Teilnehmenden brauchen ihre Teilnahme an einer derartigen Sitzung lediglich in Textform (beispielsweise per E-Mail) zu bestätigen. Es bedarf dann in keiner Anwesenheitsliste, in die sich die Teilnehmenden eigenhändig einzutragen haben (Ausnahme zu § 34 Abs. 1 S. 3 BetrVG). Wichtig ist in diesem Zusammenhang, durch technische Vorkehrungen für einen unbedingten Schutz der in diesem Zusammenhang genutzten und produzierten Daten zu sorgen.

Die Möglichkeit der Kommunikation per audiovisueller Einrichtungen ist nach dem neuen § 129 Abs. 2 BetrVG auch für Wirtschaftsausschüsse und Einigungsstellen eröffnet. Die gesetzlichen Änderungen gelten nach § 129 Abs. 1 S. 4 BetrVG auch für Sitzungen der Ausschüsse (z. B. Betriebs-, Personal-, IT-Ausschuss). Die IT wird zur Hochform auflaufen müssen, um die nach § 129 Abs. 3 BetrVG mittels audiovisueller Einrichtungen ebenfalls zulässigen Betriebsversammlungen zu ermöglichen.

Wichtig ist schließlich, zu bedenken, dass die Vorsitzenden der Gremien nach der neunen gesetzlichen Regelung in § 129 Abs. 1 S. 1 BetrVG zu den Sitzungen im Wege der Video- oder Telefonkonferenz einberufen „können“. Diese müssen also im Einzelfall entscheiden, ob sie auch bei einer Präsenzsitzung den Sachzwängen (Abstandsgebot, Kontaktsperren etc.) genügen würden oder eine andere Form der Zusammenkunft insbesondere zum Schutz der Beteiligten notwendig erscheint. Es ist zu vermuten, dass die Rechtsprechung den Verantwortlichen im Streitfall einen weiten Ermessensspielraum zugestehen wird.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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