Klimaaktivisten Pro Contra: Die rechtlichen Aspekte von Klimaaktivisten ​und Klimaklebern

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Klimaaktivisten anzeigen? Pro und Contra zum Thema Klimakleber

Die rechtlichen Aspekte von Klimaaktivisten: Wann ist eine Anzeige möglich und wann besteht eine Schadensersatzpflicht bei einem verursachten Stau?

Seit ungefähr zwei Jahren tritt die Gruppe, die sich als "Letzte Generation" bezeichnet, mit vehementen Aktionen für den Klimaschutz ein, wobei diese oft radikale Mittel und sogar strafbare Handlungen einschließen.

In letzter Zeit stellt sich jedoch die Frage, welche Handlungen tatsächlich strafbar sind und unter welchen Bedingungen Klimaaktivisten beispielsweise wegen eines verursachten Staus zivilrechtlich auf Schadensersatz verklagt werden können. Am 21. August 2023 äußerte sich das Kammergericht Berlin (Az.: 3 O ORs 46/23) als eines der wenigen Oberlandesgerichte zur Strafbarkeit von Straßenblockaden, die Sekundenkleber beinhalten, aufgrund von Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) oder Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB).


Klimaaktivisten anzeigen: Ist ihr Verhalten strafbar?

Das Festkleben von Klimaaktivisten mit Sekundenkleber auf (öffentlichen) Straßen kann die Strafbarkeit wegen Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) auslösen. Um dies zu begründen, muss gegeben sein, dass eine Person rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung (Nötigungshandlung) mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung (Nötigungserfolg) genötigt wird. Problematisch hierbei ist der Gewaltbegriff. Der zuvor geltende, weit gefasste Gewaltbegriff, nach dem allein psychischer Druck seitens des Opfers ausreichend war, wurde vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 1995 (Beschluss vom 10. Januar 1995 - 1 BvR 718, 719, 722, 723/89) als mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar erklärt. Relevant ist daher die sogenannte Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 20. Juli 1995 - 1 StR 126/95), nach der in Bezug auf die Personen in der ersten Reihe, die sich im Stau befinden, nur ein psychischer Zwang vorliegt (da sie theoretisch einfach weiterfahren könnten, die Klimakleber umfahren oder überfahren könnten). In Bezug auf die zweite Reihe ist die Situation jedoch anders, da diese (selbst wenn sie wollten) nicht weiterfahren könnten, da die Fahrzeuge vor ihnen (als "Werkzeuge der Blockierenden" im Sinne von § 25 Absatz 1 Var. 2 StGB) den Weg versperren und somit physischer Zwang vorliegt - folglich kann von Gewalt gesprochen werden.

Bei der weiteren Prüfung der Nötigung müssen sich nach dem Kammergericht Berlin die Gerichte in der Verwerflichkeitsprüfung (§ 240 Abs. 2 StGB) mit der Ankündigung der Blockade durch die Organisation, der Dauer der Blockade, Art und Ausmaß derselben, den Motiven der angeklagten Personen sowie mit Zweck und Zielrichtung der Demonstration in jedem Einzelfall auseinandersetzen und eine Abwägung zwischen den Rechtsgütern und Grundrechten vornehmen.

Der Strafrechtswissenschaftler Thomas Fischer erklärte gegenüber der Legal Tribune Online (LTO) in Bezug auf die Frage, ob Straßenblockaden strafbar sind, dass sogenannte "Fernziele" der Klimaaktivisten (also die Sensibilisierung für die Klimakrise und die Aufforderung an den Staat und die Bevölkerung, klimaschützende Maßnahmen zu ergreifen) grundsätzlich nicht berücksichtigt werden sollten, da sie nur "Objekte fremder Interessen" darstellen. Relevant sei nur das Tatziel, also die gewaltsame Behinderung der Verkehrsteilnehmer bei der Fortbewegung.


Häufig wird in solchen Situationen auch die Frage der Strafbarkeit wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB) aufkommen. Diese Vorschrift findet in der Regel Anwendung, da sich Klimaaktivisten gegen staatliches Handeln, nämlich die Räumung der Straße, wehren oder durch das Festkleben auf der Straße die Räumung erschweren. Widerstand im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB muss durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt erfolgen. Dabei ist zu betonen, dass der Gewaltbegriff hier enger ist als im Fall der Nötigung und eine physische Kraftentfaltung erfordert, die für die betroffene Person (also die Polizeibeamt*innen) körperlich spürbar sein muss. Das Kammergericht Berlin (siehe oben) entschied, dass die Tatsache, dass die Polizeibeamt*innen knapp eine Minute pro Aktivist*in benötigten, um den Kleber zu entfernen, ein "gewichtiges Indiz für einen gewaltsamen Widerstand" darstellt. Das Gericht zieht dabei einen Vergleich zum Selbstanketten und betont die ähnliche physische Kraftentfaltung in beiden Fällen. Allerdings muss auch hier, wie bei der Nötigung, eine Einzelfallbewertung der Umstände erfolgen und diese müssen gegeneinander abgewogen werden. Nach Ansicht des Kammergerichts ist es irrelevant, dass das Festkleben in der Regel vor Beginn der Vollstreckungshandlung erfolgt, da die gezielte Widerstandshandlung bis zum Beginn der Vollstreckungshandlung fortwirkt. Ob der Widerstand gezielt ist, muss durch Auslegung des Willens des Täters oder der Täterin festgestellt werden, da es sich auch nur um ein bloßes Ausnutzen eines bereits vorhandenen Hindernisses handeln kann. 


Andere mögliche, wenn auch eher unwahrscheinliche Straftatbestände, die erfüllt werden könnten, sind: 

  • § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB (gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr durch das Bereiten eines Hindernisses) 

  • § 222 bzw. § 229 StGB (fahrlässige Tötung bzw. fahrlässige Körperverletzung) 

  • § 115 Abs. 3 S. 1 StGB (Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen, also Rettungsdienste, Feuerwehr, etc.) 

  • § 323c Abs. 2 StGB (Behinderung von hilfeleistenden Personen)

Diese Tatbestände sind deshalb unwahrscheinlich, weil die Kausalität und auch der Vorsatz nachgewiesen werden müssen, was in der Regel schwierig sein dürfte. Wie immer kommt es auf den konkreten Einzelfall an. 


Eine völlig andere Frage ist, ob die fortschreitende Klimakrise die Straftaten der Klimaaktivisten rechtfertigt. Es könnte argumentiert werden, dass ein Klimanotstand im Sinne von § 34 StGB vorliegt, der durch zahlreiche Berichte von Experten, wie dem UN-IPCC, belegt werden könnte. Es gab bereits einen Fall vor dem Amtsgericht Tiergarten, bei dem ein Richter den Erlass eines Strafbefehls gegen eine Klimaaktivistin abgelehnt hat. Auch hier kommt es auf den Einzelfall an.


Klimaaktivisten Stau: Machen sie sich wegen eines verursachten Staus schadensersatzpflichtig?

Privatpersonen können unter Umständen Schadensersatzansprüche geltend machen, wenn sie aufgrund eines von Klimaaktivisten verursachten Staus Vermögensschäden erleiden (andere Schäden treten in der Regel nicht auf).

In Betracht kommt unter anderem ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB seitens der Anlieger, wenn eine Straße rechtswidrig gesperrt wird. Dies wurde jedoch bisher nicht im Kontext der Straßenblockaden von Klimaaktivisten entschieden, ist aber theoretisch möglich.

Wenn Privatpersonen aufgrund eines Staus Vermögensschäden erleiden (andere Schäden treten in der Regel nicht auf), können Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 240 StGB oder § 826 BGB in Betracht gezogen werden. In Bezug auf die Nötigung ist jedoch noch unklar, ob staubedingte Vermögensschäden erfasst werden, da ein solcher Fall (soweit uns bekannt) bis jetzt nicht entschieden wurde. Bei § 826 BGB muss die Sittenwidrigkeit begründet werden, was hohe Hürden mit sich bringt. Das unmittelbare Ziel (Verkehrsbehinderung) und das Mittel (Blockade) müssen angesichts des entstandenen Schadens unverhältnismäßig sein, um Sittenwidrigkeit zu begründen. 

Die ehrenhafte Zielsetzung (Klimaschutz, Artikel 20a GG) könnte die Einzelfallbewertung beeinflussen. Es muss auch nachgewiesen werden, dass die Klimaaktivisten den Vorsatz zur Schädigung der Vermögenswerte der Verkehrsteilnehmer aufgrund des Staus hatten. In der Regel wird nur ein Eventualvorsatz angenommen, da der Bundesgerichtshof im Jahr 1989 entschieden hat, dass es ausreicht, wenn den Tätern die Art und Richtung der Schadensfolgen sowie mögliche Schädigungen Dritter bewusst sind und diese billigend in Kauf genommen werden.

Auch hier muss abgewartet werden, wie sich die Rechtsprechung entwickelt und vereinheitlicht.


Lohnt es sich, gegen Klimaaktivisten vorzugehen?

Im Falle einfacher Straßenblockaden ist eine strafrechtliche Anzeige durch Privatpersonen in der Regel nicht erforderlich, da die Polizeibehörden in der Regel vor Ort sind und die Personalien bei einem Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO) an die Staatsanwaltschaft weitergeben, die dann Ermittlungen einleitet. Bei hinreichendem Tatverdacht (§ 170 StPO) kann dann eine öffentliche Klage erhoben werden.

Im Zivilrecht lohnt sich eine Klage auf Schadensersatz, wenn ein Vermögensschaden genau beziffert werden kann. Es hängt daher von den Umständen des Einzelfalls ab.

Falls Sie strafrechtliche Ermittlungen im Zusammenhang mit Klimaprotesten gegen sich haben, beispielsweise wegen Nötigung (§ 240 StGB) oder Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB), stehen wir Ihnen gerne zur Verteidigung zur Verfügung.


Haben Sie Fragen zum Thema Klimaaktivismus?

Wurden gegen Sie strafrechtliche Ermittlungen wegen z.B. Nötigung (§ 240 StGB) oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) im Rahmen von Klimaprotesten eingeleitet, übernehmen wir gerne Ihre Verteidigung.

Haben Sie als privater Vermögensschäden wegen eines durch Klimakleber verursachten Staus erlitten, können wir Ihnen helfen, diese Ansprüche durchzusetzen. 

Schreiben Sie uns gerne eine Mail oder rufen Sie uns in unserer Kanzlei an: 04202 / 638370 oder schreiben Sie uns per E-Mail eine Nachricht an: info@rechtsanwaltkaufmann.de


Disclaimer: Dieser Artikel dient lediglich zu Informationszwecken und ersetzt eine anwaltliche Beratung im Einzelfall nicht.


Quellen

https://rechtsanwaltkaufmann.de/allgemeinrecht/klimaaktivisten-pro-contra-anzeigen

DFR - BVerfGE 92, 1 - Sitzblockaden II (unibe.ch)

VIS Berlin - 3 ORs 46/23 - 161 Ss 61/23 3 ORs 46/23 | KG Berlin 3. Strafsenat | Beschluss | Anforderungen bei Würdigung eines Geständnisses; Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bei …

BGH, 16.11.1962 - 4 StR 337/62 - dejure.org

Berlin: Richter lehnt Strafbefehlsantrag gegen Klimaaktivistin der Letzten Generation ab (rnd.de)

(MüKo BGB, § 826, Rn. 9-11, 8. Auflage 2020) Link: https://beck-online.beck.de/?vpath=bibdata%2Fkomm%2FMuekoBGB_8_Band7%2FBGB%2Fcont%2FMuekoBGB%2EBGB%2Ep826%2EglII%2Egl2%2Egla%2Eglaa%2Ehtm

Wolters Kluwer Online - BGH, 26.06.1989 - II ZR 289/88 - Konkursausfallgeld; Schadensersatzanspruch; Bundesanstalt für Arbeit (wolterskluwer-online.de)

Foto(s): Foto von Li-An Lim auf Unsplash


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