EuGH: Widerrufsbelehrung in Millionen von deutschen Kreditverträgen unwirksam

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Die Ausgangslage:

Nach § 495 BGB steht Verbrauchern nach dem Abschluss eines Kreditvertrages ein Widerrufsrecht zu, über das ihn die Bank belehren muss. Die Widerrufsbelehrung muss nach dem Gesetz klar und deutlich sein, damit der Verbraucher sein Recht zum Widerruf versteht und auch weiß, wie er es ausüben muss und welche Folgen der Widerruf hat.

Der deutsche Gesetzgeber stellte den Banken ab dem 11.06.2010 eine Muster-Widerrufsbelehrung zur Verfügung, die von Verbraucheranwälten schon lange scharf kritisiert wird. Sie lautet auszugsweise wie folgt:

„Der Darlehensnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalt von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z.B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.“

Ergänzend sollte man noch wissen, dass die Pflichtangaben nicht einmal in § 492 BGB aufgeführt sind, sondern dort nur steht, dass die Pflichtangaben in Art. 247 §§ 6 bis 13 des Einführungsgesetzes zum BGB zu finden sind. Außerdem muss man sich dort dann auch noch die für die jeweilige Kreditart geltenden Pflichtangaben raussuchen.

Unglaublich aber wahr: Der BGH hielt die Widerrufsbelehrung trotzdem für in Ordnung.

Obwohl es auf der Hand liegt, dass diese Belehrung nicht klar und deutlich sein kann, weil die Verbraucher nicht wissen, welche Pflichtangaben außer den drei beispielhaft genannten noch alle in dem Kreditvertrag enthalten sein müssen, hat der Bundesgerichtshof gemeint, die Widerrufsbelehrung sei „klar und verständlich“. Es müssten nicht alle Pflichtangaben genannt werden. Das ergebe sich „offenkundig und ohne, dass für vernünftige Zweifel Raum bliebe“, aus Artikel 10 der Verbraucherkreditrichtlinie (BGH, Beschluss vom 11.02.2020 – XI ZR 648/18 – Randnummer 36).

EuGH erklärt die deutsche Muster-Widerrufsbelehrung für Kreditverträge für unwirksam.

Das sieht der Europäische Gerichtshof zum Leidwesen des BGH nun ganz anders. Mit Urteil vom 26.03.2020 (Rechtssache C-66/19) hat er entschieden, dass solche Widerrufsbelehrungen ungeeignet sind, Verbraucher in klarer und prägnanter Form über die Modalitäten der Ausübung ihres Widerrufsrechts zu informieren. Die  Verbraucher müssten anhand der Widerrufsbelehrung feststellen können, welche Pflichtangaben im Darlehensvertrag enthalten sein müssen, damit die Widerrufsfrist zu laufen beginnt.

„Art. 10 Abs. 2 Buchst. p der Richtlinie 2008/48 ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein Kreditvertrag hinsichtlich der in Art. 10 dieser Richtlinie genannten Angaben auf eine nationale Vorschrift verweist, die selbst auf weitere Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats verweist.“

Welche Kredite sind betroffen?

Von dem Urteil sind Immobilien-Finanzierungen, die zwischen dem 11.06.2010 und dem 20.03.2016 geschlossen worden sind, betroffen. Bei anderen Kreditverträge, z.B. Auto-Finanzierungen, gilt dies vom 11.06.2010 bis heute.

Kredite, die für eine gewerbliche oder bereits ausgeübte freiberufliche Tätigkeit aufgenommen wurden, sind nicht betroffen, weil es für diese kein gesetzliches Widerrufsrecht gibt.

Wie Verbraucher von dem Urteil profitieren können:

Verbraucher können belastende Kreditverträge widerrufen und ohne Vorfälligkeitsentschädigung ablösen. Die Bank muss zwar die Zinsen nicht erstatten, aber bei Immobiliendarlehen auf die Zahlungen der Verbraucher Zinsen von 2,5 Prozentpunkte und bei anderen Krediten 5 Prozentpunkte über Basiszinssatz zahlen, wenn sie nicht nachweist, dass sie geringere Erträge erzielt hat.

Besonders interessant ist der Widerruf von Autokrediten, weil dort ein Anspruch auf Erstattung des gesamten Kaufpreises für das Fahrzeug besteht. Der Verbraucher muss lediglich die Kreditzinsen und eine relativ niedrige Entschädigung für die gefahrenen Kilometer zahlen.

Vorsicht!

Weil mit Banken nicht zu spaßen ist, sollte man den Widerruf eines Kreditvertrages besser nicht selber erklären, sondern dies durch einen Fachanwalt für Bankrecht machen lassen.

Aktualisierung vom 05.05.2020:

Der Bundesgerichtshof hat bereits am 31.03.2020 auf das Urteil des EuGH reagiert (Aktenzeichen: XI ZR 581/18 und XI ZR 198/19). Er vertritt die Auffassung, dass das Urteil des EuGH für Immobiliendarlehen (also Kredite, die durch eine Grundschuld besichert sind) keine Bedeutung habe, weil die Verbraucherkreditrichtlinie auf diese keine Anwendung finde. Außerdem könne er eine Widerrufsbelehrung, die der amtlichen Musterwiderrufsbelehrung entspreche trotz der vom EuGH kritisierten Formulierung zum Beginn der Widerrufsfrist nicht für unwirksam erklären, weil das Gesetz vorschreibe, dass der Verbraucher in diesem Fall wirksam belehrt werde. Er sei als rechtsprechende Gewalt an das Gesetz gebunden.

Im Ergebnis sind damit Darlehen, die die unklare Klausel zum Beginn der Widerrufsfrist enthalten nur dann widerrufbar, wenn

  • es sich nicht um ein Immobiliendarlehen handelt,
  • und die Muster-Widerufsbelehrung nicht vollständig enthalten ist
  • oder eine Pflichtangabe fehlt.

Insbesondere die letzten 2 Punkte bedürfen einer sehr genauen Prüfung.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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