LG Gießen - Anspruch auf Rückerstattung von Spielverlusten gegen Betreiber eines Online-Casinos

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Jüngst urteilte das LG Gießen am 21.01.2021, Az. 4 O 84/20 bundesweit erstmals, dass Spielverluste vom Betreiber eines Online-Casinos zurückgefordert werden können, wenn dieser über keine deutsche Glücksspiellizenz verfügt und zwar auch dann, wenn eine entsprechende Lizenz in Malta vorliegt. Der Kläger hatte 12.000,00 Euro beim Glücksspiel verloren und hat nun Grund zur Hoffnung, dass er diese zurückerhalten wird.

Das Urteil wurde in den Medien ausführlich besprochen, u.a. vom NDR, der FAZ und der SZ. Laut Informationen von NDR und SZ sollen bereits „bereits mehrere Tausend Fälle anhängig sein“, im Falle des Bestehens des Urteils in höheren Instanzen wären „Milliarden Euro an Umsätzen der vergangenen Jahre anfechtbar“ (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/online-casino-urteil-1.5232596).

Doch wie wahrscheinlich ist es, dass weitere Gerichte der Rechtsauffassung des LG Gießen folgen werden? Da es sich bei dem Urteil in dieser Sachverhaltskonstellation bisher um eine Einzelfallentscheidung handelt, gibt es auf diese Frage derzeit keine vollkommen rechtssichere Antwort. Jedoch zeigt ein Blick in das Urteil des LG Gießen, sowie in Urteile zu anderweitigen Sachverhaltskonstellationen, dass durchaus realistische Chancen bestehen, auf dem Gerichtsweg oder im Rahmen von Verhandlungen seine Verluste von Betreibern von Online-Casinos zurückzufordern.

LG Gießen bejaht Ansprüche aus Bereicherungs- und Deliktsrecht

Nach dem Urteil des LG Gießen steht dem Kläger ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Rückzahlung gem. § 812 Abs. 1 Var. 1 BGB sowie Schadensersatz gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 4 Abs. 4 GlüStV zu.

Ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Var. 1 BGB ermöglicht, die Rückforderung einer bereits erbrachten Leistung, wenn diese ohne Rechtsgrund erfolgte. Das entscheidende Gericht ging vorliegend von einem Bestehen des Anspruchs aus, denn der Kläger habe seine Spieleinsätze bei der Beklagten ohne rechtlichen Grund getätigt, da der Vertrag über die Teilnahme an dem von ihr veranstalteten Online-Glücksspiel nichtig gemäß § 134 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 GlüStV war, wonach das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet verboten ist. Dem stand auch nicht die faktische Duldung durch die Behörden des Bundeslands Hessen entgegen, da dadurch geltendes Recht nicht außer Kraft gesetzt werde, so die erkennende Kammer.

Die Beklagte vertrat die Ansicht, dass § 4 Abs. 4 GlüStV nicht anwendbar sei, da die Vorschrift gegen Art. 56 AEUV verstoße, wonach Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Europäischen Union verboten sind im Rahmen der EU-Verträge. Die entscheidende Kammer folgte dem nicht und bezog sich dabei maßgeblich auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.07.2016, Az. 8 B 33.15 (8 C 18.16) und das Urteil des OLG Köln vom 10.05.2019, Az. 6 U 196/18.

Kern der Entscheidung war außerdem, dass das Gericht auch verneinte, dass eine Rückforderung gem. § 817 Satz 2, 2. Hs. BGB ausgeschlossen sei. Danach ist die Rückforderung einer Leistung ausgeschlossen, wenn dem Anspruchsteller, genauso wie dem Anspruchsgegner, ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zur Last fällt. Dies war hier der Fall, da auch die Teilnahme an einem illegalen Glücksspiel einen Verstoß gegen § 4 Abs. 4 GlüStV darstellt. Nach Auffassung des Gerichts stand dies hier einer Rückforderung jedoch nicht entgegen, da die Verbotsnorm des GlüStV gerade bezwecke, die Spieler u.a. vor ruinösen Erscheinungsformen des Glückspiels zu schützen.

Schließlich nahm das Gericht auch einen deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruch des Klägers gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 4 Abs. 4 GlüStV an. Ein solcher Anspruch besteht dann, wenn ein schuldhafter Verstoß gegen eine sog. Verbotsgesetz vorliegt. Ein solches Gesetz liegt dann vor, wenn es nicht nur dem Schutz der Allgemeinheit dient, sondern auch dem Schutz von Rechtsgütern des Einzelnen. Davon ging das Gericht hier aus, da § 4 Abs. 4 GlüStV gerade die Spieler u.a. vor ruinösen Verlusten schützen solle.

Einordung des Urteils in die bisherige Rechtsprechung zu illegalen Glücksspielen

Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei dem aktuellen Urteil des LG Gießen um eine noch nicht rechtskräftige Einzelfallentscheidung. Es gibt bisher noch keine vergleichbaren Entscheidungen, welche die Rechtsauffassung des LG Gießen direkt bestätigen oder verwerfen, insbesondere nicht durch den Bundesgerichtshof.

Es gibt durchaus Entscheidungen anderer Gerichte betreffend anderweitiger Sachverhaltskonstellationen, welche Hinweise darauf geben, dass die Rechtslage in vergleichbaren Fällen abweichend beurteilt werden könnte. Diverse Entscheidungen sind bisher insbesondere zu Rückforderungsansprüchen von Spielern gegen Zahlungsdienstleister oder umgekehrt Forderungen von Zahlungsdienstleistern gegen ihre Kunden, die Geld bei illegalen Glücksspielen verloren haben und z.B. ein Negativsaldo aufwiesen, ergangen. So urteilte das Landgericht Wuppertal am 30.10.2019, Az. 3 O 384/18 und das LG Nürnberg-Fürth am 22.10.2020, Az. 10 O 8632/19, dass Bereicherungsansprüchen nach § 812 Abs. 1 Var. 1 BGB der Einwand des § 817 Satz 2, 2. Hs. BGB entgegenstehen würde, da den klagenden Spielern gleichfalls ein Verstoß gegen § 4 Abs. 4 GlüStV anzulasten sei. Auf eine mögliche Reduktion Vorschriften des GlüStV nach ihrem Sinn und Zweck, wie sie das LG Gießen annahm, gingen die Gerichte damals allerdings nicht ein. Auf die Vorschriften kam es damals auch nicht streitentscheidend an. Die Argumente des LG Gießen, aufgrund von § 4 Abs. 4 GlüStV keinen Ausschluss von Rückforderungsansprüchen annehmen sind von erheblichem Gewicht, denn das Gesetz würde Spielern im Ergebnis schaden und umgekehrt Veranstalter illegaler Glücksspiele schützen, wenn Rückforderungsansprüche ausgeschlossen werden würden. Dies steht in offensichtlichem Widerspruch zu den Zielen des Gesetzes. So soll gem. § 1 Satz 2 Ziff. 2 GlüStV der „Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubten Glücksspielen in Schwarzmärkten“ entgegengewirkt werden und gerade auch den schwerwiegenden Konsequenzen von Spielverlusten für die Betroffenen und ggf. deren Familien.

Chancen der Rechtsdurchsetzung im Rahmen von Vergleichsverhandlungen

Die rechtlichen Ungewissheiten bieten durchaus Chancen für klagewillige Spieler, denn eine eindeutige gerichtliche Entscheidung der Gerichte könnte in einer Vielzahl von Fällen nicht notwendig werden, wenn sich die Parteien vorher im Rahmen eines Vergleichs einigen. So berichtete die SZ, dass zahlreichen Casinos Rechtsstreitigkeiten mit ehemaligen Spielerinnen und Spielern durch Vergleiche beigelegt hätten. Dabei seien die Spieler zur Verschwiegenheit verpflichtet worden und hätten im Gegenzug Teile ihrer Verluste sowie ihre Anwaltskosten erstattet bekommen. Dies deutet darauf hin, dass den Betreibern von Online-Casinos daran gelegen ist, keine weiteren Präzedenzfälle, wie den des LG Gießen und damit möglicherweise zu ihren Ungunsten eine klare Rechtslage zu schaffen.

In jedem Falle ist juristisches Argumentations- und Verhandlungsgeschick gefragt, um mögliche Ansprüche gegen Betreiber von Online-Casinos durchzusetzen. Es ist daher zu empfehlen, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wir beraten und vertreten Sie gerne im Hinblick auf eine erfolgreiche und effiziente Durchsetzung Ihrer Ansprüche. Zögern Sie nicht uns zu kontaktieren.

Mehr Informationen finden Sie auf: https://ra-juedemann.de/

Ihr Rechtsanwalt Kai Jüdemann


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