Mann sticht ohne vorherige Androhung mit einem Messer auf seinen Angreifer ein – Notwehr?

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Der Rechtfertigungsgrund der Notwehr gemäß § 32 StGB

Die Notwehr gemäß § 32 StGB ist die Verteidigung, die erforderlich und geboten ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Ein Angriff ist dabei jede durch eine menschliche Handlung drohende Verletzung rechtlich geschützter individueller Güter oder Interessen. Dieser ist gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch fortdauert. Ein Angriff ist zudem rechtswidrig, wenn der Angreifer seinerseits nicht gerechtfertigt ist bzw. das Opfer nicht zur Duldung verpflichtet ist.

Eine Verteidigungshandlung ist erforderlich, wenn sie zur Abwehr des Angriffs geeignet ist und das relativ mildeste zur Verfügung stehende Gegenmittel gleicher Eignung darstellt.

Die Gebotenheit einer Verteidigungshandlung liegt nicht vor, wenn von dem Angegriffenen aus Rechtsgründen die Hinnahme der Rechtsgutverletzung oder eine eingeschränkte und risikoreichere Verteidigung zu verlangen ist.

Der sich Verteidigende muss außerdem mit Verteidigungswillen handeln, also den Angriff als solchen und seine Rechtswidrigkeit erkennen und durch seine Tat der Rechtsgutverletzung entgegentreten wollen.

Ist auch ein Messereinsatz ohne vorherige Androhung noch erforderlich? 

In seiner aktuellen Entscheidung vom 17. April 2019 (2 StR 363/18) präzisierte der Bundesgerichtshof erneut die Anforderungen an die Erforderlichkeit der Notwehrhandlung i.S.d. § 32 Abs. 2 StGB. Er befasste sich konkret mit der Frage, ob auch der sofortige Einsatz eines Messers gegenüber dem Angreifer durch Notwehr gerechtfertigt sein kann oder ob die vorherige Androhung als milderes Mittel vorrangig zu wählen ist.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall war der Angeklagte Gastwirt in einer Gaststätte. Nachdem der Geschädigte die Ehefrau des Angeklagten respektlos behandelt hatte und zudem der Verdacht aufgekommen war, dass dieser in der Gaststätte mit Drogen handelte, erteilte der Angeklagte dem Geschädigten ein Hausverbot. Als der Geschädigte die Gaststätte dennoch aufsuchte, forderte der Angeklagte ihn auf, die Gaststätte umgehend zu verlassen. Es folgte eine verbale Auseinandersetzung, bei der der Geschädigte den Angeklagten und seine Ehefrau mehrmals beleidigte.   

Anschließend kam es zu einem Gerangel, das dahingehend eskalierte, dass der Geschädigte den Angeklagten mehrmals mit seinen Fäusten schlug. Andere Gäste versuchten zwar den Geschädigten zu beruhigen, jedoch ohne Erfolg. Nach einigen Minuten ergriff der Angeklagte dann ein 26 cm langes Messer. Der Angeklagte wusste dabei, dass der Geschädigte unbewaffnet war und dass die Schläge allenfalls mit mittlerer Intensität geführt wurden. Auch war ihm bewusst, dass der Geschädigte das Messer zuvor nicht bemerkt hatte.

Weder der Angeklagte noch seine Ehefrau befanden sich zu diesem Zeitpunkt in Lebensgefahr. Dennoch stach der Angeklagte schließlich ohne vorherige Androhung mehrmals auf den Oberkörper des Geschädigten ein. Dies bemerkte der Geschädigte zunächst jedoch nicht. Erst als er durch einen anderen Gast weggerissen wurde und die Gaststätte verlassen hatte, bemerkte er seine Verletzungen, die jedoch nicht lebensbedrohlich waren.

Das Landgericht Köln hatte den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und diese zur Bewährung ausgesetzt. Der Angeklagte habe sich zwar in einer Notwehrlage befunden und auch mit Verteidigungswillen gehandelt, jedoch sei die Notwehrhandlung des Angeklagten nicht mehr als erforderlich anzusehen. Der Angeklagte hätte den Einsatz des Messers vorher androhen sollen, da eine Androhung jedenfalls geeignet gewesen wäre, weitere Einwirkungen des Geschädigten sofort zu beenden.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs 

Dem schloss sich der Bundesgerichtshof jedoch nicht an und verneinte im Ergebnis eine Strafbarkeit des Angeklagten. Die Notwehrhandlung des Angeklagten sei vielmehr erforderlich und damit gerechtfertigt gewesen.

Im Zuge der Notwehr könne der sofortige Messereinsatz ausnahmsweise auch ohne vorherige Androhung gegenüber dem unbewaffneten Angreifer erforderlich sein, wenn dies bei objektiver Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung das mildeste Mittel ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Notwehrhandlung erforderlich, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht. Der sofortige Einsatz eines Messers gegenüber einem unbewaffneten Angreifer sei zwar in der Regel anzudrohen. Dies gelte jedoch nur dann, wenn eine Androhung ebenso gut geeignet wäre, die Einwirkungen des Angreifers sofort zu beenden. Wegen der geringen Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die zu treffende Entscheidung hinsichtlich einer milderen Verteidigungshandlung überdies keine überhöhten Anforderungen gestellt werden.

Nach der Auffassung des Bundesgerichtshof ergeben die Feststellungen des Landgerichts vorliegend nicht, dass die vorherige Androhung des Messereinsatzes in der konkreten Situation ebenso erfolgversprechend gewesen wäre. Dies sei allein schon deshalb der Fall, weil der einige Zeit andauernde gewalttätige Angriff trotz des Eingreifens von anderen Gästen nicht beendet werden konnte. Der Angriff sei zudem noch nicht einmal durch die Messerstiche beendet worden, sondern erst, als ein anderer Gast den Geschädigten aus der Gaststätte hinauszerrte. Es sei mithin nicht erkennbar, ob der Geschädigte bei einer Androhung tatsächlich von dem Angeklagten abgesehen hätte.

Das Urteil des Landgerichts Köln wurde folglich aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht in Berlin


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