Strafbefehlsverfahren: Einspruch gegen Strafbefehl ratsam?

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Das Strafbefehlsverfahren ist ein vereinfachtes Gerichtsverfahren ohne mündliche Verhandlung. Anstelle des Urteils erlässt das zuständige Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen schriftlichen Strafbefehl. Der Strafbefehl steht in seinen Wirkungen einem Urteil gleich, wenn nicht innerhalb von zwei Wochen Einspruch eingelegt wird. Das bedeutet, dass die Strafe vollstreckbar ist und gegebenenfalls im Bundeszentralregister eingetragen und auch in einem etwaigen polizeilichen Führungszeugnis wiedergegeben wird.

In welchen Fällen kommt ein Strafbefehl nur in Betracht?

Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung bedeutet eine massive Verkürzung der Beschuldigtenrechte und des grundgesetzlich geschützten Anspruchs auf rechtliches Gehör. Der Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens ist daher von vornherein begrenzt auf solche Tatvorwürfe, die der leichten bzw. sogenannten Massenkriminalität zuzuordnen sind. Schwerwiegende Vorwürfe können im Strafbefehlsverfahren nicht abgeurteilt werden. Ein Strafbefehl darf nur ergehen, wenn

  • es sich bei dem Tatvorwurf lediglich um ein Vergehen* handelt und

  • nur eine Geldstrafe festgesetzt wird (wenn der Beschuldigte einen Verteidiger hat, kann theoretisch auch eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr festgesetzt werden, wenn diese zur Bewährung ausgesetzt wird, was jedoch in der Praxis aber eine stark untergeordnete Rolle spielt).


*Im deutschen Strafrecht werden Vergehen von Verbrechen anhand des Strafrahmens abgegrenzt. Vergehen sind Straftatbestände, bei denen der vom Gesetzgeber vorgegebene Strafrahmen eine mildere Bestrafung zulässt als ein Jahr Freiheitsstrafe. Verbrechen hingegen sind Straftatbestände, bei deren Verletzung das Gericht zwingend eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zu verhängen hat.

Wann ist ein Einspruch gegen einen Strafbefehl ratsam?

Ob ein Einspruch ratsam ist, kann nicht pauschal beantwortet werden und hängt immer von den spezifischen Umständen des Einzelfalls ab. Es lohnt sich jedoch nahezu immer, die Chancen und Risiken von einem Anwalt überprüfen zu lassen. Denn das Strafbefehlsverfahren ist als „Schnellverfahren“ von Natur aus anfällig für Fehler und unbillige Härten.

Hinsichtlich der Frage, wann ein Einspruch ratsam ist, kann allgemein zwischen zwei Situationen unterschieden werden:

  1. Einspruchsziel = Freispruch
    Ein Freispruch ist wahrscheinlicher als eine Verurteilung, entweder weil der Beschuldigte unschuldig ist oder die Schuld in der Hauptverhandlung voraussichtlich nicht bewiesen werden kann.
  2. Einspruchsziel = Reduzierung der Strafe
    Selbst wenn der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Straftat begangen hat und auch keine ernsthaften Zweifel daran bestehen, dass die Schuld in einer Hauptverhandlung bewiesen werden kann, kann ein Einspruch dennoch sinnvoll sein, um eine Reduzierung der Strafe zu erreichen. 
    Die Festlegung der konkreten Strafhöhe erfolgt im Strafbefehlsverfahren (notwendigerweise) stark schematisch anhand von allgemeinen Leitlinien. Eine echte Strafzumessung, die alle “Umstände, die für und gegen den Täter sprechen” (§ 46 StGB) berücksichtigt, findet – das liegt in der Natur der Sache – nicht bzw. nur in einem sehr begrenzten Umfang statt. Eine Reduzierung der Strafe wird vor allem dann gelingen, wenn der Beschuldigte erhebliche strafmildernde Umstände für sich geltend machen kann, die bei Erlass des Strafbefehls keine (ausreichende) Berücksichtigung gefunden haben – sei es, weil sie sich nicht aus der Akte ergeben haben, sei es, weil sie schlicht übersehen wurden.

Kann es passieren, dass ich nach einem Einspruch zu einer Strafe verurteilt werde, die höher ist als die ursprünglich im Strafbefehl festgesetzte Strafe?

Bei alledem ist wichtig zu beachten, dass ein Einspruch auch Risiken birgt. Wenn das Gericht nach der mündlichen Verhandlung die Schuld als erwiesen ansieht, besteht die Gefahr, dass eine höhere Strafe als im ursprünglichen Strafbefehl verhängt wird. Ein Verschlechterungsverbot gibt es nicht.

Bei Geldstrafen, um die es bei Strafbefehlen in der Praxis ganz überwiegend geht, ist zu unterscheiden zwischen der Tagessatzanzahl und der Tagessatzhöhe. Beide Faktoren können sich nach einem Einspruch “verbösern”. 

Die Tagessatzhöhe richtet sich nach den individuellen Einkommensverhältnissen des Beschuldigten. Die Höhe des Tagessatzes soll das dem Beschuldigten potenziell zur Verfügung stehenden tägliche Nettoeinkommen abbilden. Die Höhe des Tagessatzes lässt sich dementsprechend einfach errechnen: das monatliche Nettoeinkommen wird durch dreißig geteilt. Bei einem Nettoeinkommen von 3.000 € beträgt der Tagessatz also 100 €, bei 1.500 € also 30 € usw.

Wenn Sie während des Ermittlungsverfahrens keine Angaben zu Ihren Einkommensverhältnissen gemacht haben, wurde Ihr Einkommen im Strafbefehl aufgrund bestimmter Anhaltspunkte wie Beruf oder Wohnsituation geschätzt. Falls diese Schätzung zu Ihren Gunsten zu niedrig ausgefallen ist, besteht das Risiko, dass das Gericht nach der Hauptverhandlung ein höheres Einkommen schätzt. Infolgedessen kann sich Ihr Tagessatz im Falle einer Verurteilung erhöhen.

Die Tagessatzanzahl bildet dagegen die „Schwere der Schuld“ ab. Hinsichtlich der Tagessatzanzahl ist zu bedenken, dass der Strafbefehl häufig (aber nicht immer) einen „Angebotscharakter“ hat. Damit ist gemeint, dass die festgesetzte Tagessatzanzahl tendenziell eher milde bemessen ist. Damit soll für den Strafbefehlsempfänger ein Anreiz geschaffen werden, die Sache auf sich beruhen zu lassen und kein aufwändiges Hauptverfahren mit mündlicher Hauptverhandlung anzustrengen. Auch insofern besteht also das Risiko, dass das Gericht – wenn sich der Vorwurf in der Hauptverhandlung bestätigt – eine höhere Tagessatzanzahl verhängt als zuvor im Strafbefehl. 

Ein Einspruch, der sich im Wesentlichen gegen die verhängte Tagesssatzanzahl richtet, ist daher in der Regel nur dann ratsam, wenn erhebliche strafmildernde Umstände vorgebracht werden können, die bisher unberücksichtigt geblieben sind.

Wie lange habe ich für den Einspruch Zeit? 

Die Einspruchsfrist beträgt zwei Wochen. Die Frist muss unbedingt eingehalten werden. Wird der Einspruch nicht rechtzeitig eingelegt, wird der Strafbefehl rechtskräftig und unanfechtbar. 

Die Einspruchsfrist beginnt mit der Zustellung des Strafbefehls. Maßgeblich ist insofern einzig und allein das auf dem gelben Umschlag vermerkte Zustellungsdatum. Unerheblich ist, wann der Strafbefehlsempfänger tatsächlich Kenntnis von dem Strafbefehl erlangt hat.

Was passiert nach einem Einspruch?

Wird gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt, geht das Strafbefehlsverfahren in ein herkömmliches Strafverfahren über. Das Gericht bestimmt einen Termin zur Hauptverhandlung, zu der der Strafbefehlsempfänger, nunmehr als Angeklagter, erscheinen muss und vernommen wird, die Staatsanwaltschaft anwesend ist, Zeugen gehört werden etc.pp.

Kann ich einen bereits eingelegten Einspruch auch noch zurücknehmen?

Bis zu Beginn der Hauptverhandlung kann der Einspruch ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts zurückgenommen werden. 

Dies bietet vor allem folgenden Vorteil: Hatten Sie im Ermittlungsverfahren noch keinen Verteidiger, kann durch einen Einspruch das notwendige Zeitfenster für eine erstmalige anwaltliche Intervention geschaffen werden. In der Zeit zwischen Einspruchseinlegung und dem vom Gericht zu bestimmenden Hauptverhandlungstermin kann Ihr Verteidiger den Versuch unternehmen, eine Verständigung mit der Staatsanwaltschaft und dem Gericht zu erzielen. Nicht selten kann auch dann, wenn ein Strafbefehl bereits in der Welt ist, im Verhandlungswege doch noch eine Einstellung des Verfahrens erreicht und so eine Hauptverhandlung mit ungewissem Ausgang vermieden werden. 

Gelingt eine Verständigung nicht, kann Ihr Anwalt – nunmehr in Kenntnis der Ermittlungsakte (!) – für Sie abwägen, ob es in Ihrem Fall wirklich ratsam ist, in die Hauptverhandlung zu gehen (mit dem Risiko einer Verböserung der Strafe) oder der Strafbefehl besser akzeptiert und der Einspruch zurückgenommen werden sollte.


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