Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden

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"Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich." "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden", Art. 3 GG. Das heißt auch: "Niemand kann wegen seiner Behinderung auf Vorteile pochen."

Diesen fundamentalen Grundsatz hat das Landessozialgericht Hessen in einem kürzlich veröffentlichten Urteil (L 4 SO 180/21 vom 18.10.2023) verdeutlicht:

In diesem Urteil wurde entschieden, dass auch behinderte Kläger an die formellen Verfahrensvorschriften des Sozialgesetzbuches (SGB) und des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden sind.

Im konkreten Fall hatte ein Kläger mit einem Grad der Behinderung von 70 versucht, einen Widerspruch gegen einen Bescheid der Rentenversicherung formlos per E-Mail einzulegen. Die Rentenversicherung hatte den Widerspruch als unzulässig verworfen, da er nicht den Formvorschriften des § 84 SGG entsprach. Das Widerspruchsverfahren ist ein sogenanntes förmliches Rechtsbehelfsverfahren. Eine einfache E-Mail reicht nicht. Sie erfüllt das Schriftformerfordernis nicht (§ 84 Absatz 1 SGG).

Der Kläger hatte argumentiert, dass die E-Mail-Einlegung für ihn als behinderten Menschen die einzige Möglichkeit sei, einen Widerspruch formgerecht einzulegen. Er sei nicht in der Lage, einen qualifizierten elektronischen Signaturschlüssel (QES) zu beantragen oder zu verwenden.

Das LSG Hessen ist dieser Argumentation jedoch nicht gefolgt. Das Gericht stellte fest, dass dem Kläger die Möglichkeit der formgerechten Widerspruchseinlegung per Faxschreiben offenstehe. Dies sei für ihn als behinderten Menschen ebenfalls zumutbar.

Das Gericht verwies in seiner Begründung auf die grundgesetzliche Schutzpflicht des Staates gegenüber behinderten Menschen. Diese Schutzpflicht gebiete es zwar, behinderten Menschen den Zugang zu Rechtsschutz zu erleichtern. Allerdings sei diese Schutzpflicht nicht so weit gefasst, dass sie eine Aushöhlung der formellen Verfahrensvorschriften rechtfertige. "Art. 3 Abs. 3 GG beinhaltet außer einem Benachteiligungsverbot auch einen Förderauftrag. Er vermittelt einen Anspruch auf die Ermöglichung gleichberechtigter Teilhabe ..."

Das Urteil des LSG Hessen ist ein wichtiges Signal für die Gleichberechtigung von behinderten Menschen im Rechtssystem. Es zeigt, dass auch behinderte Menschen an die formellen Verfahrensvorschriften gebunden sind. Ein behinderter Mensch ist genauso mündig und selbständig wie jeder andere auch. Allerdings gibt das Urteil auch zu erkennen, dass der Staat verpflichtet ist, behinderten Menschen den Zugang zu Rechtsschutz zu erleichtern.

Für behinderte Kläger bedeutet das Urteil, dass sie bei der Einlegung von Rechtsbehelfen die formellen Verfahrensvorschriften beachten müssen. Dies gilt auch dann, wenn sie aufgrund ihrer Behinderung Schwierigkeiten haben, diese Vorschriften zu erfüllen.

Ich berate Sie gerne, wenn Sie als behinderter Kläger Rechtsschutz in Anspruch nehmen möchten. Ich helfe Ihnen dabei, die formellen Verfahrensvorschriften einzuhalten.



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