BGH bestätigt schärfere Haftung von Versicherern und Versicherungsvermittlern

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BGH bestätigte schärfere Haftung von Versicherern und Versicherungsvermittlern

Bereits seit Jahren wurde kritisiert, dass die Beratungspflichten von Versicherern und Versicherungsvermittlern bei der Vermittlung von Versicherungsprodukten, die der Vermögensbildung und Altersvorsorge dienen, dem Schutz der Versicherungsnehmer nicht genügen, insbesondere wenn man die Pflichten von Emittenten und Vermittlern wirtschaftlich vergleichbarer Kapitalanlageprodukte betrachtet. Jedenfalls in der erstinstanzlichen Rechtsprechung war zu beobachten, dass die Beratungspflichten im Wesentlichen auf die Frage reduziert wurden, ob das Produkt nachvollziehbar erläutert wurde. Die Frage, ob das Produkt zu dem Kunden passte und ob über das Anlagerisiko bei fondsgebundenen Produkten richtig aufgeklärt wurde, wurde vielfach nicht in den Entscheidungen berücksichtigt.

Diesem vermeintlichen Manko scheint der BGH nun abhelfen zu wollen. Nachdem in letzter Zeit in mehreren Entscheidungen von Obergerichten und BGH bereits ausgeführt wurde, dass bei der Vermittlung von Lebensversicherungsprodukten die für das Kapitalanlagerecht entwickelten Grundzüge Anwendung finden, hat der BGH nunmehr mit seinem Hinweisbeschluss vom 26.09.2012, IV ZR 71/11 mit deutlichen Worten klargestellt, dass die schärfere Haftung für die Vermittlung von Kapitalanlagen praktisch eins zu eins auf die Vermittlung von Lebensversicherungsprodukten übertragbar sein dürfte. Es besteht zu erwarten, dass - bei Anwendung dieser Grundsätze - noch viele verdeckte Schadensfälle aus der Vergangenheit auftauchen werden, da die Vermittlung diesen Anforderungen in der Vergangenheit nur in seltenen Fällen genügt haben dürfte.

Der Sachverhalt

Gegenstand des Verfahrens war, dass die Klägerin im Jahre 2005 eine Summe von 900.000 EUR anlegen wollte. Es kam zu zwei Beratungsgesprächen in der Wohnung der Klägerin mit dem Beklagten zu 1.), der Geschäftsführer der Beklagten zu 2.), einer Gesellschaft für Vermögensberatung, ist. Die Beklagte zu 2.) ist Untervermittlerin der EP AG, einer als Versicherungsmaklerin zugelassenen Gesellschaft. Die Beklagte zu 3.) und Revisionsführerin ist die luxemburgische Versicherungsgesellschaft. Die Beklagte zu 3.) und die EP AG haben das fragliche Versicherungsprodukt offenbar gemeinsam entwickelt und traten auf den Produktunterlagen gemeinsam als gleichberechtigt auf.

Die Klägerin nahm die Beklagten auf Schadenersatz in Anspruch, weil ihr die Risiken des fondsgebundenen Produktes in der persönlichen Beratung durch den Beklagten zu 1.) falsch dargestellt wurden, da er die in den Produktunterlagen aufgeführten Risiken verharmlost hat.

Das Landgericht hat die Klage vollständig abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die Klage gegen den Geschäftsführer abgewiesen und die Vermittlungsgesellschaft und den Versicherer zum Schadenersatz verurteilt.

Gegen die Verurteilung des Versicherers hat das Oberlandesgericht wegen Abweichung von einer unveröffentlichten Entscheidung die Revision zugelassen. Diese wurde vom BGH nunmehr mangels Zulassungsgrund und Aussicht auf Erfolg zurückgewiesen.

Die Entscheidung

Die Begründung ist in mehrerlei Hinsicht juristisch interessant:

Erstens ging der BGH in seiner Entscheidung unproblematisch davon aus, dass zwischen der Vermittlungsgesellschaft und der Versicherungsnehmerin ein Beratungsvertrag über eine Kapitalanlageberatung geschlossen worden war. Nur die Tatsache, dass die erworbenen Kapitalanlagen in einem Versicherungsprodukt verpackt waren, veränderte also nicht den Umfang der Beratungspflichten.

Danach war der Berater verpflichtet, das ihm überlassene Prospekt sorgsam zu überprüfen, auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen und die Versicherungsnehmerin anhand dieser Informationen zu beraten.

Dem war der Berater hier nicht nachgekommen, da er nach dem Ergebnis einer Beweisaufnahme die Risiken des Produktes im mündlichen Gespräch falsch dargestellt hat.

Der zweite wichtige Punkt der Entscheidung war, dass der Versicherer sich diese falsche Risikobewertung ohne eigenes Verschulden zurechnen lassen muss, weil der Berater hier als ihr Vertreter aufgetreten ist.

Hierbei half dem Versicherer nicht, dass er selbst seiner aufsichtsrechtlichen Verpflichtung zur ordnungsgemäßen schriftlichen Aufklärung nachgekommen ist, sich also aus den Unterlagen eine richtige Risikobeschreibung entnehmen ließ. Auch konnte sich der Versicherer nicht darauf berufen, dass der Vermittler Untervermittler eines Versicherungsmaklers war. Grundsätzlich ist es so, dass zwischen Versicherungsvertreter - der im Lager des Versicherers dauerhaft tätig wird und dessen Verhalten dem Versicherer zugerechnet wird - und dem Versicherungsmakler - der im Auftrag und alleinigem Interesse des Versicherungsnehmers tätig wird - unterschieden wird. Normalerweise hindert also der Status des Versicherungsmaklers eine Zurechnung zu Lasten des Versicherers.

In der vorliegenden Konstellation sollte es aber anders sein, weil Makler und Versicherer gleichberechtigt das Produkt beworben haben und dieser Vertriebsweg die einzige Möglichkeit für Kunden war, das Produkt zu erwerben. Dann muss sich der Versicherer das Verhalten des vom Makler eingesetzten Beraters wie eigenes zurechnen lassen.

Nicht geholfen hat dem Versicherer drittens, dass die Klägerin in einer „Erklärung zum Beratungsgespräch" durch Ankreuzen und Unterschrift bestätigt hatte, dass sie über die nachfolgend angekreuzten Punkte und Risiken aufgeklärt wurde. Denn nach richtiger Einschätzung der Gerichte ist eine solche Erklärung, die nur der Umkehr der Beweislast dienen kann, nach dem AGB-Recht unwirksam.

Fazit

Der Hinweisbeschluss arbeitet gut die Verteidigungslinien ab, die regelmäßig in Schadenersatzprozessen gegen Lebensversicherer und Vertriebsorganisationen aufgebaut werden. Diese werden - entsprechend den Grundsätzen, die die Rechtsprechung zum Kapitalanlagerecht entwickelt hat - im Wesentlichen zu Lasten des Versicherers und Vertriebs gelöst, wobei Grundlage dieser Wertung die vom Gesetzgeber vorgegebene Erkenntnis sein dürfte, dass Versicherer und Vertrieb wegen ihres überragenden Informationsvorsprungs nach Treu und Glauben sehr weitreichend zur Aufklärung verpflichtet sind.

Die Krux liegt in der Praxis aber auch weiterhin im Detail. Die vom BGH herausgearbeiteten Grundsätze müssen von dem Versicherungsnehmer vollständig und ausführlich dargestellt und insbesondere die Pflichtverletzung des Vermittlers vor Ort bewiesen werden. Hierin liegt erfahrungsgemäß das größte Prozessrisiko.

Allerdings besteht zu erwarten, dass noch eine Vielzahl von bislang „unentdeckten" Schadenfällen schlummern und in Zukunft die Gerichte beschäftigen könnten. Allerdings werden wegen der eingreifenden absoluten Verjährungsfrist von 10 Jahren seit Vertragsschluss wohl noch mehr potentielle Schadenfälle nie die Gerichte erreichen.

Betroffenen kann auf jeden Fall nur geraten werden, sich rechtlich von jemandem beraten zu lassen, der über praktische Erfahrung sowohl im Kapitalanlagerecht als auch Versicherungsrecht verfügt.

Heiko Effelsberg, LL.M.

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Versicherungsrecht


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