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Verdacht auf psychische Erkrankung – psychiatrische Untersuchung vor OP notwendig

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Körperdysmorphe Störung – was ist das?

In Deutschland leiden bis zu einer Million Menschen an einer sog. körperdysmorphen Störung (Störung der Körperwahrnehmung).

Die Betroffenen dieser Erkrankung sind fest davon überzeugt, dass ihr Körper oder einzelne Körperteile hässlich und entstellt sind. Häufig leiden sie unter zwanghaften Gedanken und ziehen sich aus dem sozialen Leben zurück. Manchmal unterziehen sich die Betroffenen sogar einem kosmetischen Eingriff, um ihr vermeintlich hässliches Erscheinungsbild zu verbessern.

Der 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschied nun mit Beschluss vom 15.12.2015 (BGH VI ZR 557/15), dass Ärzte für plastische und ästhetische Chirurgie bei Patienten, die Anzeichen einer körperdysmorphen Störung aufweisen, eine psychiatrische Untersuchung durchführen lassen müssen, da sich aus der Befunderhebung ergeben könnte, dass eine Durchführung der gewünschten Schönheitsoperation bei dem jeweiligen Patienten nicht angezeigt ist.

Der BGH stellte weiter fest, dass es sich um eine Verletzung rechtlichen Gehörs handelt, wenn das Gericht einen Widerspruch zwischen mehreren Gutachten zum Grad einer beim Patienten vorliegenden psychischen Störung nicht von Amts wegen aufklärt.

Zum Sachverhalt:

Die klagende Patientin begehrt von dem Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung und unzureichender Aufklärung Schmerzensgeld sowie Ersatz des aus der durchgeführten kosmetischen Operation resultierenden materiellen und immateriellen Schadens.

Der Beklagte ist Arzt für plastische und ästhetische Chirurgie und führte im August 2008 bei der Klägerin eine Schlupflidkorrektur mittels eines sog. offenen Stirnlifts durch. Der Eingriff hinterließ eine sichtbare, im Haaransatz befindliche und haarlose Narbe bei der Klägerin. Zunächst führte der Beklagte im November 2009 selbst eine Narbenkorrektur durch, im März 2012 unterzog sich die Klägerin einer weiteren Narbenkorrektur in der Schweiz. Die Klägerin leidet unter einer körperdysmorphen Symptomatik mit Hang zur Autoaggression. Im Rahmen des vor der Operation geführten Aufklärungsgesprächs mit dem Arzt hatte sie die Frage danach, ob sie zu überschießender Narbenbildung neige, bejaht. Aufgrund ihrer psychischen Erkrankung hatte sich die Klägerin in der Vergangenheit bereits eine Vielzahl, teilweise entstellender Narben an Armen, Beinen und Gesäß zugefügt und bereits mehrfach operative Narbenkorrekturen durchführen lassen. Sie befindet sich deswegen seit 2007 in Psychotherapie.

Ein vorgerichtlich durchgeführtes Gutachterkommissionverfahren kam zu dem Ergebnis, dass die Operation insbesondere aufgrund der Bejahung der Frage nach der überschießenden Narbenbildung bei der Klägerin nicht hätte durchgeführt werden dürfen.

Eine Kontrolle dieser Antwort durch den beklagten Arzt hätte zur Kontrolle der zahllosen Narben geführt, die bereits beim laienhaften Betrachter ein tieferliegendes psychisches Problem offenbart hätten. Spätestens im Zeitpunkt der Operationsvorbereitung wären dem Beklagten die typischen Anzeichen der bei der Klägerin vorliegenden Autoaggressionserkrankung nicht mehr verborgen geblieben.

Zeichen einer solchen Erkrankung würden ohne vorangegangene Abklärung in jedem Fall gegen die Durchführung eines solchen Liftings sprechen.

Das Berufungsgericht hatte dieses Gutachten übergangen, obwohl es in einem klaren Widerspruch zu den Angaben des gerichtlichen Sachverständigen stand. Dieser hatte die Schwere der bei der Klägerin vorliegenden Störung am unteren Ende der Skala eingeordnet. Genauso wenig wurden die Ausführungen des Privatsachverständigen berücksichtigt, der eine schwere strukturelle Störung der Klägerin erkannte. Trotz mehrfacher Hinweise seitens der Klägerin klärte das Berufungsgericht diese Widersprüche unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht auf.

Mit dieser Entscheidung unterstreicht der BGH einmal mehr den hohen Stellenwert, den medizinische Aufklärungsgespräche vor der Durchführung eines kosmetischen Eingriffs einnehmen. Treten in diesem Gespräch konkrete Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung des Patienten zutage, muss dieser Verdacht vor der Durchführung einer Schönheitsoperation erst durch eine psychologische Untersuchung ausgeräumt werden. Anderenfalls könnte sich der behandelnde Arzt – selbst bei erfolgreich und nach allen Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführten Operationen – haftbar machen.

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