Die Anzeigepflicht - ein (teurer?) Stolperstein für den Versicherungsnehmer (1)

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Anfechtung, Rücktritt, Vertragsanpassung und Kündigung wegen der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht – ein Überblick

Teil 1: Einleitung

Dieser Beitrag besteht aus insgesamt 3 Teilen und wird durch Teil 2 (die Voraussetzungen des § 19 VVG) und Teil 3 (Anfechtung nach § 123 BGB) fortgeführt.

Die Frage, welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben, dass der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Versicherungsvertrags Fragen des Versicherers objektiv falsch beantwortet hat, beschäftigt weiterhin die gerichtliche Praxis. Betroffen sind dabei meistens Personenversicherungen wie private Krankenversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung und Unfallversicherung, weil bei diesen Versicherungen insbesondere der individuelle Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers Bedeutung hat.

Für die im Verhältnis relativ hohe Anzahl von Fällen gibt es – neben bewußten Falschangaben natürlich – nach meiner Einschätzung im Wesentlichen drei Gründe. Zum einen erschließt sich für die meisten Versicherungsnehmer der Sinn der von dem Versicherer gestellten Fragen nicht, weshalb der Beantwortung keine große Bedeutung beigemessen wird. Dies gilt insbesondere, wenn der Versicherungsnehmer vor der Beantwortung der Fragen nicht oder nicht ausreichend deutlich auf die Weite der Fragestellung und die Folgen einer falschen Beantwortung hingewiesen wird. Zum zweiten ist die gesetzliche Regelung über die Zulässigkeit von Fragen und Rechtsfolgen einer Verletzung sehr komplex ausgestaltet. Diese Rechtslage birgt in der Praxis die nicht unerhebliche Gefahr der fehlerhaften Anwendung durch den Versicherer in sich, der einen Fehler – wenn er denn passiert sein sollte – nur in den seltensten Fällen einräumen wird. Schließlich ist – als dritter Grund – das Verhalten des jeweiligen Versicherungsvermittlers, sei er Versicherungsvertreter oder Makler, mit zu berücksichtigen, weshalb im gerichtlichen Verfahren in der Regel der Ablauf des Vermittlungsgesprächs durch eine Beweisaufnahme aufgeklärt werden muss.

Die nachstehenden Ausführungen sollen zeigen, dass allein die objektiv falsche Beantwortung einer Frage nicht automatisch das Recht des Versicherers nach sich zieht, den Vertrag rückwirkend zu beenden und Leistungen zu verweigern. Vielmehr gibt es eine Vielzahl von Voraussetzungen, die alle vorliegen müssen, und deren Vorliegen die Sachbearbeiter teilweise in den kurzen vom Gesetz gesetzten Frist gar nicht prüfen können. Von daher lohnt es sich in der Regel, Anfechtungs-, Rücktritts- oder Anpassungserklärungen durch einen Fachanwalt für Versicherungsrecht prüfen zu lassen.

Um die Lage nicht zu verschlimmern, sollte der Versicherungsnehmer jedoch davon Abstand nehmen, mit dem Versicherer oder dem Versicherungsvermittler direkt „eine Klärung“ herbeizuführen, da dies nach aller praktischen Erfahrung gegen den Versicherungsnehmer verwandt werden kann. In der Regel ist der Versicherungsnehmer durch den Vorwurf, etwas falsch gemacht zu haben, persönlich angegriffen. Hinzu kommt der Druck, dass der erhoffte Versicherungsschutz nicht gewährt wird. Da der Versicherer in einem Telefonat niemals die schriftlich getroffene Entscheidung aufheben wird, sind nicht wenige Versicherungsnehmer frustriert und erbost, weshalb vielleicht Dinge gesagt werden, die in einem späteren Verfahren gegen den Versicherungsnehmer verwandt werden können. Ein persönliches Tätigwerden kann daher durchaus die Erfolgsaussichten eines späteren Verfahrens verschlechtern.

Zweck der vorvertraglichen Anzeigepflicht

Wie bereits gesagt, misst der durchschnittliche Versicherungsnehmer den von dem Versicherer im Antragsformular gestellten Fragen in der Regel wenig Bedeutung zu. Dies deckt sich aber nicht mit der unbestreitbaren Tatsache, dass die Beantwortung der Fragen für den Versicherer oftmals die wichtigste Grundlage ist, zu entscheiden, ob und wenn ja zu welchen Konditionen – insbesondere zu welchen Beiträgen – der Versicherungsvertrag abgeschlossen werden soll. Insbesondere im Bereich der Personenversicherung wird nämlich die Höhe der Prämie und die Vereinbarung von Risikoausschlüssen davon abhängen, welche individuellen Risiken der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person aufweist.

So dürfte nachzuvollziehen sein, dass die statistische Wahrscheinlichkeit, dass der Versicherer die Versicherungsleistung wird erbringen müssen, im Rahmen der Berufsunfähigkeitsversicherung sowohl vom Beruf als auch vom Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers abhängig ist. Denn es ist z.B. wesentlich wahrscheinlicher, dass ein Dachdecker mit einer Vorschädigung der Wirbelsäule berufsunfähig werden wird als z.B. ein Bürokaufmann ohne Vorerkrankungen. Dieses höhere subjektive Risiko des Einzelnen wird im Rahmen der Prämienberechnung durch Risikoaufschläge mit berücksichtigt, um sie nicht auf alle Versicherungsnehmer umverteilen zu müssen.

Aufgrund dessen ist es nachvollziehbar, dass der Versicherer bei Abschluss des in der Regel langlaufenden Vertrags die für seine Bewertung wichtigen Risiken abfragt. Da der Versicherer insbesondere zum Gesundheitszustand keine eigenen Erkenntnisse hat, ist dies auch für alle Parteien der günstigste Weg.

Demgegenüber ist der Versicherer nach dem Gesetz nicht verpflichtet, eigene Erkundigungen einzuholen. Einige Versicherungsnehmer argumentieren – nachdem die falsche Beantwortung der Gesundheitsfragen aufgefallen ist – damit, dass der Versicherer ja ihren Arzt hätte befragen können, wenn ihm die richtige Beantwortung der Frage wichtig gewesen wäre. Eine solche Argumentation wird in der Regel vom Gericht nicht gehört, weil der Versicherer sich ohne weitere Hinweise darauf verlassen darf, dass seine Fragen richtig beantwortet werden.

Schwieriger ist schon das Verteidigung zu bewerten, dass dem Versicherer aus anderen Versicherungsverträgen – wenn z.B. neben der BU-Versicherung auch die Krankenversicherung bei dem gleichen Versicherer abgeschlossen ist – eine Erkrankung bekannt war, deren Angabe bei einer neuen Antragsstellung vergessen wurde. Ob der Versicherer in diesem Fall die Angaben anhand der eigenen Daten überprüfen muss, wird im Wesentlichen davon abhängen, ob die Verträge bei der gleichen Gesellschaft der Versicherungsgruppe abgeschlossen wurden, da der Versicherer schon aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht auf Datenbestände anderer Versicherungsgesellschaften zugreifen darf. Häufig wird in solchen Fällen aber auch die Frage zu stellen sein, ob der Versicherungsvertreter die Erkrankung aus seiner Betreuung kannte und ob sich der Versicherer diese Kenntnis zurechnen lassen musste.

Der übliche Ablauf von Anfechtung und Rücktritt

In den meisten Fällen stellt sich die Problematik der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung erst, wenn der Versicherer Kenntnis davon oder Hinweise dafür bekommt, dass bestimmte Umstände im Antrag nicht angegeben wurden. Dies geschieht in der Regel erst im Rahmen der Regulierung eines Schadenfalls, also im Falle der Personenversicherungen z.B. wenn der Versicherungsnehmer den Antrag auf Berufsunfähigkeitsleistungen stellt oder in der privaten Krankenversicherung Rechnungen zur Regulierung einreicht.

Der Versicherer wird dann Unterlagen der behandelnden Ärzte anfordern, die häufig nicht nur Informationen zur aktuellen Erkrankung, sondern die gesamte Krankengeschichte enthalten.

Mit Zugang der Unterlagen bei dem zuständigen Mitarbeiter beginnt die Frist von einem Monat für den Versicherer zu laufen, innerhalb der er sich entscheiden muss, ob er von seinen Rechten nach § 19 VVG Gebrauch machen will. Probleme bereitet für den Sachbearbeiter dabei insbesondere, dass er den Grad des Verschuldens des Versicherungsnehmers einschätzen muss, ohne ihn anzuhören.

Sofern Anzeichen dafür bestehen, dass die Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung vorliegen, läuft eine Frist von einem Jahr ab Kenntniserlangung.

Der Versicherer wird dann intern seine Entscheidung fällen, wobei häufig nicht nur der Sachbearbeiter mit der Entscheidung beauftragt ist, sondern zumindest die Abteilungsleitung mit eingebunden ist. Das bedeutet aber auch, dass die einmal getroffene Entscheidung nicht mehr in Frage gestellt werden wird, jedenfalls nicht in der Diskussion mit dem Versicherungsnehmer.

Rechtsanwalt Heiko Effelsberg, LL.M.

Fachanwalt für Versicherungsrecht

Der Beitrag wird im Teil 2 (Voraussetzungen des § 19 VVG) fortgesetzt.


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