Schwerbehinderung: Versorgungsmedizinische Grundsätze (VMG) – zu Unrecht unbekannt und unterschätzt

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Wer „Schwerbehindertenrecht“ hört, denkt i. d. R. an das Sozialgesetzbuch (SGB) IX. Manchmal noch an das Schwerbehindertengesetz, das es seit gut 20 Jahren nicht mehr gibt. Daneben gibt es noch die Schwerbehindertenausweisverordnung. Aber alle diese Gesetze führen nicht zum Ziel. Wenig bekannt sind die Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG), die als Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) Kriterien enthalten, nach denen gesundheitliche Beeinträchtigungen bundesweit einheitlich beurteilt werden sollen.

Sie bestehen aus vier Teilen und enthalten u. a. eine Art „Tabelle“ medizinischer Befunde und gesundheitlicher Beeinträchtigungen, denen jeweils ein Grad der Behinderung (GdB) bzw. Grad der Schädigungsfolgen (GdS) zugewiesen ist (vgl. Teil B: GdS-Tabelle). Nach dieser Tabelle wird die Höhe des Grad der Behinderung bemessen und letztlich über die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises oder über die Höhe der Ansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz entschieden. Es handelt sich allerdings nur um einen Orientierungsrahmen; die Berechnung des GdB/GdS ist vom individuellen Einzelfall abhängig.

Wer „bestimmt“ über die VMG?

Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze werden auf Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin fortentwickelt. Beraten und festgelegt werden sie vom Sachverständigenbeirat (SVB). Der SVB besteht aus 17 Medizinern und ist beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales angesiedelt.

Was bewirkt die „Tabelle“?

Die „Tabelle“ oder „Liste“ legt für bestimmte Beeinträchtigungen / Krankheiten einen Orientierungsrahmen fest. Z. B. für beidseitige geringgradige Einschränkung der Hüftgelenke 20 – 30. Seltener auch präzise Einzelwerte, z. B. für hochmaligne Non – Hodgkin – Lymphome bis zum Ende der Intensiv – Therapie 100.

Die VMG werden häufig unterschätzt nach dem Motto „ist doch kein Gesetz, da hat mein Hausarzt / Orthopäde etc. noch nie von gehört“. Falsch! Die VMG sind unumstößlich, an ihnen kommen Sie nicht vorbei. Die Werte in der Tabelle sind „Gesetz“ und keiner, der im Schwerbehindertenrecht tätig ist, kann und wird es sich leisten, sie zu ignorieren. Warum ist das so?

Was bedeuten die VMG ganz konkret im Streitfall?

Die VMG sind zunächst einmal abstrakt und geben Erfahrungswerte wieder. Sie beruhen auf Beispielsfällen und sind damit das „Werkzeug“ für jeden Mediziner, der im Schwerbehindertenrecht begutachtet.

D. h. konkret: Eine Behörde oder ein Richter verfügt über juristischen Sachverstand. Das medizinische Fachwissen wird dazu „gekauft“. Im Idealfall werden Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und dem medizinischen Dienst vorgelegt. Der medizinische Dienst kann eine Abteilung im Amt sein oder ein externer Arzt. Anhand der VMG bildet er nun den Grad der Behinderung. Dazu ordnet er die Erkrankungen nicht nur in die Tabelle ein, sondern die VMG enthalten auch sog. „Gemeinsame Grundsätze“. „Spielregeln“, nach denen ein Grad der Behinderung gebildet wird (z. B. keine Addition von Einzelwerten, die Beurteilung von verschiedenen Beeinträchtigungen (sind sie unabhängig voneinander? Überschneiden sie sich?).

Das alles mündet dann in einem Bescheid. Schlimmstenfalls endet alles vor Gericht und das Vorgehen wiederholt sich. Es ist Sache des Klägers/der Klägerin, vorzutragen, warum er/sie mit der Entscheidung der Behörde nicht einverstanden ist. Auch wenn von Amts wegen ermittelt wird, muß so konkret wie möglich dargelegt werden, „wo der Schuh drückt“. Im Fall einer Beweiserhebung wird dann ein sozialmedizinischer Gutachter hinzugezogen und der verwendet für seine Begutachtung auch wieder die VMG.

Wenn in den VMG eine Hypertonie als mittelschwer mit einem GdB von 20 – 40 bewertet wird, dann muß der Gutachter diese Beeinträchtigung ganz konkret einordnen. Da kann der Kläger/die Klägerin noch so oft betonen, seine Hypertonie wäre aber viel schlimmer – die VMG haben immer recht.

Anlaß, sich mit dem unbekannten Herzstück des Schwerbehindertenrechts einmal zu befassen und es nicht zu ignorieren. Was wie ein Buch mit sieben Siegeln wirkt, kann auch ein Hilfsmittel sein. Sie wissen nicht, wie? Sprechen Sie mich doch einfach an.


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