Fehler bei Massenentlassungsanzeige führt zur Unwirksamkeit der Kündigung

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Die unterlassene Massenentlassungsanzeige als Unwirksamkeitsgrund für die ordentliche Kündigung

Von RA Heiko Effelsberg, LL.M. (Münster) 

10.04.2020

Aufgrund der Covid-19-Pandemie und den damit verbundenen Beschränkungen im öffentlichen Leben sind viele Unternehmen und ganze Wirtschaftszweige in eine wirtschaftliche Krisensituation geraten. Die Bundes- und die Landesregierungen haben durch weitgehende Fördermittel und eine Anpassung des Kurzarbeitergeldes reagiert. Dennoch werden viele Unternehmen in der nächsten Zeit gezwungen sein oder haben schon damit begonnen, ihre Personalkosten dauerhaft durch Entlassungen zu senken und Arbeitsverträge ordentlich – meist aus betriebsbedingten Gründen – zu kündigen. Häufig wird dabei keine Beratung durch einen Rechtsanwalt erfolgen, schon um Kosten zu sparen. Dies kann sich jedoch in den folgenden Kündigungsschutzverfahren als kostspielig erweisen und für die betroffenen Arbeitnehmer ein Glücksfall sein. Dies folgt nicht nur daraus, dass z. B. die Sozialauswahl nach dem Kündigungsschutzgesetz nicht eingehalten werden wird oder im Verfahren nicht dargestellt werden kann. Auch die Schwellenwerte, bei denen vor der Kündigung eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingereicht werden muss, sind niedriger, als viele kleine und mittlere Betriebe denken mögen. Allein die unterlassene oder fehlerhafte Massenentlassungsanzeige kann jedoch zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen führen. Dies führt dann nicht nur dazu, dass das Arbeitsverhältnis mit Lohnfortzahlungspflicht bis zur Beendigung des Verfahrens fortbesteht, ohne dass eine Arbeitspflicht des Arbeitnehmers besteht. Ob nach Beendigung des Verfahrens in 6 bis 8 Monaten eine erneute Kündigung möglich sein wird, hängt auch ausschließlich von den dann herrschenden Umständen statt. Die weiteren Ausführungen sollen kurz die Voraussetzungen und Folgen der Massenentlassungsanzeige skizzieren. 

Grundsätzlich kann ein Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag jederzeit ordentlich unter Einhaltung der Kündigungsfrist kündigen. Sind in dem Betrieb in der Regel mehr als 10 AN in Vollzeit beschäftigt und hat das Arbeitsverhältnis länger als 6 Monate bestanden, so greift allerdings das Kündigungsschutzgesetz ein, so dass eine ordentliche Kündigung aus personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt sein muss. Andernfalls ist die Kündigung nicht möglich. Außerordentliche (meist fristlose) Kündigungen bedürfen immer eines wichtigen Grundes, § 626 BGB und in den meisten Fällen muss zuvor eine Abmahnung ausgesprochen werden. Sofern ein Betriebsrat („BR“) eingerichtet ist, muss dieser vorab zu der Kündigung gehört werden. Eine ohne Anhörung des BR ausgesprochene Kündigung ist unwirksam, § 102 BetrVG.

Diese Grundsätze gelten bei jeder Kündigung.

Insbesondere in Krisensituationen müssen darüber hinaus auch die Regelungen der §§ 17 ff. KSchG beachtet werden. Aus arbeitsmarktpolitischen Gründen muss die Agentur für Arbeit („AfA“) vorab von einer Massenentlassung Kenntnis erhalten. Außerdem muss der BR – soweit eingerichtet – über die geplanten Massenentlassungen informiert werden und es muss eine Beratung mit dem BR erfolgen, ob die Entlassungen durch einvernehmliche Maßnahmen verhindert werden können. Diese Pflicht steht neben dem Erfordernis, dass der BR ohnehin zu jeder Kündigung anzuhören ist. Nach Abschluss des Beratungsverfahrens oder frühestens zwei Wochen nach Information des BR muss eine formelle Anzeige der Massenentlassung an die AfA erfolgen. Erst danach kann der Arbeitgeber eine Kündigung aussprechen. Eine unter Missachtung dieser Anforderungen ausgesprochen Kündigung ist in der Regel allein deshalb unwirksam und kann von dem Arbeitnehmer erfolgreich vor Gericht angegriffen werden.

Fraglich ist somit, ab wann eine Massenentlassung vorliegt, für die der Arbeitgeber das Verfahren nach § 17 KSchG einhalten muss.

Die Verpflichtung ist abhängig von der Größe des Betriebs und besteht:

  • in Betrieben mit regelmäßig mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern, wenn mehr als 5 Arbeitnehmer,
  • in Betrieben mit regelmäßig mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern, wenn 10 % der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder mehr als 25,
  • in Betrieben mit regelmäßig mehr als 500 Arbeitnehmern, wenn mindestens 30 Arbeitnehmer

innerhalb von 30 Tagen gekündigt werden sollen.

Die Verpflichtung betrifft nicht nur Kündigungen, die der Arbeitgeber ausspricht, sondern auch sonstige Beendigungen des Arbeitsverhältnisses, die vom Arbeitgeber ausgehen, also insbesondere Aufhebungsverträge. Ebenso zählen außerordentliche Kündigungen nach § 626 BGB, die auf die wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers gestützt werden, für die Massenentlassung mit. Unter bestimmten Bedingungen kann sogar die Kündigung des Arbeitnehmers mit zu berücksichtigen sein, wenn sie darauf beruht, dass der Arbeitgeber angedroht hat, ansonsten selbst die Kündigung auszusprechen. Somit zählen nur verhaltensbedingte, fristlose Kündigungen durch den Arbeitgeber nicht bei der Bestimmung des Schwellenwertes mit.

Offen bleibt, was für Kündigungen gilt, die als außerordentliche fristlose Kündigungen ausgesprochen wurden, aber entweder mit ordentliche Kündigungen kombiniert werden oder die nachträglich vom Gericht als ordentliche Kündigungen ausgelegt werden. Bei den erstgenannten führt m. E. die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung dazu, dass die Kündigung im Rahmen des Schwellenwertes mitzählen muss. Im letztgenannten Fall kann nach dem Sinn und Zweck der Regelung an sich nichts anderes gelten. Jedenfalls in den Fällen, in denen von vorneherein eine außerordentliche Kündigung fraglich erscheint, drängt sich ein Missbrauch durch den Arbeitgeber auf, die Pflicht zur Massenentlassungsanzeige zu umgehen.

Unterlaufen dem Arbeitgeber Fehler im Verfahren, so führen diese in den meisten Fällen zur Unwirksamkeit der Kündigung, § 134 BGB.

Ein erheblicher Fehler kann im Informations- und Beratungsverfahren zum Beispiel dann vorliegen, wenn der Arbeitgeber unzureichende oder falsche Informationen an den BR weitergibt. Lediglich, wenn die falschen Angaben keine Auswirkungen auf das weitere Verfahren haben, kann ausnahmsweise ein Verstoß ausgeschlossen sein.

Aufgrund der momentan geltenden Kontaktbeschränkungen kann eine bislang unbekannte Fehlerquelle darin liegen, dass BR-Sitzungen zur Zeit nicht mehr oder nicht in der vom Gesetz vorgegebenen Form, nämlich bei körperlicher Anwesenheit aller Betriebsräte, stattfinden. Bis zur Covid-19-Pandemie war absolut herrschende Meinung, dass Beschlüsse des BR im Umlaufverfahren oder im Rahmen von Telefon- oder Videokonferenzen unwirksam sind. Aufgrund der Beschränkungen hatte der Bundesarbeitsminister Heil in Interviews erklärt, dass nach Verständnis seines Ministeriums derartige Beschlüsse wirksam sein sollen, was zu Zweifeln innerhalb der betroffenen Kreise geführt hat. Einige Rechtsanwälte hatten jedoch unter Hinweis auf die Ministererklärung die Ansicht vertreten, dass ein Berufen auf die Formverstöße treuwidrig sein solle. Die Bundesregierung hat jedoch nun wohl erkannt, dass eine Gesetzesänderung neben einer Erklärung gegenüber der Presse auch eine Beteiligung des Parlaments verlangt. Es heißt daher, dass die beteiligten Ressorts an einer Kabinettsvorlage arbeiten würden.

Selbst wenn dieses Gesetz kommen sollte, wird es formunwirksame Beschlüsse der Vergangenheit – die vielfach gefasst worden sein sollen – nicht rückwirkend legitimieren können. Insofern können betroffene Arbeitnehmer hoffen, dass allein aufgrund dieser Formfehler ihre Kündigung unwirksam ist.

Ein zweites Problem kann darin bestehen, dass für die Meldepflicht die Beendigungen der letzten 30 Tage zählen. Das bedeutet, dass Kündigungen, die anfangs ordnungsgemäß erfolgt sind, weil der Schwellenwert noch nicht überschritten wurde, durch weitere spätere Kündigungen auf einmal anzeigepflichtig würden. Rückwirkend kann allerdings das Informations-, Beratungs- und Anzeigeverfahren nicht durchgeführt werden. Die Kündigung wird aufgrund der folgenden Ereignisse unwirksam. Sofern der Arbeitnehmer die Kündigung angreift, muss der Arbeitgeber ein erneutes Verfahren nach § 17 KSchG einleiten, um ggf. eine neue Kündigung vorbereiten zu können. Auch hierdurch gewinnt der Arbeitnehmer Zeit.

Man kann also festhalten, dass die Beendigung einer größeren Anzahl von Arbeitsverhältnissen eine Reihe von Problemfelder für den Arbeitgeber eröffnet. Gekündigte Arbeitnehmer, die in Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern arbeiten, können also auch vor Ablauf von 6 Monaten hierauf eine Kündigungsschutzklage mit Erfolg stützen.

Sollten Sie hierzu Fragen haben oder eine Beratung wünschen, stehe ich gern zur Verfügung.

RA Heiko Effelsberg, LL.M.

Rechtsanwalt Effelsberg berät seit mehr als 10 Jahren Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu Fragen des Arbeitsrechts, insbesondere im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeits- und Dienstverhältnissen. Er war Dozent für Arbeits- und Handelsrecht an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach und ist Inhaber des Fortbildungssiegels „Kündigungsschutzrecht“ des DAI Deutschen AnwaltInstitut.


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