Die Unterstützung zum Suizid – macht sich der Arzt strafbar?

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Die aktuelle Rechtslage

Wie weit darf das Selbstbestimmungsrecht eines Patienten reichen? Haben schwerkranke Menschen ein Recht auf Sterben? Dürfen Ärzte einem zum Selbstmord entschiedenen Patienten helfen, indem sie tödliche Medikamente verschreiben? Die Debatte um die Sterbehilfe wirft eine Vielzahl an Fragen auf.

Ein wenig Klarheit über die Rechtslage bringt daher die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu zwei Sterbehilfefällen.

Doch bereits davor galt: Der Suizid ist nicht strafbar. Da nur die Hilfe zu einem strafbaren Handeln bestraft werden kann, ist also auch die Beihilfe zum Suizid straflos.

Wer jemandem beim Sterben hilft, macht sich dennoch unter Umständen wegen Tötung durch Unterlassen strafbar. Wer eine besondere Schutzpflicht gegenüber dem Sterbenden hat, gilt als Garant und muss sich für das Unterlassen von Rettungsmaßnahmen strafrechtlich verantworten.

Seit 2015 wird zudem die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung nach § 217 StGB unter Strafe gestellt. Der umstrittene Paragraph bestraft denjenigen, der dem Suizidenten eine Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt und dessen Handeln auf Wiederholung angelegt ist.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Unterstützung der Sterbehilfe

Mit Entscheidung vom 03. Juli 2019 (5 StR 132/18 und 5 StR 393/18) hat der Bundesgerichtshof die Revisionen der Staatsanwaltschaften in zwei Verfahren verworfen. Die in den Verfahren wegen Unterstützung von Selbsttötungen bzw. wegen des Unterlassens von Maßnahmen zur Rettung angeklagten Ärzte wurden somit in beiden Fällen freigesprochen.

Hintergrund dieser Urteile waren Verfahren vor dem Berliner und Hamburger Landgericht. Die Verfahren hatten gemeinsam, dass es sich dort nicht um totkranke Suizidenten handelte und die Patienten die tödlichen Medikamente selbst eingenommen hatten. Die Betroffenen litten an nicht lebensbedrohlichen Krankheiten, welche jedoch ihre Lebensqualität und persönliche Handlungsmöglichkeiten zunehmend einschränkten.

In dem Verfahren vor dem Landgericht Hamburg hatten die Betroffenen sich daher an einen Sterbehilfeverein gewandt. Für die Unterstützung bei ihrem Suizid war ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten erforderlich, das der beschuldigte Arzt erstellt hatte. Auf Wunsch der Patientinnen war der Arzt während der Einnahme der tödlich wirkenden Medikamente vor Ort, unterließ es aber, Rettungsmaßnahmen einzuleiten.

Ähnlich verhielt es sich auch in dem Verfahren vor dem Landgericht Berlin. Die Patientin hatte nach mehreren erfolglosen eigenen Selbsttötungsversuchen den Beschuldigten um Hilfe beim Sterben gebeten. Dieser hatte seiner Patientin ein starkes Schlafmittel verschrieben, welches sie später eigenhändig eingenommen hatte. 

Im Anschluss hatte die Patientin ihren Arzt per SMS über die Einnahme informiert. Wie von seiner Patientin erwünscht, hatte der Arzt den Sterbeprozess begleitet und auch hier keine lebensrettenden Maßnahmen unternommen.

Beide Landgerichte hatten die Beschuldigten freigesprochen. Sie argumentierten, dass etwaige Rettungsmaßnahmen dem Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen widersprochen hätten. Den Beschuldigten war die freiverantwortliche Ausübung des Suizids bekannt. Dies habe die Pflicht der Angeklagten zu lebensrettenden Maßnahmen entfallen lassen.

Dieser Auffassung war auch der Strafsenat des Bundesgerichtshofs. Die Freisprüche in den Hamburger und Berliner Urteilen sind somit rechtskräftig.

Keine besondere Hilfspflicht der Ärzte

Eine Strafbarkeit der Beschuldigten wäre nur möglich gewesen, wenn die Patienten nicht in der Lage gewesen waren, einen freiverantwortlichen Selbsttötungswillen zu bilden. Hierzu hätte das Landgericht Umstände feststellen müssen, die darauf hinweisen, dass die Eigenverantwortlichkeit der Verstorbenen eingeschränkt gewesen ist. Hier waren die Sterbewünsche der Betroffenen ein Ergebnis der langjährigen Einschränkungen durch die Krankheiten. 

Es stand außer Zweifel, dass die Beschuldigten die Wohlerwogenheit der Selbsttötung nicht gekannt haben. Die Suizide stellten sich als Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Patientinnen dar. Für das Handeln der Ärzte vor den Suiziden bestand also keine strafrechtliche Verantwortlichkeit.

Wie verhält es sich nun aber bezüglich der als Arzt bestehenden Pflicht zur Rettung des Lebens? Grundsätzlich besteht bei einem Ärzte-Patienten-Verhältnis eine sogenannte Garantenstellung, also eine besondere Pflicht, einen tatbestandlichen Erfolg abzuwenden. Hierzu ist die freiwillige Übernahme von Schutz- oder Beistandspflichten erforderlich. Ein Hausarzt hätte danach also grundsätzlich die Pflicht zur Rettung des Lebens seiner Patienten.

In dem Hamburger Verfahren kommt eine solche Garantenpflicht des Arztes aber allein schon deswegen nicht in Frage, weil der Beschuldigte keine ärztliche Behandlung der Suizidentinnen übernommen hatte. Die vereinbarte Begleitung des Sterbens oder sogar die Erstellung des Gutachtens für den Sterbehilfevereins verpflichten den Arzt noch nicht zu einer Rettung des Lebens aufgrund einer Garantenpflicht.

Dagegen hätte die Pflicht des Berliner Arztes zwar grundsätzlich bestanden, doch aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Patientin wurde der Beschuldigte hiervon entbunden.

Stärkung des Selbstbestimmungsrechts und Folgen für die Praxis

Mit dieser Entscheidung wird die umstrittene frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinsichtlich der Sterbehilfe beseitigt. Bisher hatten Sterbehelfer sich strafbar gemacht, wenn sie bei einem bewusstlosen Suizidenten keine lebensrettenden Maßnahmen durchgeführt hatten. 

Das hatte zur Folge, dass die Sterbehelfer und Ärzte ihre Patienten nach Einnahme des Medikamentes regelmäßig alleine lassen mussten, um kein Strafverfahren wegen Tötung durch Unterlassen zu riskieren.

Durch das neue Urteil hat sich der Bundesgerichtshof ausdrücklich für ein stärkeres Selbstbestimmungsrecht des Patienten entschieden.

Auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich derzeit mit dem Thema, genau genommen mit der Verfassungsmäßigkeit des Verbots der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gemäß § 217 StGB. Das Urteil wird noch in den nächsten Monaten erwartet.

Da das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe erst 2015, also vor der Tathandlung der Beschuldigten, eingeführt wurde, kommt eine Strafbarkeit gemäß § 217 StGB wegen des Verbots der rückwirkenden Bestrafung nicht in Frage.

Hilfe durch Fachanwalt für Strafrecht

Rechtsanwalt Steffen Dietrich arbeitet seit vielen Jahren ausschließlich als Strafverteidiger in Berlin und deutschlandweit. Wenn gegen Sie ein Ermittlungsverfahren geführt wird, können Sie unter den angegebenen Kontaktdaten einen Besprechungstermin mit Rechtsanwalt Dietrich vereinbaren.


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