OLG Nürnberg: BU-Versicherer ist nicht an eigenes Gutachten gebunden

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In den meisten Fällen lässt sich die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nur durch ein medizinisches Sachverständigengutachten feststellen. Nicht selten ist der Fall, dass BU-Versicherer ein gutachten in Auftrag geben, der Gutachter die Berufsunfähigkeit bestätigt und der Versicherer trotzdem ablehnt. 

Eine solche Konstellation war Gegenstand eines Beschlusses des OLG Nürnberg, mit welchem die Berufung eines Versicherungsnehmers zurückgewiesen wurde (OLG Nürnberg, Beschluss v. 22.08.2023 – 8 U 344/23).

Kurz zum Sachverhalt

Der Kläger litt unter erheblichen Beschwerden am Handgelenk und beantragte im Februar 2017 Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung. 

Der Versicherer trat in die Leistungsprüfung ein und erklärte den Rücktritt sowie die Anfechtung wegen einer angeblichen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung. Der Versicherungsnehmer klagte und obsiegte. Rücktritt und Anfechtung waren rechtswidrig. 

Der Versicherer beauftragte anschließend einen Gutachter, der die Berufsunfähigkeit bestätigte. Der Versicherer lehnte aber trotzdem ab.

Der Versicherungsnehmer klagte erneut. Das Landgericht ordnete ein Sachverständigengutachten an und der Sachverständige vertrat die Ansicht, dass keine Berufsunfähigkeit vorläge. Die Klage wurde abgewiesen.

Die Entscheidung des OLG Nürnberg

Das OLG Nürnberg wies die Berufung zurück. 

Im Wesentlichen stützte sich das Rechtsmittel auf die Argumentation, dass der Versicherer nach dem in Auftrag gegebenen Gutachten ein Anerkenntnis hätte abgeben müssen. Da dieses nicht erfolgt sei, habe er seine Pflicht aus § 173 Abs. 1 VVG und dem Versicherungsvertrag verletzt und das Anerkenntnis sei zu fingieren. 

Das OLG schloss sich dieser Argumentation nicht an. Der Versicherer sei mit seinem vierseitigem Ablehnungsschreiben seiner Erklärungspflicht nachgekommen. Für ein fingiertes Anerkenntnis sei daher kein Raum, da es diese Rechtsfigur nur bedürfe, wenn der Versicherer gerade kein Anerkenntnis abgibt und der Versicherungsnehmer den Eindruck hat, der Versicherer "spiele auf Zeit".

Anmerkung

Das OLG Nürnberg bestreitet mit dem Beschluss kein juristisches Neuland. Versicherer sind nicht zwangsläufig an von Ihnen in Auftrag gegebene Gutachten gebunden. 

Die Entscheidung zeigt aber ein nicht seltenes Problem, dem Versicherungsnehmer in der Berufsunfähigkeitsversicherung ausgesetzt sind. 

Begutachtung nicht sorgfältig vorbereitet?

Der Versicherer hatte im Prozess argumentiert, dass die vom Gutachter vorgenommene EFL-Testung (Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit) keine eindeutigen Aussagen ergeben hätte, sondern nur auf subjektiven Angaben des Klägers beruhte. Hier lässt sich vermuten, dass die Begutachtung nicht sorgfältig vorbereitet war. Nicht selten werden Gutachtern eher schwammige Aufträge erteilt oder die Beschreibung des Berufsbildes und der konkreten Tätigkeit ist oberflächlich. Werden an dieser Stelle Fehler begangen, lassen sich diese bei späteren Begutachtungen teilweise schwer korrigieren.

Im Zweifel Rechtsanwalt fragen

Versicherungsnehmer sollten daher bereits bei der Beantragung einer BU-Rente einen spezialisierten Rechtsanwalts zu Rate zu ziehen. Dies betrifft insbesondere Konstellationen, in denen den Versicherern möglicherweise umfassende Deutungsmöglichkeit bleiben. Dies betrifft erfahrungsgemäß vor allem psychische Erkrankungen, Schmerzsyndrome, chronisches Fatigue-Syndrom sowie Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen.



Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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