Die strafrechtliche Vermögensabschöpfung im Jugendstrafrecht – Teil 1

  • 4 Minuten Lesezeit

Seit Juli 2017 bestehen für die strafrechtliche Vermögensabschöpfung vereinfachte Regeln. Fraglich ist, inwieweit diese im Jugendstrafrecht zur Anwendung kommen können und ob dies nicht im Widerspruch zu dem Ziel des Jugendstrafrechts steht, welche in § 2 JGG geregelt sind.

Aktuell gilt nach § 8 Abs. 3 JGG, dass das Erlassen von Nebenfolgen zulässig ist.

Aufgrund dessen ist die Einziehung der Taterträge gestattet, jedoch obliegt die Entscheidung über den Erlass der Nebenfolge dem Ermessen des Gerichts.

Diese Möglichkeit der Nebenfolge könnte jedoch bereits gegen das Ziel und den Zweck des JGG sein.

Zielsetzung des JGG – der Erziehungsgedanke im Jugendstrafrecht

Das Jugendstrafrecht hat gem. § 2 JGG zum Ziel, dass der Begehung einer erneuten Straftat von Jugendlichen und Heranwachsenden entgegengewirkt wird. Dies stellt eine sogenannte Spezialprävention dar. Um diese Wirkung der Spezialprävention gerecht zu werden, hat das Jugendstrafrecht als Hauptcharakteristika einen Erziehungsgedanken inne.[1]

Aufgrund dessen sind die strafrechtlich relevanten Taten von Jugendlichen und Heranwachsenden anders als im Erwachsenenstrafrecht zu begutachten und zu behandeln. D. h., es ist pädagogisch fähiges Personal notwendig, ein spezielles Verfahren wie auch eine besondere Art der Reaktion.

Das Jugendstrafrecht darf darüber hinaus auch nicht für die Abschreckung vor Straftaten genutzt werden.

Natürlich sollen staatliche Strafmaßnahmen zielführend die erneute Begehung von Straftaten verhindern, jedoch sollen diese explizit bei Jugendlichen und Heranwachsenden keine schädigende Konsequenz mit sich bringen.

Aufgrund dessen bestehen Einschränkungen des Freiheitsentzugs im Jugendstrafrecht und enge Voraussetzungen an die Anordnung einer Untersuchungshaft wie das Ausschöpfen von alternativen Maßnahmen.

Bezüglich der erwähnten abschreckenden Wirkung ist zu berücksichtigen, dass härtere Strafen nicht vor Straftaten abschrecken. Dies besteht eher im Gegenteil, härtere und längere Freiheitsstrafen haben prognostiziert negative Konsequenzen für die Täter. Einer Resolution aus dem Jahr 1998, welche die Unterschriften von 55 Professoren/-innen für das Jugendstrafrechts wie auch Kriminologen/-innen beinhaltete, kam zu dem Fazit „Härte als Antwort nutzt im Zweifel nichts“.[2]

Darüber hinaus resultiert der Hintergrund der anderen Behandlung von Jugendlichen und Heranwachsenden daraus, dass die Entwicklung der Persönlichkeit der Täter im Alter von 21 bis zum 26. Lebensjahr noch nicht vollendet ist und diese aufgrund dessen für Impulse noch offen sind.

Kriminelles Verhalten ist zudem in diesem Stadium keine verfestigte Lebensweise, sondern lediglich die Konsequenz einer gescheiterten Identitätsentwicklung oder anderer spezieller Problemlagen.[3]

Anwendung der Vermögensabschöpfung im Zusammenhang mit dem JGG – Vereinbarkeit mit den Grundsätzen des Jugendstrafrechts

In jüngster Vergangenheit kam es aufgrund der Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung zu verschiedenen und sehr unterschiedlichen, rechtlichen Entscheidungen bzgl. der Festsetzung der Strafe von Jugendlichen/Heranwachsenden unter der Anwendung der Vermögensabschöpfung.

Hinsichtlich der Anwendung der Vermögensabschöpfung ist explizit zu erwähnen, dass keine ausdrücklichen Bestimmungen bzgl. der Anwendbarkeit und der Reichweite der Vermögensabschöpfung im Gesetz geregelt wurden bzw. der Wortlaut lässt keine Einschränkungen und konkreteren Bestimmungen erkennen. Lediglich sei geregelt, dass die Vermögensabschöpfung für das gesamte Strafrecht anzuwenden ist. Zu einer expliziten Würdigung des JGG kam es dabei nicht. Jedoch ist das Jugendstrafrecht als spezielles Gesetz anzusehen und folglich „lex specialis“, d. h. mit Vorrang, anzuwenden.

Mit diesem Spanungsverhältnis zwischen dem JGG und dem Ausmaß der strafrechtlichen Neuregelung der Vermögensabschöpfung scheint sich der Gesetzgeber, aufgrund seines Schweigens, nicht auseinandergesetzt zu haben. Der Grundsatz, dass sich Straftaten nicht lohnen dürfen, und die Fokussierung dessen können nicht ausnahmslos Anwendung im Jugendstrafrecht finden.

Denn diesem Prinzip wird das Jugendstrafrecht ebenfalls gerecht durch die bestehenden Paragrafen § 10 Abs. 1 Nr. 7 und § 15 Abs. 1, 2 JGG. Diese haben den Täter-Opfer-Ausgleich wie auch Auflagen zur Wiedergutmachung bzw. dem Ausgleich zum Inhalt und stellen damit, ihrer Systematik nach, die JGG-Version des § 73 StGB dar. Die Besonderheit dabei ist, dass die in § 10 und § 15 JGG im Gegensatz zu § 73 StGB limitierte Anforderungen an den Betrag und die Zeitspanne der Strafe und der Nebenfolge stellen. Bspw. beinhaltet § 11 Abs. 2 JGG eine maximale Laufzeit von 3 Jahren.

In einem Urteil des Amtsgerichts Frankfurt a. M. vom 29.03.2018 heißt es in den Gründen für das Urteil, dass von der Einziehung aufgrund des Erziehungsgedanken des § 2 JGG abgesehen wurde. Dies resultierte daraus, dass es bereits zu einem vereinbarten Wertersatz kam und eine zusätzliche Vermögensabschöpfung nach §§ 73, 73c StGB im Widerspruch zu der Wertung des § 2 JGG stehen würde. Darüber hinaus zieht § 15 Abs. 1 S. 2 JGG als „lex specialis“ zu § 73 ff. StGB in Betracht, bei welcher in Folge der Reform auch keine Änderung oder Derogation dessen zu entnehmen ist.

Der § 15 Abs. 1 S. 2 JGG hat zum Inhalt, dass dem Jugendlichen keine unzumutbaren Anforderungen auferlegt werden. D. h., es darf zu keiner Überforderung des Jugendlichen in seiner Leistungsfähigkeit kommen. Dieses explizite Überforderungsverbot, welches sich aus dem Erziehungsgedanken ergibt, ist von besonderer Wichtigkeit. Denn eine finanzielle Ausweglosigkeit durch ein jahrelanges Überschulden kann bereits die Motivation zur Begehung von weiteren Vermögensstraftaten sein.

Diese Konsequenz widerspricht folglich dem Erziehungsgedanken des JGG und dem zugrunde liegenden Zweck der Spezialprävention, Jugendliche davon abzuhalten, erneut straffällig zu werden. Zudem würde die resultierenden Umstände die vom Gesetzgeber beabsichtigte Erziehung signifikant erschweren.[4]

Teil 2 finden Sie auf meinem anwalt.de-Profil.

[1] MüKoStGB/Laue, 3. Aufl. 2018, JGG § 2 Rn. 2-3

[2] http://www.bpb.de/izpb/268248/ziele-und-aufgaben-des-jugendstrafrechts?p=all

[3] [Thomas Vogel, „Jugendgefängnis: eine Erfahrung, die mehr ist als nur Strafe“, in: Aachener Zeitung vom 5. November 2013]

[4] AG Frankfurt a. M., Urteil v. 29.03.2018 – 905 Ds 4720 Js 220181/17


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Benjamin Grunst

Beiträge zum Thema