Mitarbeitende Familienangehörige: Soziales Netz oder finanzielle Freiheit?

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Sei es der Sohn des Transportunternehmers, der später einmal das Unternehmen weiterführen wird oder die Ehefrau des Friseurs, die mit Verwaltungsarbeit Ihrem Ehemann den Rücken frei hält: In Deutschland zahlen schätzungsweise eine Million Angehörige, die als Angestellte in Familienunternehmen arbeiten, Beiträge in die Sozialversicherungen ein -  und können trotzdem nicht sicher sein, im Bedarfsfall Leistungen wie Arbeitslosengeld oder Erwerbsminderungsrente  zu erhalten. Doch diese Unsicherheit bringt auch finanzielle Chancen mit sich.

 

Folgenreicher Irrtum

 

Die Zahlung der Lohnnebenkosten kann auf einem folgenreichen Irrtum beruhen. Es kommt immer wieder vor, dass der Angehörige in Wirklichkeit weder der Sozialversicherungspflicht unterliegt noch den Schutz von Rentenversicherung & Co. geniesst. Denn Pflichtmitglied im gesetzlichen Sozialsystem ist nur, wer als „Beschäftigter" im Sinne des Gesetzes angesehen werden kann. Die Frage, auf wen das zutrifft, gehört jedoch zu den schwierigsten Problemen des Sozialrechts. Der Grund liegt darin, dass sich im Gesetz keine präzise Umschreibung dafür findet, was „Beschäftigung" ausmacht. Daher musste der Begriff erst durch eine jahrzehntelange Rechtsprechung des Bundessozialgerichts genauer umrissen werden. Eine klare Systematik entstand so natürlich nicht. Stattdessen sind eine Vielzahl von Gesichtspunkten zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Dies wird gerade bei Angehörigen noch dadurch erschwert, dass nach der Rechtsprechung auch der Fall einer „familienhaften Mithilfe" oder eine „Mitunternehmerschaft" vorliegen kann. Beides spricht gegen die Sozialversicherungspflicht.

 

Klar ist nur so viel: Der Abschluss eines schriftlichen Arbeitsvertrages allein reicht nicht aus, um eine „Beschäftigung" im Sinne des Gesetzes zu begründen. Denn das Vorhandensein eines Arbeitsvertrages ist nur einer von vielen Gesichtspunkten, die relevant sind. Ebensowenig schafft das Zahlen der Lohnnebenkosten an die Einzugsstelle (also die Krankenkasse) klare Verhältnisse. Das Bundessozialgericht hat bereits mehrfach deutlich gemacht, dass die Beitragszahlung -selbst wenn sie über viele Jahre erfolgt- keinerlei Einfluß auf die Frage der Pflichtmitgliedschaft hat.

 

Trügerische Sicherheit

 

Leider wird das Problem oft viel zu spät erkannt. Denn der Steuerberater prüft bei Beginn der Lohnbuchführung in aller Regel nur die lohnsteuerrechtlichen nicht aber die sozialversicherungsrechtlichen Fragen. Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht sind aber voneinander unabhängig und kommen nicht selten zu unterschiedlichen Wertungen. Die Krankenkasse nimmt ihrerseits lediglich die Beiträge entgegen. Dabei prüft sie ebenso wenig, ob eine „Beschäftigung" gegeben ist. Auch die regelmäßigen Betriebsprüfungen durch die Deutsche Rentenversicherung (ehemals BfA und LVA) umfassen nur selten diese Frage mit der erforderlichen Genauigkeit. Erst wenn ein Notfall eintritt und eine Leistung wie Erwerbsminderungs- bzw. Berufsunfähigkeitsrente, Arbeitslosengeld oder Insolvenzgeld benötigt wird, findet die genaue Prüfung statt, ob der Familienangehörige in der Vergangenheit überhaupt sozialversicherungspflichtig war. Kommt die Behörde nun zu dem Ergebnis, dass keine Beschäftigung vorlag, lehnt sie den Antrag auf die begehrte Leistung ab.

 

Da die letzte Bundesregierung die Brisanz dieses Problems erkannt hatte, führte Rot-Grün im Rahmen der Hartz-Gesetze eine Neuerung ein: Bei Ehegatten, die nach dem 31. 12. 2004 begonnen haben, im Familienunternehmen zu arbeiten, veranlasst die Krankenkasse nunmehr schon bei Beginn der Beitragszahlungen eine Prüfung des sozialversicherungsrechtlichen Status. Damit wurde die Lage leider nur höchst unvollkommen entschärft. Denn Ehegatten, die schon vor 2005 angestellt waren, werden nicht geprüft. Andere Angehörige, wie beispielsweise nichteheliche Lebensgefährten, Kinder oder Eltern des Chefs, werden nach wie vor durch die Kassen im Unklaren gelassen.

 

135 Millionen Euro Rückzahlungen in ´05

 

Der Ausweg aus der unübersichtlichen Lage ist, selbst die Initiative zu ergreifen. Betroffene können einen Prüfantrag bei der Krankenkasse stellen oder das sogenannte Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Bund durchführen lassen. Bestätigen die Behörden die Sozialversicherungspflicht, besteht danach die Gewissheit, Ansprüche auf Erwerbsminderungsrente, Arbeitlosengeld und Insolvenzgeld wirklich zu erwerben.

 

Lautet das Ergebnis dagegen „Sozialversicherungsfreiheit", müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Zukunft keine Lohnnebenkosten für die Renten-, Arbeitslosen- und Kranken- und Pflegeversicherung mehr entrichten. Dadurch gewinnt der Betroffene die finanzielle Freiheit, in private Vorsorge- und Absicherungssysteme investieren zu können. Und last-but-not-least: Die jahrelang irrtümlich gezahlten Beiträge können von den Sozialversicherungsträgern zurückgefordert werden.  In den Zweigen der Kranken- und Arbeitslosenversicherung bezieht sich der Erstattungsanspruch auf die letzten vier Jahre. Davor liegende Zahlungen sind in der Regel verjährt. Für die Rentenversicherung gilt indes anderes. Über ein bestimmtes Verfahren sind hier Beiträge bis zum Beginn der scheinbaren Beschäftigung erstattungsfähig. Das können im Einzelfall durchaus 20 Jahre und mehr sein.  Mithin erreichen die Rückzahlungen (addiert man die Beitragsteile des Arbeitgebers und des Versicherten) im Regelfall mehrere zehntausend Euro. Nach Informationen des ARD-Magazins Plusminus zahlte die Deutsche Rentenversicherung Bund im Jahr 2005 rund 135 Millionen Euro an zu Unrecht erlangten Beiträgen zurück.

 

Vor entsprechenden Schritten ist allerdings eine ausführliche Beratung und genaue Analyse des Sachverhalts durch einen sozialversicherungsrechtlich versierten Anwalt zu empfehlen. So kann sichergestellt werden, dass alle relevanten Gesichtspunkte beachtet werden, und sich beim Ausfüllen der höchst unübersichtlichen Formulare, die im Zuge der Klärung der Versicherungspflicht abzuarbeiten sind, keine Fehler einschleichen. Zudem ist im Falle der Versicherungsfreiheit die Entscheidung zu treffen, ob die Rentenversicherungsbeiträge als sogenannte freiwillige Beiträge im gesetzlichen System belassen und nicht zurückgefordert werden. Auch diese Frage bedarf einer gründlichen und neutralen Beratung.

Andreas Hartmann

Rechtsanwalt

Schützenstr. 5

35578 Wetzlar

Tel. 06441-2009600 

 


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