Schadenersatz im VW Abgasskandal – BGH VIa ZR 335/21

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Autohersteller haften im Abgasskandal schon, wenn sie die unzulässige Abschalteinrichtung nur fahrlässig verwendet haben. Das hat der Bundesgerichtshof mit Urteilen vom 26. Juni 2023 entschieden und damit die Hürden für Schadenersatzansprüche erheblich gesenkt (Az.: VIa ZR 335/21 / VIa ZR 533/21 / VIa ZR 1031/22). Es sind aber nach wie vor Schadenersatzansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB möglich. Das wurde auch in dem Verfahren zum Aktenzeichen VIa ZR 335/21 deutlich. Hier ging es um einen VW Passat mit dem Motor des Typs EA 288, dem Nachfolgemodell des durch den Dieselskandal bekannt gewordenen Motor des Typs EA 189.

Der Schadenersatz wegen Fahrlässigkeit lässt sich einfacher durchsetzen, weil Autoherstellern wie VW kein Vorsatz mehr nachgewiesen werden muss. Allerdings berechnet sich der Schadenersatzanspruch bei Fahrlässigkeit anders. Kann dem Autohersteller eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nachgewiesen werden, hat der Autokäufer Anspruch auf den großen Schadenersatz, d.h. der Kaufvertrag kann komplett rückabgewickelt werden. Gegen Rückgabe des Fahrzeugs hat der Kläger Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung für  die gefahrenen Kilometer. Bei Fahrlässigkeit besteht Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens. Dieser beträgt zwischen 5 und 15 Prozent des Kaufpreises. Das Auto kann der Kläger behalten. Nutzungsvorteile, wie die gefahrenen Kilometer, werden erst dann angerechnet, wenn sie zusammen mit dem Restwert den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen.


Fahrkurvenerkennung und Thermofenster


In dem Verfahren vor dem BGH ging es um Schadenersatzansprüche bei einem VW Passat mit einem Motor des Typs EA 288 und der Abgasnorm Euro 6. Der Kläger hatte das Fahrzeug im November 2017 gekauft. Neben einem Thermofenster ist in dem Modell auch die sog. Fahrkurvenerkennung verbaut. Der Kläger machte Schadenersatzansprüche wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung geltend. VW verwies darauf, dass das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) den Motor untersucht und die EG-Typengenehmigung erteilt hat. Einen Rückruf des KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung gibt es nicht.


Zulassung durch KBA steht Schadenersatzansprüchen nicht im Weg


Das OLG Oldenburg hatte die Klage abgewiesen, der BGH kippte dieses Urteil jedoch und verwies den Fall zur erneuten Entscheidung an der OLG zurück. Dabei stellten die Karlsruher Richter zunächst klar, dass die Tatbestandswirkung der vom KBA erteilten Typengenehmigung Schadenersatzansprüchen wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nicht im Wege steht. Mit der Typengenehmigung werde lediglich bescheinigt, dass das Fahrzeug den vom Hersteller gemachten Angaben entspricht. Der Hersteller könne Abschalteinrichtungen jedoch auch ganz oder teilweise verschwiegen haben. „Das Vorliegen einer Typengenehmigung sei daher nicht entscheidend für die Frage, ob der Käufer geschädigt wurde. VW kann sich bei Schadenersatzklagen daher nicht darauf zurückziehen, dass das KBA die Typengenehmigung erteilt hat. Schadenersatzansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung können trotzdem bestehen, wie der BGH klarmachte“, so Rechtanwalt Gisevius.


Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens


Weiter machten die Karlsruher Richter deutlich, dass bei Fahrlässigkeit des Autoherstellers gemäß § 823 BGB Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens besteht. Denn dem Käufer sei mit dem Erwerb eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung immer auch ein Schaden entstanden, machte der BGH deutlich. Ein Käufer dürfe davon ausgehen, dass ein Fahrzeug den gesetzlichen Vorgaben entspricht und uneingeschränkt genutzt werden kann. Das sei jedoch nicht der Fall, wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt. Ein Schaden sei auch dann eingetreten, wenn es noch nicht zu einem Rückruf durch das KBA oder anderen Nutzungsbeschränkungen gekommen ist, stellte die Karlsruher Richter klar.

Bei Fahrlässigkeit hat der Kläger nach dem Urteil des BGH allerdings nicht Anspruch auf die Rückabwicklung des Kaufvertrags, sondern Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens.


Schadenersatz wegen Fahrlässigkeit


Im vorliegenden Fall sei davon auszugehen, dass Schadenersatzansprüche wegen Fahrlässigkeit gemäß § 823 BGB gegen VW bestehen, so der BGH. Es könne unterstellt werden, dass VW eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung vorgelegt hat und das Fahrzeug mit einer unzutreffenden Abschalteinrichtung ausgerüstet ist. Die Feststellungen des OLG Oldenburg seien hier nicht ausreichend. Es habe keine weiteren Untersuchungen angestellt, ob es sich beim Thermofenster und der Fahrkurvenerkennung im VW Passat des Klägers, um unzulässige Abschalteinrichtungen handelt, so der BGH. Das müsse das OLG nun nachholen und feststellen, ob unzulässige Abschalteinrichtungen vorliegen und daher Schadenersatzansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung oder wegen Fahrlässigkeit bestehen, so die Karlsruher Richter, die den Fall zur Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

Der Kläger muss nachweisen, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt. Ist das der Fall, muss VW beweisen, weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt zu. Es muss ein unvermeidbarer Verbotsirrtum nachgewiesen werden.


Fahrlässigkeit bei Thermofenster


„Schadenersatzansprüche wegen Fahrlässigkeit bieten sich insbesondere bei unzulässigen Abschalteinrichtungen wie dem sog. Thermofenster bei der Abgasreinigung an, weil hier der Vorsatz nur schwer nachzuweisen ist. Bei anderen Abschalteinrichtungen kommen aber nach wie vor auch Schadenersatzansprüche wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung in Betracht“, sagt Rechtsanwalt Frederick M. Gisevius, BRÜLLMANN Rechtsanwälte. So auch bei Fahrzeugen des VW-Konzerns mit dem Dieselmotor des Typs EA 288.

Die Kanzlei BRÜLLMANN Rechtsanwälte ist Kooperationspartner der IG Dieselskandal und bietet Ihnen eine kostenlose Ersteinschätzung Ihrer Möglichkeiten an. Sprechen Sie uns an.


Mehr Informationen: https://bruellmann.de/abgasskandal





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