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Sorgerecht: Mehr Rechte für ledige Väter!

  • 6 Minuten Lesezeit
Esther Wellhöfer anwalt.de-Redaktion

In den letzten Jahrzehnten machten Väter unehelicher Kinder immer wieder darauf aufmerksam, dass sie im Vergleich zu den Müttern diskriminiert werden. Mit einer aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes erhalten ledige Väter jetzt mehr Rechte beim Sorgerecht. Doch das ist nur ein Teil der Tragweite des Beschlusses. In erster Linie werden damit die Grundrechte unehelicher Kinder gestärkt. Denn ihr Wohl steht bei Sorgerechtsfragen jetzt stets an erster Stelle. Unter Hinweis auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (Urteil v. 03.12.2009, EGMR, Nr. 22028/04) befanden die Karlsruher Richter die für das Sorgerecht maßgeblichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 1626a, 1672 BGB) als grundgesetzwidrig, weil sie die Grundrechte unehelicher Kinder und ihrer Väter nicht ausreichend berücksichtigen.

[image]Sorgerecht nur mit Zustimmung der Mutter

Nach § 1626a BGB ist die Ausübung des gemeinsamen Sorgerechts für unverheiratete Eltern nur möglich, wenn beide Elternteile eine entsprechende Sorgeerklärung abgegeben haben. Andernfalls liegt das alleinige Sorgerecht für das nichteheliche Kind bei der Mutter. Leben die Eltern dauerhaft getrennt, kann gemäß § 1672 BGB das Sorgerecht auf den Vater grundsätzlich nur mit Zustimmung der Mutter übertragen werden. Verweigert sie ihre Zustimmung, kann der nichteheliche Vater das Sorgerecht nur noch erhalten, wenn der Mutter wegen Gefährdung des Kindeswohls das Sorgerecht entzogen wird, ihre elterliche Sorge dauerhaft ruht oder wenn sie stirbt.

Verstoß gegen das Elternrecht des Vaters

Diese zulasten des Vaters gehende Gesetzeslage greift nach Ansicht des Ersten Senats in das Elternrecht des ledigen Vaters aus Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz in einer nicht zu rechtfertigenden Weise ein, weil es ihn generell vom Sorgerecht ausschließt, wenn die Mutter ihre Zustimmung verweigert. Darüber hinaus haben ledige Väter in diesen Fällen keine Möglichkeit, die Rechtslage gerichtlich überprüfen zu lassen, wenn eine Sorgerechtsübertragung dem Kindeswohl am ehesten entspricht. Dieser Ausschluss ist laut den Verfassungsrichtern in Hinblick auf das Elterngrundrecht unverhältnismäßig. Es muss dem Vater zumindest möglich sein, das Familiengericht überprüfen zu lassen, ob das Kindeswohl im jeweiligen Einzelfall eine Übertragung auf den Vater rechtfertigt.

Empirische Ergebnisse widerlegen Gesetzgeber

Bei der Neuregelung des Kindschaftsrechts 1998 hat der Gesetzgeber unverheirateten Eltern erstmals mit § 1626a BGB ermöglicht, ihr Sorgerecht gemeinsam auszuüben, wenn beide dem zustimmen. Dabei ging die Legislative von falschen Annahmen aus. Das ergeben empirische Erhebungen, auf die sich auch das Bundesverfassungsgericht stützt. Denn der Gesetzgeber ging davon aus, dass die gemeinsame Sorge von den ledigen Eltern in der Regel angenommen wird, die Mutter uneigennützig entscheidet und ihre Zustimmung nur verweigert, wenn dies das Kindeswohl erfordert. Dagegen belegen empirische Ergebnisse, dass lediglich in etwa die Hälfte der unverheirateten Paare das Sorgerecht gemeinsam ausüben. Weiter deuten auch Umfragen von Experten darauf hin, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Mütter die Zustimmung zum gemeinsamen Sorgerecht nur verweigert, weil sie ihr Sorgerecht nicht mit dem Vater des Kindes teilen will.

Elternrecht der Mutter weiterhin zu beachten

Auch das Elternrecht der Mutter wurde von den Verfassungshütern berücksichtigt, denn sie sind sich im Klaren, dass die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater ebenfalls einen schwerwiegenden Eingriff in ihr Elternrecht bedeutet. Bislang konnte ihr das Sorgerecht nur gänzlich entzogen werden, wenn sie das Kindeswohl gefährdet und bei der Erziehung versagt hatte. Jetzt kann ihr jedoch das Sorgerecht allein entzogen werden, weil der Vater seinerseits sein Recht geltend macht, für das uneheliche Kind zu sorgen. Hinzu kommt, dass ein Wechsel des Sorgerechts meist gleichzeitig auch den Umzug des Kindes in den Haushalt des anderen Elternteils bedeutet. In diesem Zusammenhang muss das Interesse des Kindes an kontinuierlichen und stabilen Lebensverhältnissen beachtet werden.

Umzug als Klassiker für Sorgerechtsstreitigkeiten

Der zugrundeliegende Fall spielt sich vermutlich tausendfach in Deutschland ab. Die Verfassungsbeschwerde hatte ein lediger Vater eingereicht, der die Vaterschaft anerkannt hatte. Die Eltern trennten sich noch in der Schwangerschaft. Der Sohn lebte zwar bei seiner Mutter, hatte aber mit dem Vater regelmäßigen Umgang. Als die Mutter mit dem Kind wegziehen wollte und eine Änderung des Sorgerechts ablehnte, beantragte der Vater gemäß den Vorschriften des BGB die teilweise Entziehung des Sorgerechts der Mutter und gleichzeitig die Übertragung des Aufenthaltsbestimmmungsrechts auf ihn. Hilfsweise stellte er den Antrag, ihm das alleinige Sorgerecht zu übertragen bzw. die Zustimmung der Mutter zu einem gemeinsamen Sorgerecht zu ersetzen.

Neue Regelung des Familienrechts

Nachdem das Familiengericht und das Oberlandesgericht seine Klage und eingelegten Rechtsmittel abgewiesen hatten, war der Vater nun endlich beim obersten deutschen Gericht erfolgreich. Der Erste Senat hob die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und wies die Rechtssache zur erneuten Entscheidung an das Familiengericht zurück, das nun konkret anhand des Einzelfalls prüfen muss, ob eine Übertragung des Sorgerechts auf den Vater nicht doch eventuell dem Wohl des Kindes am ehesten entspricht. Bis der Gesetzgeber eine verfassungskonforme Neuregelung zum Sorgerecht getroffen hat, hat das Bundesverfassungsgericht den Familiengerichten Vorgaben aufgegeben, die sie bei einem Sorgerechtsstreit bei der Entscheidungsfindung einzubeziehen haben.

Bessere Rechte für unverheiratete Väter

Das Bundesjustizministerium ist bereits seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte mit einer Neuregelung der familienrechtlichen Vorschriften zugunsten unverheirateter Väter befasst. Ziel der Sorgerechtsreform ist es laut der Bundesjustizministerin, unehelichen Vätern nicht nur die Möglichkeit zu eröffnen, gerichtliche Schritte einzuleiten. Nach ihrem Willen sollen sie - möglichst ohne zunächst eine Gerichtsentscheidung herbeiführen zu müssen - auf unbürokratischem Wege ihr Elternrecht ausüben können. Jedoch ist das Justizministerium derzeit noch bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfes und sammelt Vorschläge der Parlamentarier zur Verbesserung des Sorgerechts für ledige Väter. Angedacht ist beispielsweise bei unverheirateten Paaren von einem gemeinsamen Sorgerecht auszugehen, sofern die Mutter dem nicht widerspricht.

Vorläufige Vorgaben an die Familiengerichte

Mit vorläufiger Anordnung des Bundesverfassungsgerichts gilt bei Sorgerechtprozessen: Liegt ein Antrag eines Elternteils auf Übertragung des Sorgerechts vor, hat das Familiengericht nun das Sorgerecht ganz oder teilweise auf beide Elternteile zu übertragen, wenn zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am ehesten entspricht. Einem Vater ist das Sorgerecht ganz oder teilweise zu übertragen, wenn ein gemeinsames Sorgerecht nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl am ehesten entspricht. Damit verschiebt sich quasi die Prüfungsgrenze der Familienrichter. Sie können ab sofort also nicht mehr nur in Extremfällen (Vernachlässigung, Freigabe zur Adoption durch die Mutter etc.) dem Vater das Sorgerecht übertragen.

Kindeswohl steht stets an erster Stelle

Diese Entscheidung aus Karlsruhe berücksichtigt vor allem das Grundrecht des Kindes aus Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz und Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz. An den Rechten des Kindes richten sich die Elternrechte aus. Der Beschluss trägt wesentlich dazu bei, dass unehelichen Kindern bei Sorgerechtsstreitigkeiten endlich derselbe Status wie ehelichen Kindern eingeräumt wird. Denn letzten Endes benachteiligten die geltenden Gesetze die Kinder, weil ihr Wohl bei der Sorgerechtsentscheidung nicht in demselben Umfang berücksichtigt wurde. Nicht erst eine Gefährdung des Kindes durch die Mutter oder ähnliche Extremsituationen können die Übertragung der elterlichen Sorge auf den unehelichen Vater rechtfertigen. Es gibt in Wirklichkeit viele mögliche Situationen, in denen dies der Fall sein kann, allein weil es die beste Lösung für das Kind ist.

Neue Gewichtung bei Sorgerechtsprozessen

Die Rechte von Vätern und Müttern unehelicher Kinder werden also aneinander angenähert, wobei noch abzuwarten bleibt, wie die Familienrichter die jeweilige familiäre Konstellation berücksichtigen werden. Fest steht: Sie können ab sofort die Anträge des ledigen Vaters auf Sorgerechtsübertragung nicht mehr durch den bloßen Hinweis auf die (verfassungswidrigen) gesetzlichen Vorschriften abweisen. Außerdem werden sie in der von ihnen zu treffenden Einzelfallentscheidung gemäß dem Kindeswohl das Recht des Vaters stärker als bisher zu gewichten haben. Von der Entscheidung des Ersten Senats profitiert in erster Linie das uneheliche Kind. Weder Väter noch Mütter sind hier Verlierer. Schließlich sollte bei beiden stets ihr Kind im Vordergrund stehen.

(Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 21.07.2010, Az.: 1 BvR 420/09)

(WEL)

Foto(s): ©iStockphoto.com

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