Urlaubsanspruch bei Krankheit: Verjährungsfristen und Verfall von EuGH entschieden

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Luxemburg stärkt Position von Arbeitnehmern bei Urlaubsansprüchen

EuGH: Deutsche Rechtsprechungspraxis ist unionsrechtswidrig. Lesen Sie mehr, welche Auswirkungen das auf Sie hat! 


Grundsätzliches zu Verjährung und Verfall von Urlaubsansprüchen

Das Recht auf Urlaub ist im deutschen Arbeitsrecht fest verankert, jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf 24 Urlaubstage pro Jahr. Auch ist der Anspruch auf Erholungsurlaub nach europarechtlichen sozialen Standards unabdingbar. Nach deutschem Recht unterliegen sämtliche Ansprüche, das heißt das Recht von jemand anderem ein Tun oder Unterlassen zu fordern, der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren. Das ergibt sich aus § 195 BGB. Dass auch Urlaubsansprüche verjähren, ist also zunächst einmal weder ungewöhnlich noch ungerecht. Eine Verjährungsfrist soll sicherstellen, dass nach einer festgelegten Zeit Rechtsfrieden herrscht. Ansprüche bestehen dann zwar noch, sind aber nicht durchsetzbar. Dies folgt der Überlegung, dass ein jeder sich darauf verlassen können soll, dass nicht plötzlich Jahrzehnte alte Forderungen gegen einen geltend gemacht werden.

Was auf den ersten Blick ungünstig für den Anspruchsteller klingt, lässt sich bei näherer Betrachtung nachvollziehen: Je nach Einzelfall beginnt die Verjährungsfrist erst viel später zu laufen, sodass dem Anspruchsteller stets genügend Zeit zum Geltendmachen des Anspruches verbleibt. Auf diese Weise sollten die Interessen beider Parteien in Einklang gebracht werden.

Verfallende Urlaubstage können sich schneller anhäufen, als viele denken. Nicht selten kommt es in Betrieben vor, dass alle Arbeitskräfte gebraucht werden, wenn Hochkonjunktur herrscht. Wenn eigentlich anstehender Urlaub dann nicht genommen werden kann, wird dieser ins nächste Jahr übertragen. Der so aufgebaute und weiter verschleppte Urlaubsrückstand summiert und lässt sich ungleich schwerer wieder abbauen.


Einen Urlaubsanspruch hat auch, wer wegen Krankheit am Arbeiten gehindert war

Unter den Fällen, die der Gerichtshof in Luxemburg zu entscheiden hatte, waren solche, in denen die betreffenden Mitarbeiter vorübergehend arbeitsunfähig waren. Die fraglichen Arbeitnehmer machten dennoch einen Urlaubsanspruch für die Zeit geltend, in der sie überhaupt nicht arbeiten konnten. Dies ist grundsätzlich auch nach deutscher Rechtsprechung möglich und anerkannt. Fraglich war nur, wann der nicht in Anspruch genommene Urlaub verfällt, wenn der Arbeitnehmer das ganze Jahr lang krank war. Der bisherigen Rechtsprechungspraxis nach verfällt der Anspruch 15 Monate nach Beginn des Urlaubsjahres. Der EuGH ändert daran nichts Grundlegendes, stärkt Arbeitnehmern aber dennoch den Rücken: Nach wie vor verfällt der Anspruch nach 15 Monaten, allerdings nur unter der Bedingung, dass der Arbeitgeber zuvor ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass der Urlaubsanspruch besteht und er erlöschen wird, sofern der Arbeitnehmer ihn nicht in Anspruch nimmt. Wirklich neu ist demnach lediglich die ausdrückliche Informationspflicht des Arbeitgebers, den  eine Mitwirkungsobliegenheit trifft.


Arbeitgeber fürchten eine regelrechte Klagewelle gegen die Verjährung Urlaubsansprüchen

Auch wenn die neuerliche Entscheidung unter deutschen Arbeitsrechtlerinnen und -rechtlern bei Weitem nicht nur auf Gegenliebe stößt, gehen selbst Kritiker nicht von einer Klagewelle aus. Arbeitgeber können also beruhigt sein. Schließlich hat sich die Rechtslage nicht dramatisch geändert. Dennoch empfiehlt es sich, gewisse Formalitäten genau zu dokumentieren, denn nur so lassen sich im Falle eines Rechtsstreits die für einen günstigen Tatsachen auch beweisen. Priorität hat dabei die Hinweispflicht des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer dahin gehend, dass ein Urlaubsanspruch besteht und dass dieser gegebenenfalls verfallen kann. Wenn dies nicht beachtet wird, beginnt die Frist für die Verjährung nicht zu laufen. Um dem vorzubeugen, genügt bereits eine einfache und E-Mail, jedoch keine Rundmail an alle Beschäftigten. Vielmehr muss aus der E-Mail hervorgehen, wie viele Urlaubstage noch offen sind und zu verfallen drohen. Die Beschäftigten müssen ausdrücklich dazu aufgefordert werden, die noch offenen Urlaubstage in Anspruch zu nehmen und betrieblich muss auch die tatsächliche Möglichkeit bestehen, diesen Urlaub zu nehmen.

Der EuGH unterstreicht mit dieser Rechtsprechung einen wesentlichen Aspekt des Sozialrechts der Europäischen Union. Einschränkungen am Recht auf Erholungsurlaub seien grundsätzlich nicht vorgesehen, die deutsche Regelung zur Verjährung von Urlaubsansprüchen sei daher mit dem Unionsrecht nicht vereinbar.

Wer sich über aktuelle Entscheidungen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts auf dem Laufenden hält und die vorgenannten Empfehlungen berücksichtigt, hat indes wenig zu befürchten.


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Quellen

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/eugh-c-120-21-urlaub-keine-verjaehrung-fehlende-mitwirkung-c-518-20-c-727-70/

https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/eugh-staerkt-urlaubsanspruch-bei-verfall-und-verjaehrung

https://www.spiegel.de/karriere/europaeischer-gerichtshof-urlaubstage-verfallen-nicht-automatisch-nach-drei-jahren-a-38beeff5-a571-4d87-8bd5-65e0804f4474

https://www.zeit.de/arbeit/2022-09/eugh-urteil-urlaubsanspruch-verjaehrung-faq

https://rechtsanwaltkaufmann.de/arbeitsrecht/eugh-urlaubsanspruch-verfall-verfall-krankheit

BAG, Urt. v. 07.08.2012, Az. 9 AZR 353/10

EuGH, Urt. v. 22.09.2022, C-120/21

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