Bremen: Inobhutnahme – Welche Rechte habe ich als Elternteil?

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„Die Pflege und Erziehung von Kindern sind das natürliche Recht der Eltern (...)“, heißt es in Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes. Dieses Recht gilt jedoch nicht uneingeschränkt. So behält sich der Gesetzgeber in Art. 6 Abs. 3 des Grundgesetzes vor, dass Kinder gegen den Willen ihrer Eltern von der Familie getrennt werden können, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Das Instrument, mit dem der Staat Kinder von ihren Familien trennt, nennt sich „Inobhutnahme“ und ist in §§ 42 ff. des SGB VIII geregelt. Hiernach ist das Jugendamt (in Bremen das „Amt für Soziale Dienste“) in folgenden Fällen dazu berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in Obhut zu nehmen:


Das Kind oder der Jugendliche selbst bittet darum,

  1. Es besteht eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen, die die Inobhutnahme erfordert, und
  2. die Personensorgeberechtigten (i.d.R. die Eltern) widersprechen nicht, oder
  3. die Personenberechtigten widersprechen, eine familiengerichtliche Entscheidung kann jedoch nicht rechtzeitig eingeholt werden,
  4. Ein ausländisches Kind oder ein ausländischer Jugendlicher kommt unbegleitet nach Deutschland und weder Personensorge- noch Erziehungsberechtigte halten sich im Inland auf.


Wann liegt eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes vor? 

Wann eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen anzunehmen ist, lässt sich nicht generell definieren, sondern bemisst sich immer an den Umständen des Einzelfalls. Tragende Gründe sind regelmäßig körperliche oder emotionale Vernachlässigung (unzureichende Versorgung mit Nahrung, Flüssigkeit / fehlende Kommunikation, Wärme, Geborgenheit und Wertschätzung), Erziehungsgewalt und Misshandlung (erzieherisch motivierte, leichte Formen der physischen und psychischen Gewalt / physische und psychische Gewalt, bei der mit Absicht Verletzungen und Schädigungen herbeigeführt oder aber diese Folgen mindestens bewusst in Kauf genommen werden), sexualisierte Gewalt oder häusliche Gewalt (etwa Schlagen, Treten, Nahrungsentzug, Erniedrigungen, Morddrohungen).


Wie erfolgt die Inobhutnahme? 

Die Anordnung der Inobhutnahme kann mündlich (z.B. am Telefon) oder schriftlich ergehen. Sollte sie mündlich ergehen, so ist – unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Anfechtung der Inobhutnahme – unverzüglich eine schriftliche Bestätigung zu verlangen.  

Wird ein Kind oder ein Jugendlicher durch das Jugendamt in Obhut genommen, so werden die Sozialarbeiter des Jugendamts das Kind oder den Jugendlichen in einer verständlichen und nachvollziehbaren Form über die Maßnahme aufklären und unverzüglich die Möglichkeit geben, eine Person ihres Vertrauens zu kontaktieren. Während der Zeit der Inobhutnahme ist das Jugendamt berechtigt, alle zum Wohl des Kindes erforderlichen Rechtshandlungen vorzunehmen. Auch die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten (i.d.R. die Eltern) sind von der Inobhutnahme unverzüglich zu unterrichten.


Kann der Inobhutnahme widersprochen werden? 


Ihnen obliegt das Recht, der Inobhutnahme gegenüber dem Jugendamt zu widersprechen. Besteht nach der Einschätzung des Jugendamts eine Gefährdung des Kindeswohls nicht (mehr) oder sind die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten in der Lage, die Gefährdung abzuwenden, so wird ihnen das Kind übergeben. Die zeitnahe Übergabe des Kindes dürfte jedoch eine Ausnahme darstellen. Schließlich wurde zuvor das Vorliegen von Tatsachen angenommen, die eine erhebliche Gefahr für das Kindeswohl begründen und eine Inobhutnahme des Kindes – ein weitgehender Eingriff in das Recht der Eltern auf Erziehung – zu rechtfertigen vermochten. Ein Kind oder einen Jugendlichen einer Familie zu übergeben, in der die Gefährdung für das Wohl des Kindes oder Jugendlichen nicht sicher eingeschätzt werden kann, stellt für das Jugendamt ein hohes Risiko dar. Häufiger dürfte der Widerspruch daher nicht die Übergabe des Kindes zur Folge haben, sondern den Antrag des Jugendamts vor dem Familiengericht (Amtsgericht Bremen) auf Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Sollte das Jugendamt einen solchen Antrag stellen, so ist unbedingt zur Kontaktierung eines Rechtsanwalts, der nachweislich auf dem Gebiet des Familienrechts tätig ist (etwa Fachanwalt für Familienrecht), zu raten.


Welche Möglichkeiten habe ich im gerichtlichen Verfahren?


In dem Fall, dass das Familiengericht dem Antrag des Jugendamts entspricht, das Aufenthaltsbestimmungsrecht den Eltern entzieht und auf das Jugendamt oder eine andere dritte Person (auch aus der Familie, etwa Großeltern) überträgt, kann gegen die Entscheidung Beschwerde beim Oberlandesgericht erhoben werden.

Neben dem formlosen Widerspruch gegenüber dem Jugendamt besteht auch die Möglichkeit, innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Anordnung der Inobhutnahme schriftlich oder zur Niederschrift Widerspruch i.S.d. §§ 69 ff. VwGO bei der Senatorin für  Arbeit, Soziales, Jugend und Integration zu erheben, also den verwaltungsrechtlichen Weg zu beschreiten.

Nach § 42 Abs. 4 SGB VIII endet die Inobhutnahme mit der Übergabe des Kindes oder Jugendlichen an die Personensorge- oder Erziehungsberechtigten oder der Entscheidung über die Gewährung von Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch, z.B. der Vollzeitpflege des Kindes oder des Jugendlichen durch eine Pflegefamilie.

Foto(s): linusklose

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