Darf man "bekifft" am (Online-)Scheidungstermin teilnehmen?

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Seit 1. April 2024 ist in Deutschland der Cannabiskonsum für Erwachsene legal. Da der damit eventuell verbundene Rausch nicht sofort wieder verfliegt, stellt sich die Frage, ob Ehegatten „bekifft“ am Scheidungstermin teilnehmen dürfen, wenn sie persönlich vor Gericht geladen sind oder wie es ist, wenn der Scheidungstermin online per Videoschaltung erfolgt.

Was ist neu?

Seit 1.4.2024 dürfen Erwachsene in begrenzten Mengen privat (bis zu drei Pflanzen) oder – ab dem 1. Juli 2024 – in nicht-gewerblichen Vereinigungen Cannabis anbauen. Über diese Anbauvereinigungen darf Cannabis an Erwachsene zum Eigenkonsum kontrolliert weitergegeben werden. Der Besitz von bis zu 25 Gramm getrocknetem Cannabis ist im öffentlichen Raum nun straffrei. Für den privaten Raum gilt eine Grenze von 50 Gramm getrocknetem Cannabis. Der Konsum bleibt in einem Umkreis von 100 Metern um Schulen, Kinderbetreuungseinrichtungen und Spielplätze verboten (Quelle: bundesregierung.de). Gerichte sind hierbei nicht genannt. Wer sich also vor dem Gericht noch auf die Schnelle „bekifft“, macht sich zumindest nicht strafbar. Wie sich der Zustand auf die Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung auswirkt, steht auf einem anderen Blatt.

Ist Cannabis ein Trennungsgrund?

Ist ein Ehepartner ständig berauscht, lebt er oder sie in einer eigenen Welt und steht außerhalb der ehelichen Beziehung. Der Konsum von Cannabis durfte mit dem Konsum von Alkohol gleichzustellen sein. Konsumenten verstehen oft nicht, wie sie in den Augen anderer wirken, wenn sie kiffen und unterschätzen gerne die Wirkung der Droge. Verändert sich durch den beständigen Konsum das Wesen und die Persönlichkeit des Partners, leidet die Trennung, insbesondere, wenn der andere den Konsum ablehnt.

Im Extremfall könnte der intensive Konsum von Cannabis einen Härtefall für eine Scheidung begründen. Danach kann eine Ehe vorzeitig bereits vor Ablauf des Trennungsjahres geschieden werden, wenn dem Ehepartner die Fortsetzung der Ehe bis zum Vollzug des Trennungsjahres aus in der Person des Partners liegenden Gründen unzumutbar ist.

Fällt der Scheidungstermin "bekifft" leichter?

Wer keine Gerichtserfahrung besitzt, könnte eine gewisse Scheu davor haben, zum mündlichen Scheidungstermin vor dem Familiengericht geladen zu werden. Daraus könnte sich die Idee entwickeln, sich zumindest so weit zu berauschen, dass die Teilnahme leichter fällt. Dieser Effekt könnte durchaus eintreten, ist aber mit dem Risiko behaftet, dass sich die Intensität des Rauschs nicht mehr steuern lässt. Ein mündlich durchgeführter Termin setzt schließlich voraus, dass alle Beteiligten geistig in der Lage sind, daran teilzunehmen und zu beurteilen, was verhandelt wird.

Außerdem setzt der Ehegatte sich dem Risiko aus, dass das Gericht erkennt, dass sich der Betreffende berauscht hat und die Einschätzung besteht, dass eine verantwortungsvolle Teilnahme am Gerichtstermin nicht möglich erscheint. Aufgrund seiner sitzungspolizeilichen Kompetenzen kann das Gericht dann entscheiden, wie weiter zu verfahren ist.

Was können Gerichte tun, wenn ein Ehegatte tatsächlich "bekifft" ist?

Nach § 176 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) obliegt dem Gericht die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung. Diese Ordnungsgewalt erstreckt sich räumlich auf den Sitzungsraum, dessen Zugänge und die angrenzenden Räume, von denen Störungen ausgehen können. Insoweit gehört auch der Flur dazu.

Die Ordnung besteht in der Sicherung des ungestörten und würdigen Verlaufs der Gerichtssitzung. Ob die Ordnung gestört ist, entscheidet der oder die „Vorsitzende“, wobei Vorsitzender auch der Einzelrichter oder die Einzelrichterin im Familiengericht ist. Es steht im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden, welche Mittel er oder sie im Einzelfall ergreift. Dabei steht dem Gericht zur Erreichung des Zwecks jedes geeignete Mittel zur Verfügung. Dabei hängt es von der Besonnenheit und Klugheit des Vorsitzenden ab, das Maß des Nötigen zu zeigen. Überempfindlichkeiten als auch Laxheiten sind zu vermeiden.

Machen sich Parteien in der Sitzung einer „Ungebühr“ schuldig, kann das Gericht ein Ordnungsgeld bis zu 1000 € oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festsetzen und die Maßnahme sofort vollstrecken (§ 178 GVG). Genauso gut kann das Gericht die Sitzung unterbrechen und dem Ehegatten die Zeit gewähren, sich der Situation bewusst zu werden und sich trotz seines Zustandes so zu konzentrieren, dass er oder sie der Sitzung folgen kann.

Ist der Ehegatte aber so sehr berauscht, dass er oder sie keine vernünftigen Erklärungen abgeben kann, kann das Gericht die Sitzung auch vertagen. Denn, würde das Gericht die Verhandlung durchführen, wäre damit zu rechnen, dass jede Erklärung, die der „bekiffte“ Ehegatte im berauschten Zustand abgibt, „wegen der vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit“ als nichtig betrachtet wird (§ 105 BGB). Dieses Risiko wäre im Interesse des Gerichts und im Interesse des anderen Ehegatten nicht zu vertreten. Ob der Ehegatte dabei den im Verkehrsstrafrecht vorgesehenen Grenzwert überschreitet, dürfte dabei weniger von Belang sein, als es vielmehr darauf ankommt, ob der Ehegatte in der Lage ist, verantwortungsvoll an der Verhandlung teilzunehmen. Letztlich entscheidet der Eindruck des Richters oder der Richterin.

Gerichte sind immer wieder damit beschäftigt, den Verfahrensablauf zu beurteilen, wenn Parteien im alkoholisierten Zustand im Verhandlungstermin erscheinen. Auf jeden Fall wird es als „Ungebühr“ betrachtet, wenn eine Partei im verschuldeten Zustand der Trunkenheit vor Gericht erscheint (AG Düsseldorf, NJW 1989, 241) oder sich eine Partei betrinkt und deshalb verhandlungsunfähig ist (AG Stuttgart MDR 1989, 763). Dies gilt umso mehr, wenn die betreffende Person aufgrund ihres berauschten Zustandes sich zusätzlich ungebührlich verhält, beispielsweise Fäkalausdrücke gebraucht, die Verhandlung durch Lärm oder Gesten stört, Tätlichkeiten begeht oder die Gegenpartei oder gar das Gericht durch Worte oder Gesten beschimpft. Diese Ansätze kommen gleichermaßen sicherlich auch zur Anwendung, wenn ein Ehegatte „bekifft“ am Scheidungstermin teilnimmt. Es kommt letztlich nur darauf an, ob die Teilnahme im verantwortungsvollen Zustand möglich ist oder nicht.

Welche Auswirkungen könnte der Rauschzustand auf den Scheidungstermin haben?

Nimmt ein Ehegatte „bekifft“ am Scheidungstermin teil, wird man unterscheiden müssen, ob die Verhandlung in Präsenz im Gerichtssaal erfolgt oder online im Wege einer Videokonferenz abgehalten wird. In jedem Fall muss der Ehegatte in der Lage sein, der Verhandlung zu folgen und muss sich bewusst sein, dass es um die Scheidung der Ehe und die damit eventuell verbundenen Rechte und Pflichten geht.

Scheidung im gegenseitigen Einvernehmen

Insoweit dürfte es auch darauf ankommen, ob die Scheidung im gegenseitigen Einvernehmen erfolgt und eventuell regelungsbedürftige Scheidungsfolgen außergerichtlich in einer Scheidungsfolgenvereinbarung geregelt wurden. Dann ist der mündliche Scheidungstermin im Prinzip nur noch Formsache, vor allem, wenn der „bekiffte“ Ehegatte bereits im Vorfeld seine Zustimmung zum Scheidungsantrag des anderen erklärt hatte. Dann gibt es im Gerichtssaal nichts zu verhandeln. Das Gericht stellt nur die Formalien fest. Antworten beide Ehegatten auf die Frage des Gerichts, ob die Ehe geschieden werden soll, mit einem klaren Ja, dürfte aus Sicht des Gerichts kein Anlass bestehen, an der Fähigkeit eines Ehegatten, die Tragweite und Bedeutung seiner Erklärung einzuschätzen, zu zweifeln.

Ist der „bekiffte“ Ehegatte zudem noch anwaltlich vertreten, ist es ohnehin vorrangig Aufgabe des Anwalts, die Verhandlung zu führen. Der Ehegatte braucht sich nur einzubringen, wenn er oder sie ausdrücklich vom Gericht befragt wird oder selbst über seinen Anwalt Fragen stellen oder eine Stellungnahme abgeben möchte.

Diese Einschätzung dürfte noch vertretbarer erscheinen, wenn der Scheidungstermin online im Wege einer Videokonferenz erfolgt. Dann dürfte das Gericht ohnehin Schwierigkeiten haben, die geistige Präsenz des „bekifften“ Ehegatte überhaupt zu erkennen und zuverlässig einzuschätzen. Wenn der Ehegatte in der Lage war, sich in die Videoschaltkonferenz einzuwählen, wird wohl er/sie auch in der Lage sein, in angemessener Form an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Sollte das Gericht aber den Eindruck haben, dass die geistige Präsenz problematisch ist, kann es im Rahmen seiner sitzungspolizeilichen Befugnisse entscheiden, ob das Verfahren fortgesetzt, unterbrochen oder vertagt wird.

Streitige Scheidung

Verhandeln die Ehegatten streitig, ist im Regelfall jeder Ehegatte anwaltlich vertreten. Wegen des Familienzwangs vor dem Familiengericht müssen sich die Ehegatten anwaltlich vertreten lassen, wenn sie sich vor oder später im mündlichen Scheidungstermin durch Anträge oder Stellungnahmen am Verfahren beteiligen möchten. Wird im Scheidungstermin dann über einen Antrag verhandelt, muss jeder Ehegatte trotz der anwaltlichen Begleitung in der Lage und fähig sein, der Verhandlung zu folgen und den Verlauf der Verhandlung einzuschätzen. Letztlich entscheidet der Ehegatte, ob er oder sie beispielsweise einem Antrag zustimmt, einen Antrag zurücknimmt oder wie ein Vergleichsvorschlag des Gerichts zu beurteilen ist. All dies wird nur möglich sein, wenn der Ehegatte bewusstseinsmäßig so präsent ist, dass er oder sie in Verantwortung für sich selbst entscheiden kann.

Alles in allem

Der Scheidungstermin sollte der Schlusspunkt in Ihrem Scheidungsverfahren darstellen. Möchten Sie geschieden werden, sollten Sie alles dafür tun, dass der Scheidungstermin problemlos vonstattengeht. „Bekifft“ zum Scheidungstermin zu erscheinen, sollte keine Option sein. Möchten Sie trotz des Scheidungsantrags des Partners nicht geschieden werden, kommt es erst recht drauf an, einen klaren Kopf zu haben und in der Lage zu sein, im Verfahren angemessen zu agieren und zu reagieren. „Bekifft“ daher zu kommen, wäre ein nicht kalkulierbares Risiko.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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