Die vergiftete Babynahrung – Wann kann ein Erpresser von einem beendeten Versuch zurücktreten?

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Der Rücktritt von einem beendeten Versuch 

Der Rücktritt gemäß § 24 StGB stellt einen persönlichen Strafaufhebungsgrund dar.

In § 24 StGB Abs. 1 heißt es:

„Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.“

Unterschieden wird also zwischen einem unbeendeten oder beendeten Versuch und einem fehlgeschlagenen Versuch.

Welche Anforderungen an die Rücktrittshandlung des Versuchstäters zu stellen sind, ist nicht immer klar und musste auch vom Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 05. Juni 2019 (1 StR 34/19) besprochen werden.

Muss ein Täter stets die beste Möglichkeit zur Erfolgsverhinderung wählen?

Genauer stellte sich dem Bundesgerichtshof die Frage, ob bei einem Rücktritt von einem beendeten Versuch an die Verhinderung des Erfolgseintritts über die bloße Ursächlichkeit des Rücktrittsverhalten hinaus weitere Anforderungen zu stellen sind.

Der Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, der sich 2017 in Friedrichshafen abspielte:

Da sich der Angeklagte in finanziellen Schwierigkeiten befand, entschloss er sich, diese als „Lebensmittelerpresser“ zu überwinden. Er verschaffte sich daher insgesamt fünf verschiedene Gläser mit Babynahrung, öffnete den Deckel der vakuumverschlossenen Gläser und fügte der breiigen Babynahrung jeweils zwischen ca. 41 und 50 ml der tödlich wirkenden Chemikalie Ethylenglykol hinzu. Anschließend schraubte er die Deckel wieder auf die Gläser. Bei reinem Ethylenglykol handelt es sich um eine farb- und geruchslose Flüssigkeit mit einem süßlichen Geschmack, dessen Einnahme für Säuglinge und Kleinkinder bereits ab einer Dosis von 1,4 ml pro Kilogramm Körpergewicht tödlich ist. Nach dem Konsum einer tödlichen Meng tritt der Tod in einem Zeitraum von bis zu 72 Stunden nach der Einnahme infolge Nierenversagens ein. Zuvor kommt es zu einer schweren stoffwechselbedingten Übersäuerung, zu Krampfanfällen, Bewusstseinseintrübungen, Komazuständen und einer beginnenden Niereninsuffizienz und dann zu Störungen des Herz-Kreislauf-Systems sowie der Atmung.

An einem Samstagabend verteilte der Angeklagte die Gläser dann in fünf verschiedenen Lebensmittel- und Drogeriemärkten in Friedrichshafen. Die kontaminierten Gläser mit Babynahrung waren dabei optisch nicht von nicht kontaminierten Gläsern zu entscheiden. Sie enthielten zudem eine für die „Zielgruppe“ der Babynahrung um das drei- bis fünffache tödliche Dosis Ethylenglykol. Dies nahm der Angeklagte auch billigend in Kauf.

Nachdem er alle Gläser verteilt hatte, verschickte der Angeklagte eine E-Mail mit der Betreffzeile „Vergiftete Babynahrung in Geschäften in Friedrichshafen“ an das Bundeskriminalamt, eine Verbraucherschutzzentrale sowie sechs Einzelhandelskonzerne. In dieser anonym verfassten E-Mail teilte er mit, dass sich in fünf Märkten jeweils ein Glas mit vergifteter Babynahrung befänden. Die Marke und Geschmacksrichtung bezeichnete er dabei konkret, nicht aber die direkt betroffene Filiale. Der Angeklagte forderte zudem eine Zahlung von Bargeld in Höhe von 11,75 Mio. Euro und gab an, dass er anderenfalls weitere vergiftete Gläser ohne Warnung in weiteren Märkten platzieren würde.

Im Rahmen der eingeleiteten polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen gelang es der Polizei alle Gläser rechtzeitig sicherzustellen und den Angeklagten einige Tage später festzunehmen. Zu der vom Angeklagten angestrebten Zahlung kam es nicht.

Das Landgericht Ravensburg hatte das Tatgeschehen daher als versuchten Mord (§§ 211, 22, 23 StGB) in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung mit Todesfolge (§§251, 253, 255, 22, 23 StGB) in der Konstellation des Versuchs der Erfolgsqualifikation gewertet.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof schloss sich dieser Entscheidung aber nicht an.

Ein Rücktritt von einem beendeten Versuch gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB komme auch dann in Betracht, wenn der Täter unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung nicht die sicherste oder optimale gewählt hat, sofern sich das auf Erfolgsabwendung gerichtete Verhalten des Versuchstäters als erfolgreich und für die Verhinderung der Tatvollendung als ursächlich erweist. Es komme nicht darauf an, ob dem Täter schnellere oder sicherere Möglichkeiten der Erfolgsabwendung zur Verfügung gestanden hätten. Es komme bei einem beendeten Versuch gerade nicht auf ein „ernsthaftes Bemühen“ an.  

Erforderlich sei aber stets, dass der Täter eine neue Kausalkette in Gang gesetzt hat, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich oder jedenfalls mitursächlich geworden ist. Ohne Belang sei dabei, ob der Täter noch mehr hätte tun können, sofern er nur die ihm bekannten und zur Verfügung stehenden Mittel benutzt hat, die aus seiner Sicht den Erfolg verhindern konnten.

Der Angeklagte habe hier eine neue Kausalkette in Gang gesetzt, indem er in der anonym verfassten E-Mail auf die vergifteten Gläser mit Babynahrung aufmerksam machte. Dies sollte auch nicht nur aus seiner Sicht zur Sicherstellung der kontaminierten Produkte führen. Vielmehr führte dies tatsächlich zu deren Auffinden und erweis sich damit für die Verhinderung der Tatvollendung als ursächlich. Es reiche zwar für einen Rücktritt nicht aus, wenn der Täter den Taterfolg weiterhin billigend in Kauf nimmt. Vorliegend könne hiervon jedoch nicht mehr ausgegangen werden. Obwohl der Angeklagte nicht die direkt betroffenen Filialen bekannt gab oder die lokalen Polizeistellen informierte und somit nicht die sicherste und optimale Möglichkeit zur Erfolgsverhinderung wählte, machte er dennoch so genaue Angaben zur Ermöglichung von deren Sicherstellung, dass nicht mehr davon ausgegangen werden könne, dass er eine mögliche Tötung von Kleinkindern weiterhin billigte.

Im Ergebnis verbleibe daher nur eine Strafbarkeit wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung. Der Bundesgerichtshof verwies die Sache daher zurück.



Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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