Stolperstein Massenentlassungsanzeige?

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Im Rahmen von Restrukturierungen und (größeren) Personalabbauten ist regelmäßig die Erstattung einer Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit erforderlich.

Auf Arbeitgeberseite sorgt die Verpflichtung zur Anzeige auf Grund der zahlreichen formellen und materiellen Voraussetzungen regelmäßig zu erheblichem Klärungsbedarf, da eine unrichtige oder verspätete Anzeige auf die individualrechtliche Ebene durchschlägt und die Wirksamkeit aller ausgesprochenen Kündigungen gefährdet.

Mit der „Junk“-Entscheidung hat der EuGH Urt. v. 27.01.2005 bereits vor geraumer Zeit klargestellt, dass eine Kündigung nur erfolgen darf, wenn die Massenentlassungsanzeige bereits bei der Agentur für Arbeit eingegangen ist. Wird die Kündigung vor Eingang der Massenentlassungsanzeige erklärt, ist sie unwirksam.

Unklar war aber bis zum Juni 2016, ob der Arbeitgeber die Kündigung schon vorbereiten darf. Diesen Problemkreis hat das BAG nunmehr mit Urteil vom 13.06.2019 (6 AZR 459/18) entschieden und zumindest einen Stolperstein im Rahmen einer Massenentlassungsanzeige beseitigt.

Dem lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Kündigungen im Insolvenzverfahren

Über das Vermögen der Arbeitgeberin wurde zum 1.6.2017 das Insolvenzverfahren eröffnet. Eine Massenentlassungsanzeige des Insolvenzverwalters ging am 26.6.2017 zusammen mit einem beigefügten Interessenausgleich bei der Agentur für Arbeit ein. Mit Schreiben von diesem Tag kündigte der Insolvenzverwalter den 45 zu diesem Zeitpunkt noch beschäftigten Arbeitnehmer ordentlich betriebsbedingt zum 30.9.2017.

Streit um Massenentlassungsanzeige

Einer der betroffenen Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage. Das Kündigungsschreiben ging ihm am 27.6.2017 zu. Vor Gericht machte er geltend, der Insolvenzverwalter hätte die Kündigungsschreiben erst unterschreiben dürften, nachdem die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen sei.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg ist dem gefolgt und hat die Kündigung in der Berufung für rechtswidrig erklärt. Die Anzeige müsse die Agentur für Arbeit erreichen, bevor der Arbeitgeber die Kündigungsentscheidung treffe. Diese Entscheidung manifestiere sich im Unterzeichnen des Kündigungsschreibens (LAG Baden-Württemberg, 21.8.2018 – 12 Sa 17/18).

BAG: Arbeitgeber darf schon zur Kündigung entschlossen sein

Dieses Urteil hob das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun wieder auf. Die nach § 17 Abs. 1 KSchG vorgeschriebene Massenentlassungsanzeige könne auch dann wirksam erstattet werden, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt ihres Eingangs bei der Agentur für Arbeit bereits zur Kündigung entschlossen ist.

Kündigungen im Massenverfahren seien daher – bei Erfüllen der anderen Kündigungsvoraussetzungen – wirksam, wenn die Anzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingeht, bevor dem Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben zugegangen ist.

Die Kündigung dürfe allerdings erst dann erfolgen, d. h. dem Arbeitnehmer zugehen (§ 130 Abs. 1 BGB), wenn die Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit eingegangen ist. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 und Art. 4 der Richtlinie 98/59/EG (Massenentlassungsrichtlinie).

Hinweis für die Praxis

Nach wie vor sollte der Arbeitgeber im Zusammenhang mit einer geplanten Massenentlassung große Sorgfalt walten lassen, die strengen gesetzlichen Vorgaben beachtet und vor allem die Massenentlassung rechtzeitig und vollständig bei der zuständigen Agentur für Arbeit anzeigen. Hierzu bedarf es in der Regel der Unterstützung durch einen versierten Fachanwalt für Arbeitsrecht.

In einigen Punkten bringt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aber durchaus Klarheit:

Der Arbeitgeber darf die betriebsbedingten Kündigungen letztlich bereits vor Einreichung der Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit vorbereiten und auch unterzeichnen. Gerade bei Ausspruch einer Vielzahl von Kündigung oder in Fällen, in denen die Kündigung durch eine Person im Ausland unterzeichnet werden muss, ist diese Feststellung durchaus hilfreich.

Mit der Zustellung der Kündigungsschreiben sollte allerdings zugewartet werden, bis die Eingangsbestätigung der zuständigen Agentur für Arbeit vorliegt. Die Kündigung darf den betroffenen Arbeitnehmern zwingend erst nach Eingang der Massenentlassungsanzeige zugehen.

Es ist nach wie vor wichtig, dass der Arbeitgeber diese zeitliche Reihenfolge einhält, um nicht die Wirksamkeit der erklärten betriebsbedingten Kündigungen zu gefährden.

Rechtsanwalt Dietmar Schnitzmeier ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und seit mehr als 25 Jahren auf dem Gebiet des Kündigungsschutzrechts spezialisiert. Er ist sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer tätig. Gerne stehe ich für eine Beratung zur Verfügung

Rechtsanwalt Dietmar Schnitzmeier

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht


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