Kein Anscheinsbeweis bei Kettenauffahrunfall bei unklaren Sicherheitsabständen der PKW

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Das OLG Hamm hatte sich mit der Frage des Anscheinsbeweises bei einem sogenannten „Kettenauffahrunfall“, also einem Unfall, bei dem mehrere Fahrzeuge hintereinander ineinander gefahren sind, zu befassen.

Das OLG Hamm hat dabei zutreffend entschieden, dass bei einem solchen Unfall ein Anscheinsbeweis für eine schuldhafte Verursachung des Heckaufpralls durch den letzten in der Kette auffahrenden Verkehrsteilnehmer nur dann in Betracht kommt, wenn feststeht, dass das ihm vorausfahrende Fahrzeug des Geschädigten rechtzeitig hinter seinem Vordermann zum Stehen gekommen ist und nicht durch einen Aufprall auf das vorausfahrende Fahrzeug den Bremsweg des ihm folgenden Fahrzeugs verkürzt hat.

Üblicherweise wird bei einem Auffahrunfalle in Anscheinsbeweis dahingehend angenommen, dass den Auffahrenden ein Verschulden trifft, da er entweder zu schnell, mit zu geringem Abstand oder unaufmerksam fuhr (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 20.11.2013 – Az. 22 U 72/13). In diesen Fällen ist es grundsätzlich Sache des Auffahrenden, den gegen ihn sprechenden Anschein durch die Darlegung eines atypischen Verlaufs zu erschüttern (vgl. BGH, Urteil vom 16.01.2007 – VI ZR 248/05 in NZV 2007, 354; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 4 StVO Rn. 36).

Der in der Regel gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis für sein Verschulden ist bei Kettenauffahrunfällen jedoch nicht auf die innerhalb der Kette befindlichen Kraftfahrer anwendbar, weil häufig nicht feststellbar ist, wer auf wen aufgefahren ist und wer wen auf das vorausfahrende Fahrzeug aufgeschoben hat oder ob der „mittlere“ Fahrer den Sicherheitsabstand nach vorne eingehalten hatte (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 24.3.2010 - 13 U 125/09; Hentschel-König, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., StVO § 4 Rn. 36 m. w. N.).

Zwar wird in der Rechtsprechung vertreten, dass der gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis für ein schuldhaftes Verhalten jedenfalls auf den letzten in der Kette der Unfallfahrzeuge auffahrenden Fahrer anwendbar sei (vgl. OLG Karlsruhe VersR 1982, 1150; OLG Hamm, a. a. O.; OLG Düsseldorf NZV 1995, 486, 487; Urteil vom 12.6.2006 – 1 U 206/05, abgedr. bei „juris“ Rz. 39, 41) allerdings nur, soweit es um die Verursachung des Heckschadens geht.

Dem ist das OLG Hamm für Kettenauffahrunfälle insgesamt nicht gefolgt, da die Verfechter dieser Auffassung übersehen, dass der Anscheinsbeweis bei Verkehrsunfällen voraussetzt, dass es sich um einen typischen Geschehensablauf handle. Dabei sei grundsätzlich Zurückhaltung geboten, weil der Anscheinsbeweis es erlaubt, aufgrund allgemeiner Erfahrungssätze auf einen ursächlichen Zusammenhang oder ein schuldhaftes Verhalten zu schließen, ohne dass im konkreten Fall die Ursache bzw. das Verschulden festgestellt werden muss. Deshalb reiche alleine der Auffahrunfall als „Kerngeschehen“ als Grundlage eines Anscheinsbeweises nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die als Besonderheit gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen (vgl. BGH NJW 2012, 608 f. m. w. N.). Unter Anwendung dieser Grundsätze kommt zur Überzeugung des OLG Hamm ein Anscheinsbeweis für eine Verursachung des Heckaufpralls durch den letzten in der Kette auffahrenden Verkehrsteilnehmer nur in Betracht, wenn feststeht, dass das vorausfahrende Fahrzeug rechtzeitig hinter seinem Vordermann zum Stehen gekommen ist.

(OLG Hamm, Urteil vom 06.02.2014 – 6 U 101/13)



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