EuGH kippt Muster-Widerrufsinformation – nahezu jeder Darlehensvertrag widerrufbar!

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Lange wurde sie von Verbraucherschützers herbeigesehnt, nun ist sie da – die Entscheidung des EuGH zum sog. Kaskadenverweis.

Mit Urteil vom 26.03.2020 in der Rechtssache C-66/19 hat nun der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschieden, worauf Verbraucherschützer schon lange gepocht haben; die Formulierung der Muster-Widerrufsinformation zum Beginn der Widerrufsfrist, die seit Juni/Juli 2010 von nahezu jeder deutschen Bank verwendet wurde, verstößt gegen die Vorgaben der Verbraucherkreditrichtlinie und ist somit fehlerhaft.

Verbraucher können Ihre nach dem 10. Juni 2010 abgeschlossenen Darlehensverträge somit nach wie vor widerrufen! Betroffen sind davon nicht nur die aktuell aufgrund des Dieselskandals oftmals angegriffenen Kfz-Finanzierungen, sondern auch die eigentlich schon für unwiderrufbar geltenden Immobilien-Darlehensverträge. Ausgenommen hiervon sind nur nach dem 20. März 2016 abgeschlossene Immobilien-Darlehensverträge, sofern ein solcher Vertrag nicht innerhalb von 12 Monaten und 14 Tagen nach Vertragsabschluss widerrufen wurde. Nach Ablauf dieser Frist erlischt das Widerrufsrecht gemäß § 356b Absatz 2 Satz 4 BGB.

Eine sensationelle Entscheidung für Verbraucher und zugleich eine schallende Ohrfeige für den deutschen Gesetzgeber.

Zum Hintergrund

Mit der Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie zum 11. Juni 2010 ins deutsche Recht wurde das Widerrufsrecht und die Anforderungen an die Widerrufsbelehrung (seit dem 30. Juli 2010: Widerrufsinformation) bei Darlehensverträgen grundlegend umgestaltet. Zum 30. Juli 2010 führte der Gesetzgeber mit der Anlage 6 zu Artikel 247 § 6 Absatz 2 und § 12 Absatz 1 EGBGB ein Muster für eine Widerrufsinformation für Verbraucherdarlehensverträge ein, das in der Folgezeit identisch von nahezu jeder Bank – mit geringfügigen Abweichungen – verwendet wurde. Diese Muster-Widerrufsinformation sah zum Beginn der Widerrufsfrist folgende Formulierung vor:

„Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.“

Auf den ersten Blick eine eindeutige Formulierung; schließlich wird explizit auf § 492 Absatz 2 BGB verweisen. Bei einem Blick ins Gesetzt erlebt der Verbraucher jedoch eine böse Überraschung. Denn die für den Fristlauf maßgeblichen Pflichtenangaben werden im § 492 Absatz 2 BGB nicht genannt. Vielmehr wird dort auf die §§ 6 bis 13 des Artikel 247 EGBGB verwiesen, die zum einen sehr umfangreich sind und zum anderen ebenfalls – zum Teil untereinander – Verweisungen enthalten. Ein Dschungel an Paragrafen, das von einem Verbraucher nicht durchblickt werden kann.

Trotzdem wurde diese völlig ausufernde Verweisungskette von der überwiegenden Rechtsprechung inklusive Bundesgerichtshof toleriert. Nur wenige Gerichte trauten sich der Maße an verbraucherunfreundlichen Urteilen entgegenzustellen und sowohl den Bundesgerichtshof als auch den Gesetzgeber zu kritisieren – allerdings zurecht wie das Urteil des EuGH zeigt. Zu diesen wenigen Gerichten gehörte das Landgericht Saarbrücken, das dem EuGH u. a. die Frage zur Beantwortung vorlegte, ob die Formulierung der Muster-Widerrufsinformation inklusive Verweisung auf eine gesetzliche Vorschrift, die selbst auf weitere gesetzliche Vorschriften verweist, gegen die Vorgaben der Verbraucherkreditrichtlinie verstößt.

Diese Frage hat der EuGH in aller Deutlichkeit bejaht und somit entschieden, dass die Formulierung der Muster-Widerrufsinformation zum Beginn der Widerrufsfrist gegen Europarecht verstößt.

Fazit

Das Urteil des EuGH hat weitreichende Konsequenzen. Es bietet nun Verbrauchern die Möglichkeit, ihre nach dem 10. Juni 2010 abgeschlossenen Darlehensverträge zu widerrufen und von der Bank die Rückabwicklung zu fordern. Gleichwohl dürfen Verbraucher nicht damit rechnen, dass Banken Widerrufe auch akzeptieren und die Darlehen ohne Weiteres rückabwickeln. 

Die Unterstützung durch einen spezialisierten Rechtsanwalt wird auch weiterhin in den meisten Fällen dringend notwendig sein; zumal die konkrete Rückabwicklung sehr kompliziert und nach wie vor umstritten ist. Insbesondere vor dem Widerruf eines Immobilien-Darlehensvertrages ist eine anwaltliche Beratung dringend anzuraten.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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