Tötung eines schwer geschädigten Zwillings nach der Geburt

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Der Schwangerschaftsabbruch 

Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird gem. § 218 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Hierunter fällt jede Einwirkung auf die Schwangere oder die sog. “Leibesfrucht”, die zum Absterben letzterer führt.

Als "Leibesfrucht” bezeichnet man den ungeborenen Menschen, beginnend mit dem Abschluss der Einnistung des befruchteten menschlichen Eies in der Gebärmutter. Indessen kann ein Schwangerschaftsabbruch in bestimmten Situationen straffrei sein.

Die Straflosigkeit bei einem Schwangerschaftsabbruch

Danach ist der Tatbestand des § 218a Abs.1 StGB nicht verwirklicht, wenn die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 StGB nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen. Hierbei muss der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen werden und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sein.

Nebstdem ist ein Schwangerschaftsabbruch gem. § 218a Abs. 2 StGB nicht rechtswidrig, wenn rechtfertigende Indikationen vorliegen. Dies ist anzunehmen, wenn für die Schwangere Lebensgefahr oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes besteht und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann. Sofern dies nach ärztlicher Erkenntnis vorliegt, ist ein mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommener Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt nicht strafbar.

Die Abgrenzung zwischen den Tötungsdelikten und dem Schwangerschaftsabbruch 

Fraglich ist, wie dies im Rahmen eines Kaiserschnitts zu bewerten ist. Freilich kann es hier zu einer Problematik bei der Beurteilung kommen, ob noch von einem ungeborenen Menschen (Leibesfrucht) oder bereits von einem geborenen Menschen zu sprechen ist.

Sofern nämlich bereits von einem Menschen auszugehen ist - und damit gerade nicht mehr von einer Leibesfrucht i.S.d. § 218 StGB - ist dies als Ende der von § 218 StGB geschützten Schwangerschaft anzusehen und damit greift der Beginn des Schutzes durch §§ 211 ff. StGB.

Da die Tötungsdelikte mit höheren Strafrahmen geahndet werden (die Mindeststrafe liegt bei einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren für den Totschlag nach § 212 StGB) ist die Abgrenzung zwischen den Tötungsdelikten und dem Schwangerschaftsabbruch von hoher Signifikanz.

Insofern ist der Beginn der Geburt hier maßgeblich. Als Beginn der Geburt sieht der Bundesgerichtshof bei einem natürlichen Geburtsverlauf das Einsetzen der Eröffnungswehen an.

Wann ist jedoch von dem Beginn der Geburt bei einem Kaiserschnitt auszugehen?

Der Beginn der Geburt bei einem Kaiserschnitt

Der Bundesgerichtshof musste sich in seinem Beschluss vom 11. November 2020 (5 StR 256/20) mit genau dieser Frage befassen.

Im hiesigen Fall entwickelten sich bei einer Frau Komplikationen, während ihrer Schwangerschaft mit Zwillingen. In deren Folge erlitt ein Zwilling schwere Hirnschäden, so dass schwere Behinderungen (motorische Störungen, Lähmungen, Spastiken und deutliche kognitive Einschränkungen) zu erwarten gewesen wären.

Nach Beratung wurde die Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch bezüglich des geschädigten Zwillings nach § 218a Abs. 2 StGB gestellt. Dieser Eingriff (sog. selektiver Fetozid) ist allerdings mit Risiken für den anderen Zwilling verbunden.

Die Schwangere wandte sich schließlich an die Angeklagten – zwei fachlich versierte Geburtsmediziner – die im Rahmen eines Kaiserschnitts nach Öffnung der Gebärmutter und Geburt eines gesunden Zwillings den verbliebenen schwer geschädigten Zwilling durch Injektion von 20 ml Kaliumchloridlösung in die Nabelvene töteten.

Der Bundesgerichtshof bestätigte das Urteil des Landgerichts Berlin, das die beiden Angeklagten jeweils wegen Totschlags verurteilt hatte. In seinem Urteil führte der Bundesgerichtshof aus, dass der getötete Zwilling im Zeitpunkt der tödlichen Einwirkung bereits ein Mensch und nicht mehr eine lediglich von § 218 StGB geschützte Leibesfrucht sei.

Da bei einem Kaiserschnitt  bei der Eröffnung des Uterus – in vergleichbarer Weise wie beim Beginn einer natürlichen Geburt – ein Abbruch des begonnenen Geburtsvorgangs regelmäßig praktisch nicht mehr in Betracht kommt, liege der Beginn der Geburt beim Kaiserschnitt im ersten Schnitt des Operateurs zur Eröffnung der Bauchdecke.

Die Angeklagten haben sich daher durch die Durchführung des Kaiserschnitts zwecks Tötung des im geöffneten Uterus liegenden Zwillings wegen Totschlags strafbar gemacht.

Fazit

Im Rahmen der Abgrenzung zwischen den Tötungsdelikten und dem Schwangerschaftsabbruch ist der Beginn der Geburt maßgeblich. Im Falle eines Kaiserschnitts liegt der Beginn der Geburt im ersten Schnitt des Operateurs zur Eröffnung der Bauchdecke.

Hilfe durch Fachanwalt für Strafrecht

Dieser Beitrag wurde von Rechtsanwalt Dietrich erstellt. Rechtsanwalt Dietrich tritt bereits seit vielen Jahren deutschlandweit als Strafverteidiger auf. Wenn Ihnen vorgeworfen wird, sich wegen Totschlags strafbar gemacht zu haben, können Sie unter den angegebenen Kontaktdaten einen Besprechungstermin mit Rechtsanwalt Dietrich vereinbaren. Alternativ können Sie Rechtsanwalt Dietrich auch eine E-Mail schreiben.


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