Veröffentlicht von:

Sittenwidrigkeit einer Schenkung

  • 2 Minuten Lesezeit

Die Rolle der Sittenwidrigkeit und der Zwangslage in Schenkungsverträgen

Einleitung

Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 15. November 2022 (Aktenzeichen X ZR 40/20) bietet eine interessante Gelegenheit, die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit in Schenkungsverträgen zu untersuchen. Der Fall wirft insbesondere Fragen zur Rolle der subjektiven und objektiven Zwangslage des Schenkers und der Verantwortung des Zuwendungsempfängers auf. Ein besonderer Fokus liegt auf den vom Kläger vorgetragenen Gesichtspunkten, die das Berufungsgericht nicht vollständig berücksichtigt hatte.

Die Zwangslage des Klägers und die Rolle der Enkel

Der Kläger, ein 97-jähriger Mann, schenkte seinen beiden Enkeln Wertpapiere im Wert von jeweils 219.000 Euro durch einen notariell beurkundeten Vertrag. Später erklärte der Kläger die Anfechtung des Schenkungsvertrags. Er brachte vor, dass er sich in einer Zwangslage befunden habe und dass die Enkel diese Situation ausgenutzt hätten. Besonders relevant ist der Vortrag des Klägers, dass der Vater der Beklagten ihn am Abend vor der Beurkundung des Schenkungsvertrags "bearbeitet" habe und dass er am nächsten Morgen in Begleitung der Beklagten zum Notar gefahren sei, wo ihm erstmals der Inhalt der Verträge mitgeteilt worden sei.

Entscheidung des BGH

Der BGH hob den Beschluss des Oberlandesgerichts auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück. Der BGH stellte fest, dass der Schenkungsvertrag nicht aufgrund der Anfechtung nichtig sei. Allerdings könne die Möglichkeit einer Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit nicht ausgeschlossen werden.

Nach § 138 Abs. 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Der BGH betonte, dass die Sittenwidrigkeit nicht nur aus den Motiven des Zuwendenden, sondern auch und sogar in erster Linie aus den Motiven des Zuwendungsempfängers resultieren kann.

Der BGH legte besonderen Wert auf die mögliche Zwangslage des Klägers. In der Rechtsprechung wird unterschieden zwischen objektiver und subjektiver Zwangslage. Eine objektive Zwangslage liegt vor, wenn äußere Umstände, wie Alter oder Gesundheitszustand, den Betroffenen in eine benachteiligte Position bringen. Eine subjektive Zwangslage hingegen bezieht sich auf die persönliche Wahrnehmung des Betroffenen, die ihn zu einer Entscheidung drängt, die er unter normalen Umständen nicht getroffen hätte.

Im vorliegenden Fall könnte die Kombination aus objektiver und subjektiver Zwangslage eine Rolle spielen. Der Kläger könnte sich aufgrund seines Alters und Gesundheitszustands in einer objektiven Zwangslage befunden haben, während gleichzeitig die Enkel diese Situation möglicherweise ausnutzten, was eine subjektive Zwangslage erzeugen könnte.

Das Berufungsgericht hatte nicht alle vom Kläger vorgetragenen Gesichtspunkte berücksichtigt, die für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit relevant sein könnten. Der BGH bemängelte dies und verwies die Sache zurück an das Berufungsgericht für eine vollständige Überprüfung.

Fazit

Das Urteil des BGH vom 15. November 2022 bietet eine tiefgehende Analyse der Sittenwidrigkeit in Schenkungsverträgen und erweitert das Verständnis der Verantwortung des Zuwendungsempfängers. Es bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung in diesem Bereich weiterentwickelt wird, insbesondere im Hinblick auf die Rolle der subjektiven und objektiven Zwangslage des Schenkers.



Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Olaf Graf

Beiträge zum Thema

Ihre Spezialisten