Ein Anbau gilt nur dann als eigenständiges Gebäude, wenn er funktional und bautechnisch selbständig ist
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OVG Niedersachsen, Beschluss vom 18.04.2024 - 1 LA 1/24
1. Für die Abgrenzung eines Gebäudes im Sinne von § 2 Abs. 2 NBauO von einem Gebäudeteil ist die funktionale und bautechnische Selbständigkeit maßgeblich; eine wertende Gesamtbetrachtung ist erforderlich.2. Eine Verbindungstür zwischen dem Hauptgebäude und einem Anbau lässt diesen nicht zwangsläufig als Teil des Hauptgebäudes erscheinen, wenn die Verbindung die eigenständige Funktion des Anbaus unberührt lässt und ohne wesentliche Funktionsänderung hinweggedacht werden könnte. Die rechtlichen Grenzen sind überschritten, wenn der Anbau erheblich in die Nutzung des Hauptgebäudes eingebunden ist.3. Dient ein Anbau mehreren Nutzungszwecken, darf die dem Hauptgebäude zuzuordnende Nutzung den Anbau nicht wesentlich prägen.
Problem/Sachverhalt
Ob und welche Abstandsflächen einzuhalten sind, hängt auch davon ab, ob eine bauliche Anlage als "Gebäude" anzusehen ist, da diese Regelungen vornehmlich auf Gebäude bezogen sind (§ 5 Abs. 1 NBauO). Der Gebäudebegriff ist als "selbständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können und geeignet oder bestimmt sind, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen" in § 2 Abs. 2 NBauO definiert.
Dabei sind "Garagen und Gebäude ohne Aufenthaltsräume" privilegiert; sie dürfen ohne Abstand von der Grenze errichtet werden (§ 5 Abs. 8 Satz 4 Nr. 2 NBauO). In diesem Fall geht es um die Qualifizierung eines seitlichen Anbaus. Der Bauherr möchte einen bestehenden Keller um einen Fahrradkeller erweitern. Dieser erhält mit einer in einem Anbau mündenden Treppe einen eigenen Zugang. Da es sich nicht um eine Garage handelt, kommt die Abstandsflächenprivilegierung nur dann zum Tragen, wenn es sich um ein selbständiges "Gebäude ohne Aufenthaltsräume" handelt. Hier geht es um die Gebäudeeigenschaft.
Entscheidung
VG und OVG verneinen die Privilegierung; die Baugenehmigung wird auf Klage des Nachbarn aufgehoben, und der Antrag des Beigeladenen, die Berufung zuzulassen, abgelehnt. Der Anbau ist nicht als eigenständiges "Gebäude", sondern als funktional dem Hauptgebäude zuzuordnender Gebäudeteil anzusehen. Die Funktion des Anbaus, eine eigenständige Erschließung des Fahrradkellers zu gewährleisten, ist wesentlich in die Nutzung des Hauptgebäudes eingebunden. Daher muss er als Teil des Hauptgebäudes betrachtet werden und die Grenzabstände einhalten. Die Privilegierung des § 5 Abs. 8 Satz 4 Nr. 2 NBauO kann nicht in Anspruch genommen werden.
Praxishinweis
Das OVG erwähnt die Möglichkeit einer Verbindungstür zwischen einer Grenzgarage und dem angrenzenden Haupthaus. Eine solche Verbindung hindert die Eigenständigkeit der Garage als "Gebäude" nicht. Für die Abgrenzung eines Gebäudes zu einem Gebäudeteil ist die "funktionale und bautechnische Selbständigkeit" maßgeblich, die im Rahmen einer "wertenden Gesamtbetrachtung" zu erfassen ist.
Gemessen am Gesetzeszweck, die Einhaltung von Grenzabständen zu sichern und Ausnahmen auf wenige, im Zweifel nicht störende, Anlagen- und Gebäudetypen zu beschränken, erscheint die Argumentation in diesem Fall spitzfindig und wenig überzeugend, da der Grad der möglichen Nachbarbeeinträchtigung eine differenzierte Betrachtung kaum zulässt.
Zusammenfassung:
Die Abgrenzung eines Gebäudes von einem Gebäudeteil richtet sich nach der funktionalen und bautechnischen Selbständigkeit. Eine Verbindungstür allein macht einen Anbau nicht zum Teil des Hauptgebäudes, solange seine eigenständige Funktion unberührt bleibt. Wenn jedoch der Anbau in die Nutzung des Hauptgebäudes eingebunden ist, gilt er als Teil des Hauptgebäudes und muss die Grenzabstände einhalten. Im vorliegenden Fall wurde die Privilegierung eines Anbaus als eigenständiges Gebäude verneint, da der Anbau in die Nutzung des Hauptgebäudes eingebunden war.
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