Nichtlesen eines Verkaufsprospekts bedeutet kein fehlendes Interesse an jeglicher Aufklärung

  • 2 Minuten Lesezeit

Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied am 07.02.2019 (Aktenzeichen: III ZR 498/16), dass das Nichtlesen eines Verkaufsprospekts durch einen Bankkunden kein fehlendes Interesse an jeglicher Aufklärung bedeutet.

Sachverhalt vor dem BGH

Ein Anleger investierte einen größeren Geldbetrag in Schiffsfonds. Den Emissionsprospekt bezeichnete er als „Papierkram“, er sei „zu dick und zu schwer“. Durchlesen wollte er den Prospekt daher nicht. Die Anlagen entwickelten sich nicht erwartungsgemäß. Der Anleger begehrte nun von der Bank Schadenersatz wegen fehlerhafter Beratung. Er gab verschiedene Beratungsfehler an, unter anderem fehlende Angaben zu den anfallenden Provisionen (15 % übersteigende Vertriebsprovisionen).

Pflicht des Anlageberaters zur objektgerechten Beratung

Der Anlageberater ist zur anleger- und objektgerechten Beratung verpflichtet. Er hat den Kunden rechtzeitig, sorgfältig und verständlich zu beraten und er muss über die Eigenschaften und Risiken des Anlageobjekts unterrichten, die für die Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben können.

Außerdem ist der Anlageberater verpflichtet, unaufgefordert über Vertriebsprovisionen aufzuklären, wenn diese 15 % des von den Anlegern einzubringenden Kapitals überschreiten. Vertriebsprovisionen solchen Umfangs eröffnen nämlich Rückschlüsse auf eine geringere Werthaltigkeit und Rentabilität der Kapitalanlage. Dies stellt einen für die Anlageentscheidung bedeutsamen Umstand dar. Hierüber muss der Anlageinteressent informiert werden.

Ordnungsgemäß kann sowohl mündlich als auch durch die Übergabe von Prospektmaterial aufgeklärt werden, sofern dem Anlageinteressenten der Prospekt so rechtzeitig vor Vertragsschluss übergeben wird (siehe hierzu auch https://www.anwalt.de/rechtstipps/zur-rechtzeitigkeit-der-uebergabe-des-verkaufsprospektes_069416.html), dass er den Inhalt noch zur Kenntnis nehmen kann. Beides war vorliegend zur Höhe der Vertriebsprovisionen nicht geschehen.

Nichtlesen eines Verkaufsprospekts bedeutet kein fehlendes Interesse an jeglicher Aufklärung.

Laut BGH kann die Weigerung des Anlegers, den Inhalt des überreichten Prospekts zur Kenntnis zu nehmen, als kein fehlendes Interesse an jeglicher Aufklärung oder Gleichgültigkeit gegenüber den Risiken der Anlage gedeutet werden. Die Weigerung, den Prospekt zu lesen, heißt nur, dass sich der Anleger die Kenntnisse nicht selbst im Wege einer (möglicherweise zeitraubenden) Lektüre verschaffen wollte. Es bedeutet kein Desinteresse an einer möglicherweise eingängigeren mündlichen Erläuterung der wesentlichen Eigenschaften und Risiken der Kapitalanlage durch den Anlageberater, bei der Nachfragen möglich sind.

Der Anlageberater ist daher dennoch zur mündlichen Beratung und Aufklärung über die wesentlichen Risiken des Investments verpflichtet. Der Anleger darf erwarten, dass der Berater die Aufklärung in dem gebotenen Umfang auch in einem persönlichen Gespräch leistet. Wenn der Berater dies nicht vollumfänglich kann, muss er ausdrücklich darauf hinweisen.

Die mündliche Aufklärungspflicht des Beraters entfällt erst, wenn er davon ausgehen darf, dass der Kunde den Prospekt gelesen und verstanden hat.

Fazit

Ein Anlageberater muss einen Kunden also auch dann über die wesentlichen Risiken eines Investments mündlich aufklären, wenn dieser den Anlageprospekt nicht lesen möchte. Schließlich bedeutet dies kein fehlendes Interesse an jeglicher Aufklärung. Infolge dieses Urteils wird dem mündlichen Beratungsgespräch eine ganz andere Bedeutung zukommen. Damit ist die Prospektlektüre zwar nicht überflüssig geworden, aber hat nunmehr möglicherweise geringere Bedeutung erhalten.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Jens Reichow

Beiträge zum Thema