Rotkreuzschwestern und Leiharbeit – BAG entscheidet

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EuGH, Urteil vom 17.11.2016, C-216/15, Vorabentscheidung zur Anfrage des BAG, Beschluss vom 17.03.2015, 1 ABR 62/12 (A)

Rotkreuzschwestern als Arbeitnehmer im Sinne der Leiharbeitsregeln?

Der Verband der Schwesternschaften vom Deutschen Roten Kreuz ist der Dachverband von 33 regionalen Schwesternschaften im Deutschen Roten Kreuz. Sie organisieren die Rotkreuzschwestern, die hauptberuflich als Gesundheits- und Krankenpflegerinnen, Kinderkranken- und Altenpflegerinnen, Krankenpflegehelferinnen sowie Entbindungspflegerinnen (Hebammen) und operationstechnische Assistentinnen tätig sind.

Krankenhäuser können mit dem Verein der Rot-Kreuz-Schwestern grundsätzlich keinen Überlassungsvertrag vereinbaren, wenn mit einer längeren Beschäftigung der Schwestern Regelungen zur Leiharbeit umgangen werden sollen. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 17.11.2015 (Az.: C-216/15) entschieden.

Leiharbeit liegt danach vor, wenn Rotkreuzschwestern bei einem solchen Einsatz arbeits- und sozialrechtlich geschützt sind.

Um was ging es?

Im Ausgangsfall hatte die Ruhrlandklinik in Essen mit dem Verein der DRK-Schwestern einen sogenannten Gestellungsvertrag geschlossen. Der Vertrag sah vor, dass der Verein, der selbst keinen Erwerbszweck verfolgt, Schwestern zur Beschäftigung überlässt und dafür die Personalkosten und eine dreiprozentige Verwaltungskostenpauschale bekommt.

Der Betriebsrat der Klinik verweigerte aber seine Zustimmung zum Einsatz einer Rotkreuzschwester. Zur Begründung führte er an, die Schwester würde auf Grundlage des Vertrags dauerhaft eingesetzt. Dies verstoße gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und Reglungen zur Leiharbeit.

Der Europäische Gerichtshof hat sich im Ergebnis der Auffassung des Betriebsrats angeschlossen.

Was hat der EuGH entschieden?

Das BAG hatte mit seiner Vorlage an den EuGH angefragt, ob Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen ist, dass die durch einen Verein, der keinen Erwerbszweck verfolgt, gegen ein Gestellungsentgelt erfolgende Überlassung eines Vereinsmitglieds an ein entleihendes Unternehmen, damit das Mitglied bei diesem hauptberuflich und unter dessen Leitung gegen eine Vergütung Arbeitsleistungen erbringt, in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt, obwohl das Mitglied nach nationalem Recht kein Arbeitnehmer ist, weil es mit dem Verein keinen Arbeitsvertrag geschlossen hat.

In den Entscheidungsgründen des EuGH heißt es dazu:

 „Nach Art. 1 der Richtlinie 2008/104 setzt deren Anwendung u. a. voraus, dass die betreffende Person „Arbeitnehmer“ im Sinne von Abs. 1 dieses Artikels ist, und dass das Leiharbeitsunternehmen, das die Person einem entleihenden Unternehmen zur Verfügung stellt, eine „wirtschaftliche Tätigkeit“ im Sinne von Abs. 2 dieses Artikels ausübt.

Zur Beantwortung der Vorlagefrage ist somit zu bestimmen, ob diese beiden Voraussetzungen unter Umständen wie den in Rn. 22 des vorliegenden Urteils genannten erfüllt sind.

Zum Arbeitnehmerbegriff

Bei der Auslegung des Begriffs „Arbeitnehmer“ im Sinne der Richtlinie 2008/104 ist zu beachten, dass dieser Begriff nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie für eine Person steht, „die in dem betreffenden Mitgliedstaat nach dem nationalen Arbeitsrecht als Arbeitnehmer geschützt ist“.

Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung fällt unter den Arbeitnehmerbegriff im Sinne dieser Richtlinie also jede Person, die eine Arbeitsleistung erbringt und die in dieser Eigenschaft in dem betreffenden Mitgliedstaat geschützt ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs besteht das wesentliche Merkmal eines Arbeitsverhältnisses darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält, wobei die rechtliche Einordnung dieses Verhältnisses nach nationalem Recht und seine Ausgestaltung ebenso wie die Art der zwischen beiden Personen bestehenden Rechtsbeziehung insoweit nicht ausschlaggebend sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. November 2010, Danosa, C‑232/09, EU:C:2010:674, Rn. 39 und 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Somit ist der Arbeitnehmerbegriff im Sinne der Richtlinie dahin auszulegen, dass er jede Person erfasst, die ein Beschäftigungsverhältnis in dem in Rn. 27 des vorliegenden Urteils genannten Sinne hat und die in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgrund der Arbeitsleistung, die sie erbringt, geschützt ist.“

Was bedeutet die Entscheidung des EuGH?

Demnach kann man davon ausgehen, dass die Schwestern Arbeitnehmer i. S. d. Richtlinie sind. Der Beitritt in die als Verein ausgestaltete Schwesternschaft verpflichtet die Mitglieder zur Ableistung von Diensten in persönlicher Abhängigkeit. Gegenleistung ist eine monatliche Vergütung. Zudem sind sie aufgrund der so erbrachten Arbeitsleistung in Deutschland besonders geschützt: Es gelten zwingende arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen und es wird bspw. Urlaub und Entgeltfortzahlung gewährt. Letztlich wird von der Schwesternschaft auch eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt. Sie überlässt Pflegepersonal an entsprechende Einrichtungen in Deutschland und erhält hierfür ein Gestellungsentgelt. Ein Erwerbszweck ist nicht erforderlich (Quelle: www.arbeit-und-arbeitsrecht.de)

Nach der Entscheidung des EuGH muss nun am 17.02.2017 das Bundesarbeitsgericht im konkreten Fall die Arbeitsbedingungen der DRK-Schwestern prüfen. (Quelle: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/71500/EuGH-Leiharbeitsregeln-koennen-auch-fuer-Rot-Kreuz-Schwestern-gelten).

Welche Folgen schließen sich an?

Die möglichen Folgen einer Einordnung der DRK-Schwestern als Arbeitnehmerinnen im Sinne der Leiharbeitsrichtlinie geht weit über die Einzelfallentscheidung, ob ein Zustimmungsrecht des Betriebsrats bei Einstellungen gilt, hinaus.

Wenn das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des europäischen Gerichtshofs umsetzt-was es eigentlich muss-, dann wären zukünftig Kreuzschwestern als Leiharbeitnehmer mit allen daraus resultierenden rechtlichen Folgen einzuordnen.

Betroffene Rotkreuzschwestern könnten dann einen Anspruch auf Aufnahme im Entleiherbetrieb – etwa Krankenhaus – haben. Denn: § 10 Abs. 1 AÜG fingiert im Falle des Fehlens einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung ein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher – hier etwa der Rotkreuz-Schwester und der Klinik.

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