Corona-Rechtsprechung: Schließung von Betrieben (VG Hamburg, Beschluss vom 20. März 2020)

  • 4 Minuten Lesezeit

Inzwischen liegen nun die ersten Entscheidungen der deutschen Gerichte zu Fragen der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie vor. Auch wenn sich die ergriffenen Maßnahmen von Bundesland zu Bundesland unterscheiden, so dürften doch die Entscheidungen jedenfalls in Teilen auf andere Bundesländer übertragbar sein. Dies muss allerdings im Einzelfall sorgfältig überprüft werden.

Das Verwaltungsgericht (VG) Hamburg hatte sich in einem Verfahren des (verwaltungsrechtlichen) Eilrechtsschutzes mit der Frage zu befassen, ob die Schließung bestimmter Betriebe rechtmäßig sein kann, wenn andere Betriebe weiter geöffnet bleiben dürfen. Das Aktenzeichen der Entscheidung lautet: 10 E 1380/20.

Zulässigkeit des Antrages

Das Gericht weist zunächst zutreffend darauf hin, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn das sogenannte private Aussetzungsinteresse der Antragstellerin (also das Interesse daran, von dem Vollzug der angegriffenen Maßnahme verschont zu werden) das öffentliche Interesse an eben diesem Vollzug überwiegt. Dabei ist in erster Linie auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen. Es gilt: Wird die Antragstellerin in einem Hauptsacheverfahren voraussichtlich obsiegen, so besteht regelmäßig auch ein schützenswertes Interesse an der Aussetzung der Vollziehung; wird die Antragstellerin voraussichtlich unterliegen, so besteht auch kein solches schützenswertes Interesse. Ist dagegen der Ausgang in der Hauptsache offen, so muss eine Abwägung der widerstreitenden Interessen nach allgemeinen Grundsätzen erfolgen. 

Begründetheit des Antrages

Das VG Hamburg stellte fest, dass die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen seien. (Anmerkung des Verfassers: Dies wird in den meisten Fällen dieser Art so sein).

Rechtsgrundlage

Das VG geht davon aus, dass die insoweit streitbefangene Allgemeinverfügung der Hansestadt Hamburg ihre Rechtsgrundlage in § 28 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) hat. Nach dieser Vorschrift trifft die zuständige Behörde bei Vorliegen der Voraussetzungen die notwendigen Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.

Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine wesentliche Generalklausel des IfSG, die den Behörden weitgehende Handlungsspielräume belässt. Der Behörde ist bezüglich der Art und des Umfangs der Maßnahmen Ermessen eingeräumt. Einschränkendes Kriterium ist, dass es sich um notwendige Maßnahmen handeln muss. Ansonsten wird dem Ermessen durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Grenze gesetzt.

Voraussetzungen der Rechtsgrundlage

Das Gericht stellt dann fest, dass das Coronavirus eine übertragbare Krankheit im Sinne des IfSG handelt, wobei es auch auf die Bewertungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) Bezug nimmt. Dies dürfte kaum zu beanstanden sein. 

Es betrachtet weiterhin die gesamte Bevölkerung als „ansteckungsverdächtig“. Dies trifft nach § 2 Abs. 7 IfSG für Personen zu, von denen anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen haben, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider (weitere Kategorien des IfSG) zu sein. Diese Annahme halte ich für zu weitgehend, insbesondere im Hinblick auf die doch noch eher geringen Infektionszahlen des RKI für den Bereich der Bundesrepublik.

Das Gericht stellt insoweit aber auch – pragmatisch – auf die Risiken ab, die durch einen weiteren, exponentiellen Anstieg der Infektionen – Zusammenbruch des Gesundheitssystems – zu erwarten sind. 

Bedenken hinsichtlich der Allgemeinverfügung

Das VG Hamburg weist dann darauf hin, dass „nicht unerhebliche rechtliche Bedenken“ hinsichtlich der Allgemeinverfügung bestehen.

Das Gericht hat insbesondere Zweifel daran, dass einzelne Geschäfte (z. B. Eisdielen, Gärtnereien, Handy-Läden, Hundesalons, Kioske und Kosmetikstudios) geöffnet bleiben dürften. Deren Produkte und Dienstleistungen würden als für den täglichen Bedarf erforderlich angesehen. Andere Handelsbetriebe, wie derjenige der Antragstellerin, müssten indes geschlossen sein. Nach Ansicht des Gerichts besteht eine ähnliche Gefährdungslage, die Erforderlichkeit der Güter und Dienstleistungen sei zudem fragwürdig. 

Im Grundsatz nachvollziehbar sei, bezüglich der Schließung auf Kategorien bestimmter Einzelhandelsgeschäfte abzustellen. Willkür sei jedenfalls noch nicht gegeben.

Im Rahmen des eingeschränkten Prüfungsmaßstabes eines Eilverfahrens sei nicht überprüfbar, ob die dargestellten rechtlichen Bedenken tatsächlich zur Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung führten. 

Interessenabwägung

Im Rahmen der daher vorzunehmenden Abwägung der widerstreitenden Interessen gibt das Verwaltungsgericht – nach meiner Ansicht zutreffend – dem Schutz der Gesundheit der gesamten Bevölkerung den Vorzug vor den wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin. Hierbei berücksichtigt das Gericht auch die Befristung der Maßnahmen. 

Fazit

Die Entscheidung erscheint durchaus sachgerecht.

Die Corona-bedingten Maßnahmen stellen sicherlich in vielen Fällen ganz erhebliche Grundrechtseingriffe dar und bedrohen in bestimmten Fällen auch die wirtschaftliche Existenz von Unternehmen. Dennoch ist auf der anderen Seite auch der Schutz der Bevölkerung – auch zur Vermeidung einer Überlastung der Gesundheitssysteme – von großem Interesse. Dieser wird im Regelfall die wirtschaftlichen Interessen des Einzelnen überwiegen, soweit es eine Interessenabwägung im Eilrechtsschutz betrifft. Dies bedeutet aber nicht, dass die jeweiligen Allgemeinverfügungen und Verordnungen der einzelnen Bundesländer bei Überprüfung in Hauptsacheverfahren auch als rechtmäßig angesehen werden. Hier bleibt abzuwarten, wie die Gerichte die teilweise durchaus fragwürdigen Abgrenzungen von geöffneten und geschlossenen Betrieben bewerten werden.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Matthias Lorenz

Beiträge zum Thema