Der Streitwert im selbstständigen Beweisverfahren

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Das selbstständige Beweisverfahren – geregelt in den §§ 485 ff. ZPO – dient der Sicherung von Beweisen und Beweismittel, die, sollte die Sicherung nicht betrieben werden, unwiederbringlich verloren zu gehen drohen. Aus dieser Zweckbestimmung heraus resultiert auch seine frühere Bezeichnung: ‚Beweissicherungsverfahren‘.

1.)

Die Gerichtskosten für die Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens richten sich nach dem Kostenverzeichnis des GKG; entsprechend Nr. 1610 fällt eine 1,0 Gebühr an, die das gesamte Verfahren hinsichtlich der Gerichtskosten abdeckt. Die Bestimmung des Streitwertes des selbstständigen Beweisverfahrens indes hat sich in Rechtsprechung und Schrifttum zu einem Dauerthema entwickelt, weil zum Zeitpunkt der Einleitung des Beweissicherungsverfahrens oftmals noch gar nicht klar ist, welchen tatsächlichen Wert die Beseitigung des vom Antragsteller behaupteten Schadens haben wird.

Das für das selbstständige Beweisverfahren nach § 486 ZPO zuständige Gericht setzt gem. § 63 Abs. 1 GKG den Streitwert fest. Sobald der Antrag beim zuständigen Gericht eingegangen ist, setzt dieses – ggf. nach Anhörung des Antragsgegners – den Wert für die sachliche Zuständigkeit gem. § 3 ZPO nach freiem Ermessen fest und kann dabei auch von den Angaben des Antragstellers abweichen (§§ 2 ZPO, 63 GKG). In der Regel wird es von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen, denn die Tatsachen, die die Zuständigkeit begründen sollen, müssen glaubhaft gemacht sein (§ 487 Nr. 4 ZPO).

Da das Beweisverfahren erst ergeben soll, ob tatsächlich Mängel vorliegen und der Sachverständige sich oft auch zu den voraussichtlichen Kosten für die Mangelbeseitigung zu äußern hat, bleibt zu Beginn des Verfahrens, wenn eine Streitwertfestsetzung durchzuführen ist, allenfalls eine ermessensfehlerfreie Schätzung auf der Basis der Angaben des Antragstellers. Der für die Einleitung des Verfahrens maßgebliche Streitwert ergibt sich – denknotwendig – aus der Tatsachenbehauptung des Antragsstellers. Für den Zeitpunkt der Streitwertbemessung ist die Einreichung des Antrages, nicht das Ergebnis der Beweisaufnahme, maßgeblich. Diese Überlegung folgt dabei den allgemeinen Regelungen der Klage, § 4 Abs. 1 ZPO.

Die endgültige Festsetzung des Streitwertes erfolgt dabei – ebenso denklogisch – erst nach Ende der Verfahrenshandlungen, also nach der gerichtlich angeordneten Beweiserhebung und der Beendigung des Beweisverfahrens. Im anschließenden Hauptsacheverfahren ist das Gericht der Hauptsache indes nicht gehindert, den Streitwert für das bereits abgeschlossene Beweisverfahren anderweitig festzusetzen. Gleiches gilt auch für das Rechtsmittelverfahren.

2.)

Nach welchen Kriterien der Streitwert des selbstständigen Beweisverfahrens zu bemessen ist, ist nach wie vor strittig. Die eine Seite vertritt die Auffassung, dass das materielle Interesse des Antragstellers Grundlage der Festsetzung ist.

Eine andere Ansicht setzt hierfür hingegen nur einen Bruchteil des Wertes der Hauptsache an. Die Höhe des Streitwertes ist nach dem Interesse des Antragstellers an der Sicherstellung der Beweismittel zu bestimmen, wobei auf die Bedeutung der Beweiserhebung für den eventuell durchzusetzenden Anspruch abzustellen ist.

Der BGH hat sich in seinem Beschluss vom 16.09.2004 – III ZB 33/04 (NJW 2004, 3488; Baurecht 2004, 1975) der ersten Ansicht angeschlossen. Entscheidend ist hierbei der „richtige“ Hauptsachewert, bezogen auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung und des Interesses des Antragsstellers. Auch quotenmäßige Abschläge auf den Wert des (künftigen) Hauptsacheverfahrens sind grundsätzlich nicht gerechtfertigt.

Stellt sich als Ergebnis der Beweisfeststellung heraus, dass die Mangelbehauptungen des Antragstellers nicht zutreffend waren, kann der Streitwert des Verfahrens nicht mit „Null“ bewertet werden, was ebenso den allgemeinen Regeln der Klage folgt, wonach eine abgewiesene Klage nicht mit dem Streitwert „Null“ bewertet, sondern der wirtschaftliche Wert der Sache zur Grundlage gemacht wird. In diesem Fall muss auf die konkreten Angaben des Antragstellers zurückgegriffen werden.

3.)

Entscheidend für die Bestimmung der Höhe des Streitwertes ist das sog. Hauptsacheinteresse des Antragsstellers. Da das selbstständige Beweisverfahren auch der Vermeidung eines zukünftigen Rechtsstreits dienen kann, ist die Hauptsache i.e.S. nicht ausschließlich in einem zukünftigen Prozessverfahren zu sehen. Die Hauptsache ist demnach eine vorausgegangene, auf das Verfahren folgende oder ausbleibende Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten.

Die Wertangabe des Antragstellers bei Einreichung der Antragsschrift gem. § 61 Abs. 1 GKG ist dabei grundsätzlich weder bindend noch maßgeblich, sodass – falls die nicht bestätigten Beweisbehauptungen mit einem darüber liegenden Betrag zu bewerten wären – auch über die Schätzung des Antragstellers hinausgegangen werden kann. Im Rahmen der Antragschrift wird dabei in der Regel genügen, einen ‚Zuständigkeitsstreitwert‘ anzugeben – für die Entscheidung Amts- oder Landgericht (§§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG).

Hat sich eine Partei indes bereits auf eine bestimmte Mangelbeseitigungsmaßnahme festgelegt, sollen deren Kosten den Wert des selbstständigen Beweisverfahrens bestimmen. Das Gericht muss daher von seinem Ermessen Gebrauch machen, um einen dem Streitgegenstand angemessenen Streitwert festzusetzen. Anhaltspunkte für die Streitwertbemessung sind

  • die Höhe einer zu sichernden Forderung des Antragstellers,
  • der Wert einer abzuwehrenden Forderung des Antragsgegners oder von Dritten und
  • das konkrete Ergebnis der Beweissicherung, insbesondere bei der Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Dabei ist auch in Betracht zu ziehen, dass auch die Möglichkeit einer Streitwertkorrektur besteht, sofern der Sachverständige durch das Beweisverfahren andere Mängel zutage fördert, als ursprünglich im Antrag behauptet worden sind.

Darüber hinaus sind durch das Gericht Wahrscheinlichkeits- und Plausibilitätserwägungen anzustellen, unter besonderer Berücksichtigung des Einzelfalls. So können beispielsweise Mittelwerte aus den in Betracht kommenden Ansprüchen gebildet werden. Ist es dem Sachverständigen im Rahmen der Beweisaufnahme nur möglich, einen Kostenrahmen für die Mängelbeseitigung zu ermitteln, so kann (und soll) das Gericht in derartigen Fällen den Mittelwert des Kostenrahmens für die Wertfestsetzung zugrunde legen.

Soweit der Sachverständige etwaige Mängel im Rahmen seiner Tätigkeit bestätigt, ist für die Festsetzung des Streitwertes seine Kostenschätzung zugrunde zu legen.

4.)

Endet das Beweissicherungsverfahren, ohne dass zu sämtlichen Mängelbehauptungen des Antragstellers der Kostenaufwand sachverständig festgestellt worden ist oder sind solche Feststellungen zur Höhe des Mängelbeseitigungsaufwandes schon mangels Beantragung nicht getroffen worden, ist der Streitwert hinsichtlich nicht durch einen sachverständig festgestellten Mängelbeseitigungsaufwand unterlegener Positionen nach dem hypothetischen Streitwert zu bemessen, der einer Geltendmachung der beweissicherungsbefangenen Ansprüche des Antragstellers in einem hypothetischen Hauptsache entsprechend würden.

Es ist also bezogen auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung und das Interesse des Antragstellers derjenige Wert als Streitwert des Beweissicherungsverfahrens festzusetzen, der dem objektiven Wert einer hypothetischen Hauptsacheverfahrens entsprechen würde, mit dem der dem Beweissicherungsverfahren zugrunde liegende Anspruch geltend gemacht werden könnte.

Hat der Antragsteller dabei in seinem Antrag keine Angaben dazu gemacht, welcher hypothetisch denkbaren Mängel- und Mängelfolgeschaden er sich berühmt oder in das spätere Hauptsacheverfahren überzuleiten gedenkt, dürfen dabei allerdings nicht sämtliche Kosten berücksichtigt werden, die sich mit noch so entfernter Wahrscheinlichkeit ergeben könnten, wenn die in Frage stehenden Mängel festgestellt worden wären und der Antragsteller alle hieraus erdenklichen Zahlungsansprüche, gleich welcher Art, hergeleitet hätte. Vielmehr muss sich die Beurteilung im Rahmen der im Beweissicherungsverfahren gestellten Anträge halten.

Davon nicht erfasste Schadensposten außerhalb des unmittelbaren Beseitigungsaufwandes kommen deshalb nur insoweit für eine Berücksichtigung für die Schätzung des Gegenstandswertes des Beweisverfahrens in Betracht, als sie von dem Antragsteller zum Gegenstand einer beantragen, dann aber nicht durchgeführten Beweissicherung gemacht worden waren oder er sich gerade auch solcher Ansprüche auf Ersatz entfernter Mangelfolgeschäden in der Antragsschrift, als möglicher Gegenstand einer hypothetischen späteren Geltendmachung im Hauptsacheverfahren, berühmt hatte.

Hat der Antragsteller hingegen nicht erkennen lassen, ob und in welchem Umfang die Beweissicherung auch die Grundlagen für die Geltendmachung von Schäden außerhalb des eigentlichen Nacherfüllungsaufwandes zur Beseitigung des Baumangels schaffen soll, beschränkt sich der Wertansatz für die nur behaupteten, von dem Sachverständigen aber nicht festgestellten Mängelbehauptungen des Antragstellers allein auf den Aufwand, der erforderlich gewesen wäre, um den Mangel im Wege der Nacherfüllung zu beseitigen, bzw. sich als unmittelbare Mangelfolgeschaden darstellt.

Waren Kosten außerhalb des eigentlichen, unmittelbaren Nacherfüllungsaufwands kein Gegenstand des Antrages, ist es nicht schon deshalb gerechtfertigt, zusätzlich zu den Kosten der unmittelbaren Mängelbeseitigung, auch diese entfernten Mängelfolgeschäden für die Bemessung des Streitwertes des Beweissicherungsverfahrens zu berücksichtigen, weil der Antragsteller die – von ihm aber gerade nicht genutzte – Möglichkeit gehabt hätte, sie ebenfalls zum Gegenstand der begehrten Beweissicherung zu machen und in dem Beweissicherungsgutachten dazu Feststellung treffen zu lassen. Denn es kommt auf den Wert des tatsächlich gestellten Antrages und nicht darauf an, welchen Antrag der Antragsteller hypothetisch stattdessen hätte stellen können.


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