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Gebot fairen Verhandelns beim Aufhebungsvertrag?

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Mit dieser Thematik befasst sich ein Urteil des BAG vom 24. Februar 2022.

BAG v. 24.2.2022 – 6 AZR 333/21

Über folgenden Sachverhalt hatte das Gericht zu entscheiden:

Die Klägerin war bei der Beklagten seit 2015 als Teamkoordinatorin im Verkauf beschäftigt. Im November 2019 führten der Geschäftsführer und dessen Rechtsanwalt mit der Klägerin in dem Büro des Geschäftsführers ein Gespräch. Sie erhoben gegenüber der Klägerin den Vorwurf, dieser habe in der Vergangenheit unberechtigt Einkaufspreise für Waren innerhalb der IT des Unternehmens reduziert, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln. Das Gespräch wurde für die Klägerin überraschend festgelegt. Der Klägerin wurde einen bereits vorbereitete Aufhebungsvertrag vorgelegt, der ein einvernehmliches Ausscheiden der Klägerin aus betrieblichen Gründen zu Ende November 2019 vorsah. Die Klägerin wurde aufgefordert, den Vertrag zu unterzeichnen. Der Klägerin wurde mitgeteilt, dass für den Fall, dass Sie den Raum verlassen würde, auch um beispielsweise nur auf die Toilette zu gehen, der Aufhebungsvertrag nicht mehr infrage käme. Alternativ würde die Klägerin fristlos gekündigt werden und es würde Strafanzeige erstattet werden. Die Klägerin hat daraufhin den Aufhebungsvertrag unterschrieben. Anschließend hat die Klägerin den Aufhebungsvertrag angefochten mit der Begründung, das Arbeitsverhältnis sei durch den Aufhebungsvertrag nicht beendet worden. Die Klägerin hat den Aufhebungsvertrag wegen widerrechtlicher Drohung angefochten. Sie hat außerdem argumentiert, dass die Vorgehensweise des Arbeitgebers das Gebot fairen Verhandelns verletzt hat.


Die Gerichte haben folgendes entschieden:

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass das Arbeitsverhältnis durch den Aufhebungsvertrag beendet worden ist. Nach Ansicht des Gerichts liegt in diesem Fall keine widerrechtliche Drohung vor. Zwar stellt das Inaussichtstellen einer fristlosen Kündigung grundsätzlich eine Drohung dar. Diese muss jedoch auch widerrechtlich sein. Widerrechtlich ist die Drohung nur dann, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Nicht erforderlich ist insoweit, dass die angedrohte Kündigung in einem Kündigungsschutzprozess sich als rechtswirksam erwiesen hätte. Nur wenn der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen muss, eine angedrohte Kündigung werde im Falle ihrer Erklärung einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er sie nicht in Aussicht stellen, um damit einen Arbeitnehmer zum Abschluss einer Beendigungsvereinbarung zu überzeugen. Im vorliegenden Fall hat das Gericht entschieden, dass die Beklagte davon ausgehen konnte, dass die Klägerin ihre Vertragspflichten in schwerwiegender Weise verletzt habe. Denn die Klägerin habe versucht, Verkäufe zu einem unangemessen niedrigen Preis durch Herabsetzung der in dem EDV-System hinterlegten Einkaufspreise zu vertuschen. In diesem Fall durfte ein verständiger Arbeitgeber davon ausgehen, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Der Aufhebungsvertrag konnte daher nicht erfolgreich wegen widerrechtlicher Drohung angefochten werden.


Anschließend hat sich das Gericht mit der Frage befasst, ob das Zustandekommen des Aufhebungsvertrages wegen eines Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns unwirksam ist. Eine unzulässige Fremdbestimmung bei der Willensbildung soll hierdurch sanktioniert werden. Das Gebot fairen Verhandelns wird missachtet, wenn die Entscheidungsfreiheit eines Vertragspartners in zu missbilligender Weise beeinflusst wird. Durch dieses Gebot wird nicht der Inhalt eines Aufhebungsvertrages geprüft, sondern  was sich im Vorfeld ereignet hat. Die Gerichte bewerten eine Verhandlungssituation allerdings erst dann als unfair, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen wird, die eine freie Entscheidung des Betroffenen erheblich erschwert. Ob eine solche Ausnahmesituation vorliegt, ist stets anhand der Gesamtumstände der konkreten Verhandlungssituation im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. Beispielsweise hat ein Gericht ein Verstoß gegen dieses Gebot in einem Fall anerkannt, in dem der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer unter einem anderen Vorwand in das Zimmer eines Vorgesetzten gebeten hat und der Arbeitnehmer dort mehrere Stunden in einer Kreuzfeuer ähnlichen und von Außenkontakten isolierten Situation so lange fest gehalten wurde, bis er den Aufhebungsvertrag unterzeichnet hat. Im vorliegenden Fall wurde der Klägerin der Aufhebungsvertrag als Angebot nur zur sofortigen Annahme unterbreitet. Ihr wurde mitgeteilt, dass Sie sich sofort entscheiden müsse und ansonsten das Angebot zurückgezogen werden würde. Dieses Verhalten reicht nach Einschätzung des Gerichts nicht aus, um das Gebot des fairen Verhandelns zu verletzen. Denn trotz dieser unstreitigen Drucksituation bleibe die Klägerin dennoch „Herr“ über ihre Entscheidung. Sie habe die Möglichkeit nein zu sagen und das Aufhebungsangebot abzulehnen. Erst wenn dies nicht mehr gegeben sei, sei das Gebot verletzt. Im Ergebnis hat das Bundesarbeitsgericht daher die gleichlautende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts bestätigt und entschieden, dass der Aufhebungsvertrag arbeitgeberseitig nicht unfair verhandelt wurde und einen Verstoß gegen dieses Gebot daher nicht vorliegt.


Fazit:

Das Bundesarbeitsgericht hat die bisherige Rechtsprechung bestätigt, dass ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns nur in Ausnahmesituationen vorliegt. Eine wie hier erzeugte Drucksituation des Arbeitgebers ist nicht ausreichend, solange die Arbeitnehmerin die Möglichkeit hat, sich frei entscheiden zu können. Solange sie die Freiheit hat zu entscheiden, das Angebot des Arbeitgebers nicht anzunehmen und die Situation durch ein schlichtes “Nein“ zu beenden, reicht die erzeugte Drucksituation für einen Verstoß gegen dieses Gebot nicht aus.



Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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