Der Section-Control-Blitzer auf der B 6 bei Hannover – als verfassungswidrig angreifbar?

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Teil 3 von 3

I. Grundsätzliches

Bereits an anderer Stelle hatten wir ausführlich die Systematik von Geschwindigkeitsmessungen mit dem Strecken-Radar-System Section-Control dargestellt und nähere Angaben zur ersten Messstelle in Niedersachsen gemacht (siehe unseren Anwaltstipp „Die Section-Control: Geschwindigkeitsmessungen 2.0 – seit 2019 auch in Deutschland“)

In einem weiteren Beitrag haben wir ein paar der Verteidigungsmöglichkeiten gegen den Vorwurf angeblich überhöhter Geschwindigkeit umrissen (siehe unseren Anwaltstipp: „Mit Section-Control geblitzt – was können Betroffene tun?“) 

Inzwischen zeichnet sich nach nur wenigen Wochen des Einsatzes von Section-Control auf der B 6 zwischen Laatzen-Gleidingen und dem Messeschnellweg Richtung Hannover erheblicher Widerstand von Datenschützern gegen das Messverfahren ab. Wir sehen deswegen und nach neuerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unsere gegen das Verfahren vorgebrachten Bedenken als bestätigt an. Ebendies soll Gegenstand des vorliegenden Anwaltstipps sein.

II. Bundesverfassungsgericht: Automatische Kennzeichenverfassung greift in Grundrechte ein

Das Bundesverfassungsgericht entschied am 18.12.2018 gleich in zwei Beschlüssen unter den Aktenzeichen 1 BvR 142/15 und 1 BvR 3187/10, dass ein automatisch und ausnahmslos vorgenommener Abgleich von Kennzeichen einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt. 

Zugegeben: Direkt zu erwarten war diese Entscheidung selbst für den fachkundigen Juristen nicht unbedingt, hatte das Bundesverfassungsgericht doch 2008 noch die Auffassung vertreten, dass kein Grundrechtseingriff vorliege, wenn Kennzeichen zwar erhoben, aber bei sogenannten unauffälligen Nicht-Treffern sofort wieder spurenlos gelöscht werden. 

Dabei ist klarzustellen, dass das Bundesverfassungsgericht – anders als zum Teil zu lesen ist – nicht explizit über das Section-Control-Verfahren entschieden hat. Gegenständlich waren vielmehr in Bayern 22 stationäre und drei mobile Anlagen zur fotografischen Erfassung von Kennzeichen zum anschließenden automatisierten Abgleich mit Fahndungsdateien (sog. Automatische Kennzeichenlesesystems oder kurz AKLS), beispielsweise um Fahrzeuge ohne gültige Kfz-Versicherung oder besser noch gefährliche Straftäter aufzuspüren. Für zwei weitere Bundesländer ging es um Ähnliches. 

Die Folge der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist auch nicht etwa die generelle Unvereinbarkeit jedes Kfz-Kennzeichen-Abgleichs mit der Verfassung. Vielmehr muss der mit einem solchen Kennzeichen-Scan einhergehende Grundrechtseingriff durch ein Ermächtigungsgesetz gerechtfertigt werden – und eben dieses war in den vom Bundesverfassungsgericht betrachteten Bundesländern Bayern, Hessen und Baden-Württemberg derzeit nicht gegeben. 

III. Das Verfassungsrecht als (vorläufiges) Ende der Section-Control?

Welche Bedeutung hat nun dieser Rechtsprechungswandel beim Bundesverfassungsgericht für das Messverfahren Section-Control.

Die zuständige Datenschutzbeauftragte Niedersachsens und verschiedene Politiker jedenfalls erblicken nun keine Rechtsgrundlage mehr für den Einsatz von Section-Control auf der Bundesstraße 6 und forderten deswegen nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts am 06.02.2019 die sofortige Abschaltung der Anlage. 

Das Innenministerium in Niedersachsen hingegen sieht in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keinen Anlass zur Abschaltung von Section-Control, weil dieses – anders als die automatischen Kennzeichenlesegeräte, über die das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hatte – keine verdeckte Maßnahme sei; schließlich weise ja ein Schild auf diese Verkehrsüberwachungsmaßnahme hin. Diese Argumentation ist aus unserer Sicht nicht stichhaltig.

Es bleibt abzuwarten, wer hier die Oberhand behält. Bis auf weiteres jedenfalls sammelt das System fleißig Messdaten und löst letztlich Anzeigen angeblicher Geschwindigkeitsverstöße aus. 

Der dargestellte Wandel der Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts offenbart aus unserer Sicht gute Chancen zur Verteidigung gegen derartige Tatvorwürfe. Zumindest bis zu entsprechenden Gesetzesänderungen liegt aus Verteidigersicht die Annahme nahe, dass auch in Niedersachsen keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Datenerfassungen auf der B6 bei Laatzen vorhanden ist.

IV. Welche Möglichkeiten der Verteidigung haben Betroffene, die auf der B6 bei Laatzen geblitzt wurden?

Mit geeigneter anwaltlicher Argumentation erscheint es uns möglich, die Verwertung der wohl unrechtmäßig gewonnenen Beweismittel (Lichtbilder, Daten etc.) zu verhindern und damit einer Verurteilung den Boden zu entziehen. 

Dabei ist uns klar, dass viele juristische Laien sich nur bedingt vorstellen können, dass und warum derartige Argumente sie vor einer Bestrafung schützen können sollten – insbesondere wenn sie wissen, dass sie tatsächlich zu schnell gefahren sind. 

Darauf aber kommt es letztlich für den Strafjuristen nicht an – entscheidend ist vielmehr ausschließlich, ob der Staat in der Lage ist, mit verfassungs- und auch im übrigen gesetzeskonformen Verfahrensweisen seinen Verdacht eines ordnungswidrigen Verhaltens auch zu beweisen.

Der hinter dieser Verteidigungstaktik stehende Grundgedanke ist dabei gar nicht ganz so neu: Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht bereits mit Urteil vom 11.08.2009 (Az. 2 BvR 941/08) entschieden, dass eine zur Überführung von „Rasern“ mit einem zivilen Video-Fahrzeug der Polizei durchgeführte Daueraufnahme einem Beweisverwertungsverbot unterliegen kann, wenn sie ohne konkreten Anlass erfolgte. 

Mit ebendieser Argumentation haben wir in geeigneten Fällen schon mehrfach erreicht, dass das Video als Beweismittel nicht verwertet werden darf, schlicht und einfach deswegen, weil die nicht anlassbezogene Dauervideoaufnahme gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verstößt – ebenso, wie auch nach neuerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die automatische Kennzeichenerfassung (derzeit) als verfassungswidrig anzusehen sein dürfte. 

Hinzu kommen neben diesen verfassungsrechtlichen Aspekten natürlich die sonstigen Verteidigungsansätze, auf die wir im Anwaltstipp: „Mit Section-Control geblitzt – was können Betroffene tun?“ bereits eingegangen sind. 

Wer also an der angegebenen Messstelle in Niedersachen auf einer Strecke von 2,2 km angeblich zu schnell gefahren sein soll und in seinem Briefkasten deswegen einen Anhörungsbogen und/oder Bußgeldbescheid vorfindet, sollte den Vorwurf auf keinen Fall einfach so hinnehmen, sondern sich an einen auf derartige Fälle spezialisierten Anwalt wenden. 

Der Kampf gegen Eintragungen im Flensburger Fahreignungsregister und gegen Mobilitätseinschränkungen lohnt sich.

Dr. Sven Hufnagel

Fachanwalt für Verkehrsrecht

Dr. jur. Sven Hufnagel ist deutschlandweit tätiger Experte in der Verteidigung in Bußgeldsachen. Sein Schwerpunkt liegt in der Überprüfung von Geschwindigkeitsmessungen. In seiner 15-jährigen Berufstätigkeit durfte er schon in zahlreichen aufsehenerregenden Fällen verteidigen und ist deswegen immer wieder Interview-Partner der Medien. 

Gerade mit der Argumentation eines Verfassungsverstoßes wird er – wie schon bei den Dauer-Video-Aufnahmen geschehen – künftig auch in Section-Control-Verfahren vorgehen. 

Wiederholt wurde er in der „Focus-Anwaltsliste“ in den Jahren 2015, 2016, 2017 und 2018 vier Jahre als „Top-Anwalt für Verkehrsrecht“ gelistet.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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