Indizien im Sinne von § 22 AGG nur bei überwiegender Wahrscheinlichkeit einer Benachteiligung

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Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Indizien, die eine Benachteiligung aufgrund der in § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) erwähnten Merkmale vermuten lassen, nur dann vorliegen, wenn diese mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ darauf schließen lassen, dass ein in § 1 AGG genannter Grund ursächlich für die Benachteiligung war.

Der Fall

Der Arbeitnehmer ist mit einem Grad der Behinderung von 50 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Er arbeitet als Kurier bei einem Expressversand mit Transportservice in Teilzeit mit 27,5 Stunden. Dem Arbeitgeber teilt er mehrfach mit, dass er die Stundenzahl aufstocken möchte. Nachdem der Arbeitgeber ein Stundenvolumen von 66,5 Stunden an 14 andere Kuriere verteilt, ohne den Arbeitnehmer und einen weiteren Mitarbeiter, der erst vor Kurzem in den Betrieb gewechselt war, zu berücksichtigen.

Der Arbeitnehmer verlangt vor dem Arbeitsgericht eine Heraufsetzung der wöchentlichen Stundenzahl und zusätzlich Schadensersatz gemäß § 15 Abs. 1 AGG in Höhe der entgangenen Vergütung. Letzteres begründet er damit, er sei bei der Verteilung des Stundenvolumens wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden. In zweiter Instanz spricht ihm das Landesarbeitsgericht den begehrten Schadensersatz zu.

Wie entscheidet das Bundesarbeitsgericht?

Das Bundesarbeitsgericht hat diese Entscheidung aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, Bundesarbeitsgericht v. 26.01.2017, Az.: 8 AZR 736/15.

Das Landesarbeitsgericht habe die Entscheidung zu Unrecht darauf gestützt, dass eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers möglich sei. Dies sei nicht ausreichend gewesen. Nach § 22 AGG muss der Geschädigte Indizien beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. In diesem Fall trägt gemäß § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

Was muss der Geschädigte, der einen Anspruch nach § 15 AGG geltend macht, also im Prozess vortragen?

Dies lässt sich allgemein nur schwer beantworten. Im Zweifelsfall sollte gemeinsam mit einem fachlich versierten Rechtsanwalt für Arbeitsrecht abgeklärt werden, ob das gesammelte Tatsachenmaterial ausreichend ist, um zu der Vermutung einer Benachteiligung im Sinne von § 22 AGG zu gelangen. Letztlich obliegt es dem Spruchkörper, die vorgetragenen Indizien frei zu würdigen. Allerdings muss keine volle Überzeugung des Gerichts feststehen, dass die Benachteiligung aufgrund des vorgetragenen Diskriminierungsmerkmals erfolgte, Bundesarbeitsgericht v. 12.09.2006 = Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2007, 507.

Eine Benachteiligung lässt sich in diesem Sinne aber nicht immer bereits dann vermuten, wenn ein Merkmalsträger des § 1 AGG benachteiligt wurde. Die Benachteiligung gegenüber einer Person, die ein Merkmal des § 1 AGG aufweist, führt nach der Rechtsprechung für sich genommen nur zu einer „geringen Wahrscheinlichkeit“, Bundesarbeitsgericht v. 22.09.2009 = Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2010, 280, 283.

Ein enger zeitlicher Zusammenhang zur benachteiligenden Maßnahme mit einer Offenlegung eines Benachteiligungsmerkmals reicht für sich genommen wohl nicht aus. Mehrere Hilfstatsachen können gleichwohl in einer Gesamtschau ergeben, dass eine hinreichende Vermutung für eine Diskriminierung besteht, Bundesarbeitsgericht v. 07.07.2011 = Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2012, 34.

S. auch Roloff, in: Beck’scher Online-Kommentar zu § 22 AGG Rn. 4 ff.

Rechtsanwalt Dr. Bert Howald

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Anwaltskanzlei Gaßmann & Seidel, Stuttgart


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