"Erkennbarer entgegenstehender Wille" als Voraussetzung gem. § 177 StGB – Anwalt Sexualstrafrecht

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Gem. § 177 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt. Das Strafmaß hierfür beträgt Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

Neben § 177 Abs. 2 StGB ist Abs. 1 damit einer der beiden Grundtatbestände des sexuellen Übergriffs, dessen bloßer Versuch ebenfalls strafbar ist (Abs. 3).

Qualifikationen dieser beiden Grundtatbestände finden sich in den Absätzen 4 und 5, welche einen erhöhten Strafrahmen von Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr vorsehen, beispielsweise, wenn der sexuelle Übergriff dadurch erfolgt, dass der Täter gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet.

Einen besonders schweren Fall der Verwirklichung des Grunddelikts (Abs. 6) stellen die von mehreren Personen gemeinschaftliche Begehung des Grunddelikts sowie die sog. Vergewaltigung dar. In solchen Fällen beträgt die Mindestfreiheitsstrafe zwei Jahre. Eine Vergewaltigung liegt vor, wenn der Täter mit dem Opfer entgegen dessen erkennbaren Willen den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. Darunter fallen insbesondere Vaginal-, Anal- oder Oralverkehr sowie das Eindringen eines Fingers in den Scheidenvorhof (BGH NJW 2000, 672; BGH BeckRS 2017, 139514).

Führt der Täter bei Ausführung der Tat ein Werkzeug oder eine Waffe mit sich oder bringt er das Opfer durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung, so kann eine Freiheitsstrafe von nicht unter drei Jahren (Abs. 7). Führt der Täter das Werkzeug nicht nur bei sich, sondern verwendet er es sogar, drohen nicht weniger als fünf Jahre Freiheitsstrafe. Gleiches gilt für den Fall, dass nicht nur die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung durch die Tat besteht, sondern der Täter das Opfer bei der Tat schwer misshandelt oder durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt (Abs. 8).

In jedem Fall können aber die Voraussetzungen eines tätergünstigen minder schweren Falles vorliegen, sodass sich das Strafmaß zugunsten des Täters mildert (Abs. 9).

Liegt eine sexuelle Handlung im Sinne des § 177 StGB vor, was gemäß § 184h Nr. 1 StGB nur solche von einiger Erheblichkeit sind, also nach Art, Intensität und Dauer des sexualbezogenen Vorgehens eine gewisse Schwelle überschreiten, ist zu fragen, ob der Wille des Opfers dieser Handlung erkennbar entgegenstand.

Für ein strafbares Verhalten maßgeblich - und auch bereits ausreichend - ist daher allein der erkennbar entgegenstehende Wille des Opfers (BeckOK StGB/Ziegler, 40. Ed. 1.11.2018, StGB § 177 Rn. 9). Mit § 177 Abs. 1 StGB ist die sog. „Nein-heißt-Nein-Lösung“ normiert worden, die das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung gegen nicht gewollte Angriffe umfassend schützen soll. Geschützt ist die Freiheit des Opfers, jederzeit seinen Willen zu ändern, unabhängig von einer zuvor erteilten Zustimmung, von der Beziehung der Beteiligten oder etwaigen Abreden oder Gegenleistungen (BT-Drs. 18/9097, 23; BeckOK StGB/Ziegler, 40. Ed. 1.11.2018, StGB § 177 Rn. 8). Ob der entgegenstehende Wille erkennbar ist, ist aus der Sicht eines objektiven Dritten, also eines außenstehenden Beobachters, zu beurteilen (BT-Drs. 18/9097, 23; BeckOK StGB/Ziegler, 40. Ed. 1.11.2018, StGB § 177 Rn. 9). Für diesen ist der entgegenstehende Wille erkennbar, wenn das Opfer ihn zum Tatzeitpunkt entweder ausdrücklich (verbal) erklärt oder konkludent (z.B. durch Weinen oder Abwehren der sexuellen Handlung) zum Ausdruck bringt (BT-Drs. 18/9097, 22; BeckOK StGB/Ziegler, 40. Ed. 1.11.2018, StGB § 177 Rn. 9). Der bloße innere Vorbehalt des Opfers ist jedoch nicht maßgeblich (BT-Drs. 18/9097, 23; BeckOK StGB/Ziegler, 40. Ed. 1.11.2018, StGB § 177 Rn. 10). Fälle, bei denen die Motivlage des Opfers ambivalent ist, werden nicht von der Vorschrift erfasst (BT-Drs. 18/9097, 23; Hörnle NStZ 2017, 13 (15)). Denn es ist dem Opfer zuzumuten, dem entgegenstehenden Willen zum Tatzeitpunkt eindeutig Ausdruck zu verleihen (BT-Drs. 18/9097, 23; BeckOK StGB/Ziegler, 40. Ed. 1.11.2018, StGB § 177 Rn. 10). Gemeint ist, dass die Weigerung entweder ausdrücklich erklärt worden ist oder sich unmissverständlich aus der Situation ergibt, etwa wenn das Opfer sich sträubt oder weint. Bei einer ambivalenten Kommunikation ist der Wille des Opfers gerade nicht „erkennbar“ (MüKoStGB/Renzikowski, 3. Aufl. 2017, StGB § 177 Rn. 47).

Ein derartiger entgegenstehender Wille der Geschädigten muss mit der Rechtsprechung des BGH eindeutig feststellbar und hinreichend belegbar sein (BGH (1. Strafsenat), Beschluss vom 04.12.2018 – 1 StR 546/18). Dies kann dadurch der Fall sein, dass andere objektive Umstände zur Behauptung des Opfers, es habe die sexuelle Handlung ausdrücklich oder konkludent abgelehnt, hinzutreten. Solche Umstände sind insbesondere typische Abwehrverletzungen am Körper des Opfers oder des Täters, wie Kratzwunden und Hämatome, welche aus der Tat herrühren können.

Liegen solche weiteren Umstände aber nicht vor oder kann nicht eindeutig belegt werden, dass es sich bspw. um eine Verletzung aufgrund der Tat handelt, wächst der Druck auf Opfer. Es muss nun glaubhaft in einer in aller Regel emotional sehr belastenden Aussage darlegen, dass es seinen entgegenstehenden Willen dem Täter gegenüber auf die eine oder andere Art eindeutig kundgetan hat.

Da es sich in einer Vielzahl der Fälle um Vier-Augen-Konstellationen handelt, in denen die Aussage des Opfers gegen die des Täters steht, entstehen erhebliche Beweisprobleme. Zwar wird man die Beweiswürdigung kaum schon darauf stützten dürfen, wessen Geschichte plausibler ist, jedoch ist es aus der Perspektive des Täters i. d. R. zielführend mit gezielten Fragen, Zweifel an der Plausibilität und damit an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Opfers zu sähen (vgl. MüKoStGB/Renzikowski, 3. Aufl. 2017, StGB § 177 Rn. 48). Schon deshalb sieht sich das Opfer mit einer enormen Drucksituation konfrontiert. Andererseits birgt der Wortlaut des § 177 Abs. 1 StGB auch die Gefahr einer Strafverfolgung allein aufgrund der nachträglichen Behauptung des Opfers, körperlich signalisiert zu haben, die sexuelle Handlung nicht zu wollen. Bei der Frage, wie dies im Einzelfall ausgestaltet gewesen könnte, sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, sodass sich die Beweisschwierigkeiten erahnen lassen.

Letztlich muss im Einzelfall festgestellt werden, ob der Wille des Opfers tatsächlich entgegenstand und, ob dies zum einen objektiv erkennbar war und zum anderen ob dies auch gerade durch den Täter in dem Moment erkannt wurde, als die sexuelle Handlung vorgenommen wurde. Wie schwierig das sein kann, zeigen gerade Vorfälle in Beziehungen, bei denen argumentiert werden könne, dass ein „Nein“ noch keine endgültige Ablehnung bedeuten müsse. Ferner zeigen sich die Beweisschwierigkeiten bei widersprüchlichem Verhalten des Opfers. So sei ein behaupteter Widerwille unglaubwürdig, wenn die Person später höchst aktiv mitwirke und die sexuellen Handlungen des anderen nicht nur passiv erdulde (MüKoStGB/Renzikowski, 3. Aufl. 2017, StGB § 177 Rn. 48).


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