Schmerzensgeldhöhe bei Geburtsfehlern

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Teil 5: das Schmerzensgeld im Geburtsschadensrecht

Der fünfte Artikel der Reihe betrifft den bekanntesten Anspruch der auf einen Arztfehler folgt: das Schmerzensgeld. Hier werden Beispiele aus der Rechtsprechung genannt, um die ungefähre Höhe von schweren Geburtsschadensfällen einzugrenzen.

Gemäß § 253 BGB erhält jemand, der einen Schaden erlitten hat, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld. Der auf einen Arztfehler beruhende Gesundheitsschaden fällt hierunter. Er wird allgemein als Schmerzensgeld bezeichnet, obwohl der Ausgleich für alle gesundheitlichen Beeinträchtigungen und nicht nur für die Schmerzen gezahlt wird.

Von besonderem Interesse ist, wie hoch die angemessene Entschädigung für den jeweiligen Gesundheitsschaden ausfällt. Hierzu gibt es eine Vielzahl von Rechtsprechungsübersichten, in denen alle Arten von Beeinträchtigungen aufgelistet werden in Verbindung mit der entsprechenden Entscheidung eines Gerichts. Diese Urteilssammlungen werden als Schmerzensgeldtabellen bezeichnet. 

Dies vermittelt den Eindruck, dass es für ein konkretes Verletzungsmuster ein bestimmtes Schmerzensgeld gibt. Dies ist nur bedingt richtig, und allenfalls für kleinere Verletzungen ohne Dauerschaden anzunehmen. 

Die Höhe des angemessenen Schmerzensgeldes ist individuell zu ermitteln. 

Das bedeutet, dass wenn die gleiche Beeinträchtigung von zwei Personen unterschiedlich erlebt und ertragen wird, auch ein unterschiedliches Schmerzensgeld angemessen ist. 

Die Auswirkungen einer Verletzung spielt eine erhebliche Rolle, genau wie die Verletzung selbst. Ferner gibt es in jedem Fall Abstufungen der Intensität der Verletzung. Die Sehkraft kann zu 10 % oder zu 50 % gestört sein bis hin zur Blindheit. Je intensiver die Beeinträchtigung ist, desto höher sollte das Schmerzensgeld ausfallen. 

Bei einem hypoxischen Hirnschaden gilt das gleiche. Besteht nur eine leichte Behinderung, ist ein viel geringeres Schmerzensgeld zu zahlen als bei einer schweren Beeinträchtigung mit hohem Pflegebedarf. 

Am schwerwiegendsten wird nicht das Wachkoma mit geringem oder keinem feststellbaren Bewusstsein angesehen, sondern wenn das verletzte Kleinkind trotz schwerster Gehirnverletzungen mit all den schweren Ausfallerscheinungen auch noch eine Erinnerungsfähigkeit an die Zeit vor dem Vorfall und emotionale Gesten erkennbar sind. 

Das höchste Schmerzensgeld wurde in einem solchen Fall vom Landgericht Aachen im Urteil vom 30. November 2011 – 11 O 478/09 in Höhe von 700.000 € anerkannt. Das höchste Schmerzensgeld nach einem Geburtsfehler wurde vom Landgericht Gera vom 06.05.2009 mit 600.000,00 Euro Schmerzensgeld ausgesprochen. 

Eine Tendenz zu noch höheren Schmerzensgeldbeträgen ist derzeit nicht zu erkennen. Die Gerichte richten sich bei der Höhe des Schmerzensgeldes nach bereits ausgeurteilten vergleichbaren Fällen. Hierdurch soll ein ausgewogenes System der Schmerzensgeldhöhe entstehen, dass auch die Interessen der Versicherungswirtschaft Rechnung trägt.

Folgende Urteile wurden beispielsweise im Falle von Geburtsfehlern ausgeurteilt:

Aufgrund eines Volumenmangelschocks mit schwersten Organschäden und Tod nach drei Tagen wurden 10.000,00 Euro ausgeurteilt (2002).

Für eine Plexuslähmung am linken Arm wurden 20.000,00 Euro (1996) bis 70.000,00 Euro (mit weiteren Schäden) ausgeurteilt (2013).

Für eine Mehrfachbehinderung mit rechtsbetonten Bewegungsstörungen, deutliche Störung des Sprachvermögens, der intellektuellen Leistungsfähigkeit und der Wahrnehmung wurden 110.000,00 Euro zuzüglich immateriellen Vorbehaltes ausgeurteilt (2010).

200.000,00 Euro an Schmerzensgeld wurden anerkannt für eine Hirnschädigung mit Mikrocephalie, spastische beinbetonte Tetraparese, geistige Behinderung mit zerebralen Krampfanfällen und lebenslänglicher Pflegebedürftigkeit (2012).

Aufgrund einer Gehirnschädigung in Form einer schweren Cerebralparese in Verbindung mit einer ausgeprägten geistigen Behinderung, Störung der Blasenkontrolle, Innenschielen, spastisch betonte vorwiegend rechtsbetonte Tetraparese mit dauerhafter Pflegebedürftigkeit und wöchentlicher krankengymnastischer Therapien und Kontrollen wurde ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000,00 Euro (2008) ausgeurteilt. Im Alter von 8 Jahren erreichte das Kind einen motorischen und sprachlichen Entwicklungsstand eines 17 Monate alten Kindes.

400.000,00 Euro hat im Jahre 2006 ein Kind erhalten, welches infolge eines Geburtsfehlers eine schwere psychoneurologische Behinderung in Form einer Tetraparese mit einer zentralvenösen schweren Wahrnehmungsstörung und einer schwerwiegenden Sehbehinderung erlitten hat. 

Es kann nicht alleine sitzen oder liegen, kann sich ohne Hilfe nicht ernähren, ist fast taub und kann sich verbal nicht ausdrücken. Seine Mimik und Gesten sind eingeschränkt.

Für eine schwerste hypoxisch-ischämische Enzephalopathie mit täglich epileptischen Anfällen, Apnoe, Bradykardien, muskuläre Hypotonie, Wasserkopf, schwere psychomotorische Retardierung, spastische Zerebralparese des höchsten Grades V und eine zentrale Schluckstörung hat das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000,00 Euro (2011) ausgeurteilt. 

Das Kind ist nicht in der Lage, Kontakt zur Außenwelt aufzubauen, womit die Basis zur Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit genommen wurde. In seiner gesamten Entwicklung bleibt das Kind auf der Entwicklungsstufe eines 3 Monate alten Säuglings zurück.

600.000,00 Euro wurden für einen Geburtsfehler mit folgenden schwersten und kaum erträglichen Beeinträchtigungen ausgeurteilt. Es lag eine hypoxisch-ischämische Enzephalopathie, Zerebralparese, schwere spastische Tetraplegie, schwerste geistige Behinderung, schwere statomotorische Retardierung, ein massives Hirnödem, ein Hirninfarkt und Epilepsie vor. 

Die geistigen und körperlichen Behinderungen sind von kaum vorstellbarer Art. Das Kind kann niemals Kindheit, Jugend, Erwachsenensein und Alter bewusst erleben und seine Persönlichkeit entwickeln. Sein Leben ist weitgehend auf die Aufrechterhaltung vitaler Funktion, die Bekämpfung von Krankheiten und die Vermeidung von Schmerzen beschränkt. 

Das Verweigerungs- und Verzögerungsverhalten der Versicherung wurde vom Gericht so eingeschätzt, dass dies alleine zum Zweck diente, den Geschädigten zu einem sachlich nicht gerechtfertigten Nachgeben zu bewegen.

Bei einem Vergleich der Vielzahl an gerichtlichen Entscheidungen und der jeweiligen Begründungen wird deutlich, dass der Unterschied zwischen den Beeinträchtigungen oft nicht so groß erscheint, dass dies einen Unterschied in der Schmerzensgeldhöhe von 100.000,00 Euro oder mehr rechtfertigt. Es ist erkennbar, dass je mehr und umfassender vorgetragen wurde, desto eher wurde ein Betrag von über 400.000,00 Euro ausgeurteilt. 

Dies bedeutet, dass je umfassender das Ausmaß, die Schwere und die Intensität der Beeinträchtigungen vorgetragen werden und je detaillierter die Beeinträchtigungen des Alltags dargestellt werden, desto eher wird das Schmerzensgeld im oberen Bereich liegen. 

Das bedeutet für die Eltern und den Anwalt eine besonders enge und intensive Auseinandersetzung mit den einzelnen Folgen der Behinderungen. Es bedeutet eine emotionale Verständigung auf Basis eines besonderen Vertrauensverhältnisses. Denn der Anwalt ist gehalten, mithilfe der Mandantschaft, diese Details dem Gericht nahezubringen.

Weitere Rechtsfragen zum Geburtsschadensrecht werden in den weiterführenden Rechtstipps geklärt.

Teil 1: Geburtsschadensrecht – Fehler vor und unter der Geburt – Schmerzensgeld und Schadensersatz

Teil 2: Geburtsschadensrecht – Behandlungsfehler nach der Geburt – Schmerzensgeld und Schadensersatz

Teil 3: Geburtsschadensrecht Verfahrensarten nach Arztfehler – Schmerzensgeld und Schadensersatz

Teil 4: Geburstschadensrecht: Vorsicht beim Abfindungsvergleich – Schmerzensgeld und Schadensersatz richtig abfinden.

Teil 5: Geburtsschadensrecht: Das Schmerzensgeld richtig ermitteln

Teil 6: Geburtsschadensrecht und Schadensersatz: Entgeltschaden, Pflegeschaden, Haushaltsführungsschaden

Teil 7: Geburtsschadensrecht: Verjährung von Schmerzensgeld und Schadensersatz – Erfolgsaussichten

Zum Autor

Rechtsanwalt Christian Lattorf ist seit vielen Jahren auf dem Gebiet des Geburtsschadensrechts und noch länger auf dem Gebiet des Arzthaftungsrechts auf der Patientenseite tätig. Die Kanzlei ist deutschlandweit für medizingeschädigte Patienten tätig.

Rechtsanwalt Christian Lattorf

Spezialist und Fachanwalt für Medizinrecht



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