Unerwartete Nachwirkungen eines Berliner Testaments

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Gemeinschaftliche Testamente von Eheleuten sind weit verbreitet. In aller Regel setzen sich die Eheleute zunächst gegenseitig als Alleinerben ein. Als Schlusserben zu gleichen Anteilen nach dem Ableben des letzten Ehepartners werden – ebenfalls in aller Regel – die gemeinsamen Kinder bestimmt. Dies ist der klassische Fall des „Berliner Testaments“.

So gut wie nie bedenken die Eheleute hierbei, dass die Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder als Schlusserben als so genannte „wechselbezügliche Verfügung“ mit dem ersten Erbfall, also nach dem Ableben des ersten Ehepartners, bindend wird, § 2270 Abs. 2 BGB.

Der Eintritt dieser Bindungswirkung geschieht automatisch und unbemerkt und birgt ganz erhebliches Konfliktpotenzial, das sich womöglich erst Jahrzehnte später zeigt.

Hierzu ein Fallbeispiel:

Die jungen Eheleute M und F setzten sich im Jahr 1985 in einem Berliner Testament gegenseitig zu Alleinerben und die beiden gemeinsamen Kinder K1 und K2 (damals 3 und 5 Jahre alt) zu Schlusserben ein. Weitere Regelungen enthielt das Testament nicht. Die Ehefrau F starb im gleichen Jahr bei einem Autounfall. Der Ehemann M erbte das Grundstück der F mit dem Wohnhaus der Familie. 1988 heiratete der M die N, die sich seither um die Kinder kümmerte. 1990 wurde das gemeinsame Kind von M und N, die kleine P, geboren. M errichtete 1995 ein Testament, in dem er verfügte, dass seine zweite Ehefrau N zunächst seine Alleinerbin und die drei Kinder K1, K2 und P Schlusserben nach deren Tod sein sollten. M war wichtig, dass die drei Kinder insbesondere die mittlerweile sehr werthaltige Immobilie am Ende zu gleichen Teilen erhalten würden.

2016 stirbt M. Das Kind K2 hatte sich aufgrund eines Zerwürfnisses im Jahr 2006 von der Familie abgewandt. K2 meint, das 1995 errichtete Testament des M sei unwirksam. K2 verlangt von N die Übertragung der Wohnimmobilie zu ½, so wie es M und die vorverstorbene F in dem ersten Testament bestimmt hatten. K2 will nach Erhalt Immobilieneigentums dessen Zwangsversteigerung betreiben.

K2 wird Recht bekommen und damit die Hälfte der Immobilie erhalten. Damit kann K2 ohne weiteres die Zwangsversteigerung einleiten. Denn mit dem Ableben der F im Jahr 1985 wurde das gemeinschaftliche Testament von F und M im Hinblick auf die Schlusserbeneinsetzung der beiden Kinder zu je ½ bindend. Durch sein späteres Testament konnte M keine abweichenden Regelungen mehr treffen, insbesondere keinen anderen Erben einsetzen oder die Erbquoten von K1 und K2 verringern. Das spätere Testament von M, durch das seine zweite langjährige Ehefrau und ja auch das Kind P ebenfalls als Erben bedacht werden sollten, ist unwirksam. Der letzte Wille des M bleibt unberücksichtigt.

In Anbetracht der langjährigen zweiten Ehe zwischen M und N mag sich dieses Ergebnis als unangemessen darstellen.

Klar ist jedoch: Derartige unvorhergesehene Situationen können nur dann rechtssicher und ohne weitere Maßnahmen vermieden werden, wenn in ein gemeinschaftliches Testament Abänderungs- oder Freistellungsklauseln zu Gunsten des länger lebenden Ehepartners aufgenommen werden. Hiermit verbunden ist immer die Abwägung der Ehepartner, ob und ggfs. in welchem Umfang sie sich nach dem Ableben des ersten Ehepartners etwa in einer dann gänzlich neuen Lebenssituation auch neue Entscheidungs- und Verfügungsfreiheit einräumen wollen. Wichtig ist, die Notwendigkeit einer entsprechenden testamentarischen Regelung zu kennen.

Fazit: Die Schlusserbeneinsetzung im Rahmen eines Berliner Testamentes beschränkt die Verfügungsmöglichkeiten des länger lebenden Ehegatten. Soll der länger lebende Ehegatte über den Nachlass frei verfügen und insbesondere auch ein neues Testament errichten können, müssen die Ehegatten dies in ihrem ursprünglichen Testament ausdrücklich bestimmen.

Ralph Butenberg, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erb- und Steuerrecht


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