BGH zur Begründung einer Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung

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Begründung einer Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung - viele Beitragserhöhungen unwirksam

Eine neue Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus Dezember 2020 hat endlich die langersehnte Klärung der Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer PKV-Beitragserhöhung gebracht. 

Viele privat Krankheitskostenversicherte leiden unter hohen Beiträgen und den jährlichen Steigerungen der Prämien. Hintergrund ist, dass in den vergangenen Jahren eine durchschnittliche Steigerung von 12,5 % der PKV-Beiträge zu verzeichnen ist. Aktuell zum laufenden Jahr ist in den einzelnen Tarifen eine Erhöhung um 60 % eingetreten. Rechnet man das auf den Zeitraum eines menschlichen Lebens oder auch nur bis zum Renteneintritt hoch, bemerkt man schnell, dass die Beitragszahlung in der privaten Krankheitskostenversicherung für viele Versicherte zur wirtschaftlichen Belastung, wenn nicht sogar zur Existenzbedrohung werden kann. 

Ein weiteres Problem ist der Umstand, dass die Prämien in der privaten Krankheitskostenversicherung statisch berechnet sind, das heißt einkommensunabhängig (mit Ausnahme eines kleinen Dämpfungseffekts durch Altersrückstellungen). Das bedeutet, dass die Prämien auch bei Rentenbeginn weitergezahlt werden müssen, auch dann, wenn durch den Renteneintritt ein deutlich niedrigeres Einkommen vorliegt. Auch das kann zur Existenzbedrohung werden. Zum Vergleich: In der gesetzlichen Krankheitskostenversicherung wird der Beitrag prozentual am Einkommen bemessen und wirkt sich deshalb nicht so belastend aus. 

Umso mehr stellt sich die Frage, ob gegen PKV-Beitragserhöhungen mit Erfolg vorgegangen werden kann. 

Zwei Entscheidungen des BGH

Der BGH hat mit zwei Urteilen vom 16. Dezember 2020 (Az.
IV ZR 294/19 und IV ZR 314/19) die Voraussetzungen für die Begründung von Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung geklärt. In der Pressemitteilung zum Urteil teilt der BGH mit: 

Der u.a. für das Versicherungsvertragsrecht zuständige IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Begründung einer Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung nach § 203 Abs. 5 VVG die Angabe der Rechnungsgrundlage (Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeit) erfordert, deren Veränderung die Prämienanpassung veranlasst hat. Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses, anzugeben.

Der Bundesgerichtshof hat in beiden Verfahren bestätigt, dass bei einer Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2 VVG erst durch die Mitteilung einer den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügenden Begründung die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt wird. Dabei, so hat der Senat jetzt entschieden, muss angegeben werden, bei welcher Rechnungsgrundlage – Versicherungsleistungen, Sterbewahrscheinlichkeit oder beiden – eine nicht nur vorübergehende und den festgelegten Schwellenwert überschreitende Veränderung eingetreten ist und damit die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst wurde. Dagegen muss der Versicherer nicht die genaue Höhe dieser Veränderung mitteilen. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses anzugeben.

Der Gesetzeswortlaut sieht im Fall der Prämienanpassung die Angabe der "hierfür" maßgeblichen Gründe vor und macht damit deutlich, dass sich diese auf die konkret in Rede stehende Prämienanpassung beziehen müssen; eine allgemeine Mitteilung, die nur die gesetzlichen Voraussetzungen der Beitragserhöhung wiedergibt, genügt danach nicht. Maßgeblich, d.h. entscheidend für die Prämienanpassung ist gemäß § 203 Abs. 2 Satz 1 und 3 VVG die als nicht nur vorübergehend anzusehende Veränderung der bzw. einer der dort genannten Rechnungsgrundlagen. Dagegen ist die konkrete Höhe der Veränderung dieser Rechnungsgrundlagen ebenso wenig entscheidend wie die Frage, ob der überschrittene Schwellenwert im Gesetz oder davon abweichend in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelt ist.

Die Gesetzesbegründung zeigt, dass der Gesetzgeber im Rahmen der VVG-Reform 2008 keine grundsätzliche Neuregelung für das Wirksamwerden einer Prämienanpassung beabsichtigte, sondern die Mitteilungspflicht nur geringfügig erweitern wollte. Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe soll dem Versicherungsnehmer zeigen, was der Anlass für die konkrete Prämienanpassung war. Sie erfüllt so den Zweck, dem Versicherungsnehmer zu verdeutlichen, dass weder sein individuelles Verhalten noch eine freie Entscheidung des Versicherers Grund für die Beitragserhöhung war, sondern dass eine bestimmte Veränderung der Umstände dies aufgrund gesetzlicher Regelungen veranlasst hat. Dagegen hat die Mitteilungspflicht nicht den Zweck, dem Versicherungsnehmer eine Plausibilitätskontrolle der Prämienanpassung zu ermöglichen.

Fehlende Angaben zu den Gründen der Prämienanpassung können vom Versicherer nachgeholt werden, setzen aber erst ab Zugang die Frist für das Wirksamwerden der Prämienanpassung in Lauf und führen nicht zu einer rückwirkenden Heilung der unzureichenden Begründung. Erfolgt eine weitere, diesmal insgesamt wirksame Prämienanpassung im betreffenden Tarif, hat der Versicherungsnehmer jedenfalls ab dem Wirksamwerden dieser Anpassung die Prämie in der damit festgesetzten neuen Gesamthöhe zu zahlen.

Für viele privat Krankenversicherte besteht damit die Möglichkeit, die Anpassung von Prämien - auch rückwirkend - abzuwehren und überzahlte Beiträge zurückzufordern. 


Welche Wirksamkeitsvoraussetzungen hat die Prämienanpassung?

Die Erhöhung des Beitrags ist im Vertragsrecht eigentlich nur dann möglich, wenn beide Seiten einverstanden sind, also ein Vertrag geschlossen wird. Da dies den Umständen nicht gerecht wird und kaum handhabbar ist, hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 203 VVG geschaffen. Nach dieser Vorschrift kann der private Krankheitskostenversicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer einseitig die Prämienerhöhung erklären. 

Insbesondere müssen die gesetzlichen Vorgaben des § 203 VVG und von § 155 VAG erfüllt werden. 

Voraussetzung ist danach zunächst, dass der Versicherer ein bestimmtes Prozedere einhält, um zu ermitteln, ob und in welcher Höhe eine Prämienanpassung erforderlich ist. Diese Prämienanpassung muss dann durch einen „unabhängigen Treuhänder“ überprüft werden. In der Vergangenheit kam die Frage auf, ob die in der Vergangenheit zum Einsatz gekommenen Treuhänder unabhängig sind. Dies deshalb, weil die geeigneten sogenannten Aktuare, also Versicherungsmathematiker, meist an Versicherungsgesellschaften angeschlossen sind und dort angestellt sind. Unabhängige Treuhänder sind relativ selten. Es kam zur Herausbildung von Konstellationen, die auf eine wirtschaftliche Abhängigkeit dieser „eigentlich unabhängigen“ Treuhänder hindeutete, weil diese dann doch praktisch auf der Payroll einer einzelnen Versicherungsgesellschaft standen. Diese wirtschaftliche Abhängigkeit stand natürlich im diametralen Widerspruch zur Unabhängigkeit des Treuhänders und damit zu seiner Funktion als neutraler Kontrolleur. 

Überraschend hat der Bundesgerichtshof mit einem Urteil aus Dezember 2018 die Auffassung vertreten, dass die Unabhängigkeit des Treuhänders von Zivilgerichten nicht zu überprüfen sei. Diese Auffassung ist in der aktuellen Entscheidung von Dezember 2020 noch einmal bestätigt worden (BGH, Urteil vom 19.12.2018, IV ZR 255/17 und BGH, Urteil vom 16.12.2020, IV ZR 294/19). 


Damit war die Suche nach Einwendungsmöglichkeiten gegen die PKV-Beitragserhöhung für uns aber noch nicht abgeschlossen. Sowohl § 203 VVG als auch der in Bezug genommene § 155 VAG stellen eine Fülle von Anforderungen, die der Versicherer erfüllen muss, um die Beitragserhöhung wasserdicht zu machen. 

So ist es insbesondere erforderlich, dass die Prämienerhöhung begründet wird. Im Leitsatz der Entscheidung vom 16.12.2020 heißt es hierzu: 

„Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG erfordert die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorrübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst.“ 

Dagegen vertritt der BGH die Auffassung, dass der Versicherer nicht mitteilen müsse, in welche Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Er habe auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie zum Beispiels des Rechnungszinses, anzugeben. 

Viele Beitragserhöhungen, die ich in den letzten Jahren gesehen habe, erfüllen diese Vorgaben nicht. Aus diesem Grunde kann die Beitragserhöhung mit Erfolg angegriffen werden. Die Folge ist, dass die Prämie auf dem niedrigen, alten Niveau festgeschrieben wird und ein Rückforderungsanspruch bezüglich überzahlter Prämien besteht. Wermutstropfen dabei ist, dass der Versicherer - zumindest theoretisch - die Begründung nachholen kann. Dann greift mit der Nachholung der Begründung die Beitragserhöhung zum nächstmöglichen gesetzlichen Zeitpunkt, also für die Zukunft. 


Weitere Ansatzpunkte, um eine Prämienkalkulation zu Fall zu bringen, sind eine zu niedrige Kalkulation der Tarife bei Versicherungsbeginn und Erhöhung dann zu dem Zweck, auf eine ausreichende Berechnungsgrundlage zu kommen (§ 155 Abs. 3 Satz 2 VAG). Das ist nicht selten der Fall, weil aus vertrieblichen Gründen die Prämien bei Vertragsbeginn oft niedrig gehalten werden, um den Versicherungsnehmern, insbesondere jungen Menschen, den Einstieg in den Vertrag bzw. den Privatversicherungszweig zu erleichtern. Anschließend werden dann die Beiträge auf ein auskömmliches Niveau angeglichen. Das ist gemäß § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG verboten. 

Darüber hinaus kann eingewandt werden, dass die Schwellenwerte des Gesetzes nicht erreicht werden (§§ 203 Abs. 2 VVG, 155 Abs. 3 VAG). Nur dann, wenn die Krankheitskosten der Gesellschaft um mehr als 10 % über den kalkulierten Ausgaben liegen und dies auf Dauer der Fall ist, dürfen höhere Beiträge verlangt werden. Darüber hinaus ist hier ein formales System hinterlegt. Steigt die Lebenserwartung, sind es 5 %. 

Sie sehen, es gibt eine ganze Menge an Möglichkeiten, wie man sich gegen PKV-Beitragserhöhungen wehren kann. 

Wenn Sie eine Beitragserhöhung erhalten haben und eine Überprüfung wünschen, wenden Sie sich gerne vertrauensvoll an mich. 

Es gibt auch andere Strategien, um sich gegen die massiv steigenden Beiträge in der privaten Krankheitskostenversicherung zur Wehr zu setzen. Denkbar ist eine Tarifanpassung gemäß § 204 VVG, die aber oft nur vorübergehende Linderung verschafft und hochkomplex sowie streitanfällig ist. Darüber hinaus kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Wechsel aus dem Privatversicherungszweig zurück in die gesetzliche Krankenversicherung erfolgen. Wenn Sie hierzu Fragen haben oder eine Beratung wünschen, freue ich mich ebenfalls auf Ihre Kontaktaufnahme. 

Ich bin Fachanwalt für Versicherungsrecht und seit mehr als 20 Jahren im Bereich des Privatversicherungsrechts erfolgreich tätig

Foto(s): canva

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