Provozierter Totschlag – Ein minder schwerer Fall

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Wann liegt ein minder schwerer Fall des Totschlags vor?

Wer gem. § 212 StGB wegen Totschlags verurteilt wird, dem droht nach § 212 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren. In besonders schweren Fällen ist sogar auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Allerdings kann bei einem Totschlag unter bestimmten Voraussetzungen ein minder schwerer Fall gem. § 213 StGB angenommen werden, z. B. im Falle einer Provokation. Hierbei sind Misshandlung und schwere Beleidigung relevante Provokationen i. S. v. § 213 1. Alt. StGB.

1) Misshandlung

Eine Misshandlung gemäß § 213 Alt. 1 StGB liegt vor, wenn das Opfer den Täter körperlich verletzt. Die Anwendbarkeit von § 213 Alt. 1 StGB wird auch dann bejaht, wenn das Opfer dem Täter durch tätliches Vorgehen seelische Kränkung mit körperlichen Auswirkungen zufügt.

2) schwere Beleidigung

Eine schwere Beleidigung erfasst in ihrem Kernbereich Ehrangriffe des Opfers in Form der Kundgabe von Miss- oder Nichtachtung. Hierbei wird ein vorsätzliches Verhalten vorausgesetzt, das nach seinem objektiven Erklärungswert als ehrenrührig aufzufassen ist und vom Provokateur auch so gemeint war.

Sofern diese Voraussetzungen vorliegen, setzt die Strafrahmenmilderung ferner voraus, dass der Täter „ohne eigene Schuld" zum Zorn gereizt wurde. Das ist anzunehmen, wenn der Täter bei wertender, auf den Tatzeitpunkt abstellender Betrachtung keine genügende Veranlassung zur Provokation gegeben hat. Falls das Verhalten des Geschädigten eine verständliche und verhältnismäßige Reaktion auf vorangegangenes Tun des Täters ist, sind die Voraussetzungen der Privilegierung nicht erfüllt.

Muss der provokationsbedingte Zorn des Täters noch im Zeitpunkt der Tatbegehung anhalten?

Mit dieser Frage beschäftigte sich der Bundesgerichtshof (2 StR 378/19) in seinem Beschluss vom 19. November 2019. In dem, der Entscheidung des Bundesgerichtshofes zugrundeliegenden Sachverhalt kam es zu einem körperlichen Konflikt zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten aufgrund einer zuvor verbal geführten Auseinandersetzung. Der Geschädigte rief dem Angeklagten: „Geht doch dorthin, wo ihr herkommt“ zu und „schnipste“ ihm mit dem Finger die Kappe vom Kopf, um ihn weiter zu provozieren. Der Angeklagte wurde wütend und rief mehrfach: „Don‘t touch me, I kill you!“

Anschließend schubste der Geschädigte den Angeklagten und es kam zu gegenseitigen Faustschlägen ins Gesicht. Nachdem sich die beiden Männer voneinander entfernt hatten, bewaffnete sich der Angeklagte mit einer Glasflasche, die er so abschlug, dass eine scharfe Schnittkante entstand. Mehrere Minuten nach der Auseinandersetzung folgte der Angeklagte dem Geschädigten in der Absicht, diesen zu töten, und stach zweimal mit dem abgebrochenen Flaschenhals direkt hintereinander in den Oberkörper seines Opfers.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Köperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auf die Vorschrift des minder schweren Falls des Totschlags gem. § 213 Alt. 1 StGB ist es nicht eingegangen.

Der BGH: Der erforderliche Zusammenhang ist nicht unterbrochen worden

In seinem Beschluss stellte der Bundesgerichtshof fest, dass der zum Aufplatzen der Oberlippe führende Faustschlag gegen den Angeklagten eine Misshandlung i. S. d. Vorschrift darstellt. Der Angeklagte war dadurch nämlich zum Zorn gereizt und auf der Stelle zur Tat hingerissen worden. Zwar sind einige Minuten zwischen der den Zorn des Angeklagten auslösenden Auseinandersetzung und dem eigentlichen Tatgeschehen vergangen. Gleichwohl unterbricht dies nicht den erforderlichen Zusammenhang, da der durch die Provokation und die Misshandlung ausgelöste Zorn im Zeitpunkt der Tatbegehung noch angehalten hat und dieser nicht etwa durch rationale Abwägung verarbeitet worden ist.

Nebstdem kam es zu der Provokationen und der Misshandlung des Angeklagten auch ohne dessen eigene Schuld. Der Angeklagte hat dem Geschädigten keine hinreichende Veranlassung zu dem Faustschlag gegeben. Der Geschädigte hat die Auseinandersetzung begonnen und den Angeklagten verbal und körperlich angegriffen. Insofern kann der Faustschlag gegen den Angeklagten nicht als verhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Angeklagten angesehen werden.

Fazit

Der provokationsbedingte Zorn des Täters, der ohne eigene Schuld zum Zorn gereizt wurde, hat im Zeitpunkt der Tatbegehung noch angehalten, sodass ein minder schwerer Fall gem. § 213 Alt. 1 StGB in Betracht kommt. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofes hätte das Landgericht auf die Vorschrift des § 213 1. Alt. StGB eingehen müssen. 

Hilfe durch Fachanwalt für Strafrecht

Dieser Beitrag wurde von Rechtsanwalt Dietrich erstellt. Rechtsanwalt Dietrich tritt bereits seit vielen Jahren deutschlandweit als Strafverteidiger auf. Wenn Ihnen vorgeworfen wird, sich wegen Totschlags strafbar gemacht zu haben, können Sie unter den angegebenen Kontaktdaten einen Besprechungstermin mit Rechtsanwalt Dietrich vereinbaren. Alternativ können Sie Rechtsanwalt Dietrich auch eine E-Mail schreiben.


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