Erkennbarkeit des Fahrers bei Bußgeldbescheid

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Ein wesentlicher Streitpunkt vor den Gerichten ist im Bußgeldverfahren häufig die Frage der Erkennbarkeit des Fahrers auf dem Lichtbild in der Bußgeldakte.

Dies hängt damit zusammen, dass im deutschen Recht im Gegensatz zu vielen anderen Staaten (auch EU-Staaten) für eine Verurteilung positiv festgestellt werden muss, dass der Beschuldigte auch Fahrer des Fahrzeuges zum Tatzeitpunkt war, also der Beschuldigte identisch mit der Person auf dem Lichtbild in der amtlichen Ermittlungsakte ist.

Viele „Täterlichtbilder“ sind jedoch zum einen qualitativ zu schlecht, den Fahrer konkret erkennen zu lassen, oder sie sind zwar qualitativ gut, aber es gibt Sichteinschränkungen durch z. B. heruntergezogene Sonnenblenden, Sonnenbrillen, Vollbärte etc.

Der Betroffene in einem Bußgeldverfahren muss allerdings weder gegenüber der Bußgeldbehörde noch einem Gericht angeben, ob er Fahrer war oder wer der Fahrer war (Aussageverweigerungsrecht). Der Betroffene darf auf diese Frage schweigen, also von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen – ja, er darf sogar straffrei lügen (allerdings keinen Anderen der Tat konkret bezichtigen, da er hierdurch eine Straftat „falsche Verdächtigung“ begehen würde).

Das Gericht muss daher einen optischen Vergleich zwischen dem Fahrerbild und dem Betroffenen vornehmen und anhand einer Mehrzahl von Identifikationsmerkmalen feststellen, dass Identität vorliegt.

Liegen nicht genügend positive übereinstimmende Merkmale vor oder aber sog. konkret die Identität ausschließende Negativmerkmale, so ist keine hinreichende Sicherheit gegeben, dass Fahrer und Betroffener die gleiche Person sind und das Verfahren einzustellen.

Allerdings besteht eine Neigung der Richter, eine Identität zu erkennen. Hiergegen muss sich der Verteidiger des Betroffenen klar aussprechen. Kann das Gericht nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Betroffenen im Fahrerlichtbild erkennen, so gilt der Grundsatz „in dubio pro reo“, im Zweifel für den Angeklagten.

Allerdings darf hier nicht verkannt werden, dass dem Gericht in diesen Fällen auch die Möglichkeit bleibt, ein sog. Identifikationsgutachen in Auftrag zu geben. In diesem Falle erhält ein entsprechender Sachverständiger (Anthroploge) den Auftrag, die Identität zwischen Betroffenen und Fahrer festzustellen (oder auszuschließen). Dieser erstellt ein aufwändiges Gutachen, in welchem er u. a. durch Gesichtsvermessung eine Vielzahl von Gesichtsmerkmalen vergleicht und im Ergebnis eine Wahrscheinlichkeitsstufe der Identität ausweist. 

Eine zwingende Einschränkung in diesen Gutachten liegt jedoch immer darin, dass es keinen blutsnahen Verwandten gerader Linie gleichartigen Aussehens gibt. Ist ein solcher vorhanden (Bruder, Onkel ...) kann oft vom Sachverständigen auch keine Identität mehr hinreichend festgestellt werden.

Wird der Betroffene nach Vorlage eines solchen Gutachtens dann aber verurteilt, so muss der Tatrichter nach der neuen Entscheidung des OLGs Düsseldorf v. 23.03.18 -IV-3 RBs 54/18 die Ausführungen des Sachverständigen in einer in sich geschlossenen zusammenfassenden Darstellung wiedergeben. Dies gilt auch, wenn er sich den Ausführungen des Sachverständigen anschließt. Er muss die zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen in seinem Urteil mitteilen und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen. Es reicht also keinesfalls, wenn der Richter lediglich die vom Sachverständigen festgestellten Übereinstimmungen und das Wahrscheinlichkeitsergebnis mitteilt!

Hat der Richter selbst, wenn auch nur geringe, Zweifel an der Identität des Betroffenen zum Fahrerbild, so kann er auch das Verfahren bereits jetzt einstellen wegen des Verhältnismäßigkeitsprinzips zwischen Aufwand der Täterfeststellung durch ein Gutachten und die Gutachtenkosten, welche teils bis zu 2.000,- € betragen und der „geringen“ Tat selbst, wenn diese „lediglich“ mit einem Punkt geahndet wird.

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Ihr NJR Anwalts- und Fachanwaltsteam Neuner-Jehle – Stuttgart


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