Corona-Rechtsprechung: Schließung von Einzelhandelsgeschäften (VGH München, 30. März 2020)

  • 3 Minuten Lesezeit

Auch der Verwaltungsgerichtshof (VGH) in München musste sich bereits mit dem Coronavirus beziehungsweise den durch ihn verursachten Schließungen von Geschäften befassen (Beschluss vom 30. März 2020, Az.: 20 CS 20.611). Auch hier gilt, dass die Rechtsprechung sich nur auf diejenigen Vorschriften beziehen kann, die in dem jeweiligen Bundesland (hier der Freistaat Bayern) ergangen sind. Eine Übertragbarkeit auf andere Bundesländer dürfte in Teilen gegeben sein, muss aber im Einzelfall sorgfältig geprüft werden. 

Konkret befasste sich der VGH München mit der Schließung von Ladengeschäften des Einzelhandels aufgrund der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 16. März 2020.

Es handelt sich hier um ein Verfahren im verwaltungsrechtlichen Eilrechtsschutz, konkret um ein Verfahren nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der VGH war dabei als Beschwerdegericht gegen die vorausgegangene Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VG) München gefragt.

Entscheidung des Gerichts

Der VGH geht davon aus, dass die Entscheidung des VG München nicht zu beanstanden sei. Eine vorläufige Aussetzung der Vollziehung der Schließung von Ladengeschäften sei nicht veranlasst. 

Rechtsgrundlage der Allgemeinverfügung

Als Rechtsgrundlage der Allgemeinverfügung sieht das Gericht – zutreffend – § 28 Abs. 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) an. Damit ist die für die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung erforderliche Rechtsgrundlage gegeben.

Sonstige Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung

Das Gericht führt aus, dass die Allgemeinverfügung zulässiges Mittel für die Anordnung von Geschäftsschließungen sei. Auch sei die Allgemeinverfügung ordnungsgemäß bekanntgemacht worden. 

Die Anordnung habe in Form einer sogenannten personalen Allgemeinverfügung ergehen dürfen, weil es sich um die Regelung eines Einzelfalls für den bestimmten Personenkreis der Inhaber von Ladengeschäften des Einzelhandels, mithin um eine konkret-generelle Regelung, handele (vgl. Beschluss des VGH vom 30.03.2020, Rn. 7).

Weiter weist das Gericht darauf hin, dass eine öffentliche Bekanntgabe habe erfolgen dürfen. Die Einzelbekanntgabe an jeden Betroffenen sei dagegen im Hinblick auf eine effektive Gefahrenabwehr nicht angezeigt gewesen, da der Adressatenkreis zu groß wäre. 

§ 28 Abs. 1 IfSG

Der VGH befasst sich sodann eingehend mit den Anforderungen der Rechtsgrundlage. Er führt aus, dass Geschäftsschließungen bereits nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zulässig sind und stützt diese Auslegung nicht zuletzt auch auf die Gesetzgebungsmaterialien. 

Das Gericht setzt sich außerdem mit der Frage auseinander, ob § 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG im Verhältnis der Spezialität zueinander stehen und kommt insoweit letztendlich zu dem Ergebnis, dass alle Schutzmaßnahmen auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützt werden können. Die Nennung bestimmter Maßnahmen in Satz 2 erfolge nur deshalb, weil es sich um besonders bedeutsame Maßnahmen handele und weil Verstöße gegen die ausdrücklich genannten Maßnahmen mit Strafe bedroht seien. Verstöße gegen die aufgrund der Generalklausel angeordneten Schutzmaßnahmen unterliegen dagegen „nur“ der Bußgeldbewehrung.

Verhältnismäßigkeit

Der VGH München sieht auch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als eingehalten an. Die Untersagung der Öffnung von Einzelhandelsgeschäften jeder Art sei eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. 

Da durch die Schließung der Geschäfte Infektionsketten unterbunden werden könnten, wodurch das Infektionsgeschehen verlangsamt werde, komme es nicht darauf an, ob der Antragsteller in seinem Betrieb sicherstellen könne, dass Infektionen nicht entstünden.

Außerdem sei ihm der Aufenthalt in seinen Geschäftsräumen nach wie vor gestattet, er könne den Betrieb über Online-Plattformen aufrecht erhalten, auch der Warenbezug und die Auslieferung an Kunden seien ihm möglich.

Er könne zudem eine Ausnahmegenehmigung bei der zuständigen Behörde beantragen, wenn es sich um ein für die Versorgung der Bevölkerung unbedingt notwendiges Geschäft handele. 

Den Behörden gibt das Gericht aber auch auf, bei Verlängerung oder weiteren Anordnungen mit fortschreitender Dauer vertiefte Prüfungen und Rechtfertigungen vorzunehmen. Zur Erinnerung: entscheidend ist, ob die Maßnahmen auch tatsächlich notwendig sind. 

Fazit

Die Entscheidung ist sorgfältig begründet. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung kommt den Behörden zugute, dass die Notwendigkeit der Maßnahmen (noch) anzunehmen ist. Im Hinblick auf die Darstellungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) und die begrenzten Kapazitäten des Gesundheitssystems ist es notwendig, die Infektionsvorgänge so zu verlangsamen, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Anderenfalls drohen auch in Deutschland „italienische Verhältnisse“. Ob dies zukünftig die Schließung von Geschäften erforderlich macht, bleibt abzuwarten und hängt nicht zuletzt von weiteren Forschungen zu dem Coronavirus ab. 

Zu beachten ist aber auch, dass – generell gesprochen – die derzeit entschiedenen Verfahren im Eilrechtsschutz noch keine abschließende rechtliche Bewertung der Maßnahmen darstellen. Diese kann erst in den noch zu entscheidenden Hauptsacheverfahren erfolgen.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Matthias Lorenz

Beiträge zum Thema